Alle Artikel mit dem Schlagwort: dumont verlag

Mariana Leky – Was man von hier aus sehen kann

Der verhängnisvolle Traum von einem Okapi, ein riesenhafter, unsterblicher Hund, knarzende Psychoanalytikerlederjacken, durch’s Unterholz des Westerwaldes brechende buddhistische Mönche – in Mariana Lekys neuem Roman kollidiert eine ganze Menge auf den ersten Blick Unvereinbares. Aber es gibt Menschen, die können noch das Disparateste in einen harmonischen Zusammenhang bringen. Sieben Jahre nach ihrem letzten Roman hat Mariana Leky nun einen Text veröffentlicht, der sprüht vor Charme und Liebenswürdigkeit. Im Westerwald geht Seltsames vor. Immer, wenn die alte Selma von einem Okapi träumt, folgt in den nächsten Stunden ein Todesfall. Dass vermeintlich harmlose Träume die Lebensdauer von Mitmenschen beeinflussen, hat schon Georg Kreisler in seinem bitterbösen »Geben Sie Acht« besungen. Waren es da noch die Betroffenen selbst, erscheint der Tod, an sich ja schon eine absurde Sache, bei Mariana Leky eben in Form eines absurden Tieres. Auch das Okapi selbst, Mischung aus Zebra und Giraffe, ist ein Beweis für die Vereinbarkeit von scheinbar völlig unvereinbaren Elementen. Das okapibedingt herannahende Lebensende unbekannter Art veranlasst viele Bewohner der Kleinstadt, sich einander gut gehütete Geheimnisse zu offenbaren. Jeden könnte es …

Richard McGuire – Erzählende Bilder

Bereits mit “Hier” hat Richard McGuire bewiesen, dass er ein ungewöhnlicher, ein überraschender und experimentierfreudiger Künstler ist. Seit 2005 entwirft er neben Coverbildern auch Vignetten für The New Yorker, der es sich charmanterweise nach wie vor erlaubt, dieser Kunstform aus früheren Tagen eine Bühne zu bieten. Einige dieser Vignetten liegen nun in dem Band Erzählende Bilder gesammelt vor. Die einzelne Vignette ist leicht zu übersehen. Sie trennt gleichsam Textabschnitte und verziert das Dazwischen. Und sie unterliegt gewissen Regeln, insbesondere hinsichtlich ihrer Größe. Als künstlerische Dekoration sollte sie den Text umspielen und umschmeicheln, nicht etwa durch zu augenfällige Präsenz in den Schatten stellen. Sie muss, so schreibt Luc Sante in seiner Einleitung zu McGuires Arbeiten, für sich selbst und allein stehen können, da oft mehrere Seiten zwischen den einzelnen Vignetten liegen. Richard McGuire hat es in den über zehn Jahres seines Schaffens als Textdekorateur unbestritten zu einer gewissen Meisterschaft gebracht. Seine Bilder funktionieren sowohl ganz separat für sich als auch im Verbund. Sie erzählen Geschichten oder nehmen sich eines speziellen Motivs an, das in den aufeinanderfolgenden …

Fikry El Azzouzi – Wir da draussen

Es könnte der Roman der Stunde sein. In den Niederlanden bereits 2014 erschienen, erzählt Wir da draussen von islamistischer Radikalisierung, Kriminalität und Orientierungslosigkeit. Im Mittelpunkt stehen Ayoub, Fouad, Maurice und Kevin, der sich selbst Karim nennt. Sie haben marokkanische Wurzeln und verbringen einen Großteil ihrer Zeit auf der Straße oder mit Drogen. Ihnen fehlen die Perspektive und das Vertrauen nicht nur in sich selbst und ihre Zukunft, sondern auch in die Gesellschaft, in der sie leben. Der Text verschenkt jedoch sein Potenzial. Seit den jüngsten Terroranschlägen in Paris, Brüssel und Nizza gelangt eine Frage immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Wie können wir die Radikalisierung junger Menschen verhindern? Welche Präventionsmaßnahmen können wir ergreifen? Wie können wir die noch erreichen, die sich längst nicht mehr als Teil der Gesellschaft und mithin ihren Werten nicht mehr verpflichtet fühlen? Und wie kann es überhaupt geschehen, dass westlich sozialisierte Jugendliche dem islamistischen Terror und seiner Propaganda zum Opfer fallen? Besonders der Brüsseler Stadtteil Molenbeek hat im Hinblick auf Radikalisierung und Terrornetzwerke traurige Berühmtheit erlangt. Auch El Azzouzi lässt …

Michel Houellebecq – Unterwerfung

Es hat unlängst hohe Wellen geschlagen – Michel Houellebecqs neuer Roman ,Unterwerfung’. Im Jahr 2022 wird Frankreich von gemäßigten Muslimen regiert; nach den Anschlägen vom 07. Januar auf das französiche Satiremagazin ,Charlie Hebdo’ wirkt der Roman fast prophetisch, Houellebecq selbst steht unter Personenschutz. ,Unterwerfung’ allerdings ist keine islamophobe Prophezeiung nostradamischen Ausmaßes, sondern eine politisch-philosophische und spielerische Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft. Wer von ,Unterwerfung’ erwartet, dass es ein islamistisches Schreckensszenario beschwört, das unsere Ängste und Ressentiments schürt, der wird in Houellebecqs neuem Roman höchstwahrscheinlich kaum fündig werden. François ist Literaturprofessor an der Sorbonne, hat über Joris-Karl Huysmans, Autor im Umkreis von Émile Zola und Guy de Maupassant, dissertiert und im Allgemeinen wenig Interesse an Politik. Er ist in seinen besten Jahren, Anfang vierzig, und hält sich mit zeitlich begrenzten Gelegenheitsaffären zu Studentinnen über Wasser. Die politischen Vorgänge zur aktuell laufenden Wahl erlebt er mehr als Außenstehender, Unbeteiligter. Um eine Regierung des Front National unter Marine Le Pen zu verhindern, schließen sich die Sozialisten mit der Bruderschaft der Muslime zusammen, deren Vorsitzender Mohammed Ben Abbes besetzt den …

Haruki Murakami – Von Männern, die keine Frauen haben

Sie sind etwas spröde Einzelkämpfer, einsame Kosmopoliten, mal empfindsam und mal hart wie Stahl. Sie hören Jazz und hatten Frauen. Meistens solche mit einer mysteriösen, leicht geheimnisumwehten Note. Die meisten Protagonisten in Haruki Murakamis Erzählungen ähneln sich stark. Eintönig oder wohltuend spürbar aus einem Guss? Darüber kann man geteilter Ansicht sein. Eines sind sie aber ganz sicher: Verdammt stimmungsvoll! Ich fragte mich, wie es wohl wäre, der einsamste Mensch auf der Welt zu sein. Wie es war, der zweiteinsamste zu sein, wusste ich ja bereits. Nein, ich werde nichts sagen über den Literaturnobelpreis, der jedes Jahr aufs Neue am Shootingstar der japanischen Literatur vorüberzieht. Eigentlich ist es, gemessen am derzeitigen Stand von Murakamis Berühmtheit und Erfolg, auch gar nicht mehr so notwendig, mit diesem zusätzlichen Ornat zu glänzen. So mancher bekam den Nobelpreis und lehnte ihn ab, andere teilen das Schicksal des immer wieder in seinem Umfeld Erwähntwerdens, ohne, dass daraus jemals ein Gewinn (im Sinne von: Erhalt des Preises) folgte. Murakamis aktueller Erzählband setzt, nach seinem Roman ,Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki‘, wieder …

Petra Hartlieb – Meine wundervolle Buchhandlung

,Wenn du in Wien bist, musst du zu Hartliebs gehen’, munkelt man, in Buchhändlerkreisen und darüber hinaus. Und ja, tatsächlich, Hartliebs ist zu einer Adresse geworden, die man sich merken muss. Wie es aber dazu kam, dass Hartliebs quasi ganz versehentlich eine Buchhandlung kauften, – erzählt Petra Hartlieb nun auf charmante und humorvolle Weise. Und plötzlich haben sie eine Buchhandlung gekauft. Nur eine kleine Spinnerei, eine scheinbar harmlose Waghalsigkeit und plötzlich haben Hartliebs den Zuschlag bekommen. Sie wohnen in Hamburg, die unlängst überraschend erworbene Buchhandlung steht in Wien. Oliver Hartlieb ist ausgebildeter Buchhändler und zu diesem Zeitpunkt schon länger für einen großen deutschen Verlag tätig, sie ist Pressereferentin und Literaturkritikerin. Beiden ist klar – ein Zurück gibt es nicht. Und so sprechen sie bei der Bank für einen Kredit vor, packen einige Habseligkeiten und fahren nach Wien. Eine Wohnung haben sie noch nicht, sie wohnen mit der kleinen Tochter bei Freunden. Der große Sohn bleibt zunächst in Hamburg zurück. Und dann stehen wir in einem vierzig Quadratmeter großen düsteren Raum, Regale bis zur Decke, ein …

Haruki Murakami – Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Haruki Murakami ist ein japanischer Autor. Er gilt als einer der einflussreichsten und erfolgreichsten Schriftsteller Japans, sein Erfolg in vielen Teilen der Welt gibt ihm Recht. Seine Werke wurden bereits mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, einige davon auch für die Theaterbühne adaptiert. Murakamis Romane sind deutlich westlich geprägt, er lebte selbst längere Zeit in Europa und den USA. So betätigt er sich auch als Übersetzer klassischer amerikanischer Erzähler wie Fitzgerald, Irving oder Capote. ,Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazai’ erscheint in der Übersetzung von Ursula Gräfe im DuMont Verlag. Lange wurde er sehnsüchtig erwartet, der neue Roman von dem vermutlich bekanntesten japanischen Autor auf dem europäischen Kontinent. Mit seinen surrealistischen und magischen Geschichten weiß er die Leser immer wieder in seinen Bann zu ziehen, sie zu begeistern. Sein Stil ist charakteristisch, seine Romane haben einen hohen Wiedererkennungswert. Wie eine Stimme, die man nur wenige Sekunden hören muss, um sie zweifellos zuordnen zu können. In Haruki Murakamis neuem Roman geht es um enge Freundschaft fast bis zur Selbstaufgabe, um die Macht der Vergangenheit und den Umgang mit …

John Cheever – Ach, dieses Paradies

John Cheever (1912-1982) war ein amerikanischer Autor. Bekannt wurde er zunächst mit seinen Kurzgeschichten, die im New Yorker veröffentlicht wurden und ihm 1979 den Pulitzerpreis eintrugen. Seine Geschichten spielten häufig in amerikanischen Vororten und behandelten das Leben ihrer Bewohner auf hintersinnige und subtil ironische Weise. Nicht alles ist, wie es scheint, hinter den Spitzenvorhängen der Frömmigkeit spielten sich nicht selten ganz andere Szenarien ab als die glatte Oberfläche vermuten ließ. Ach, dieses Paradies (‘Oh what a paradise it seems’) ist Cheevers letzter Roman, erschienen im DuMont Verlag und übersetzt von Thomas Gunkel. Manch ein Autor beherrscht die Kunst der Auslassung, des pointierten Skizzierens, das aus scheinbar lose und hastig zu Papier gebrachten Linien ein eindrucksvolles Bild entstehen lässt. John Cheever ist so ein Autor. Ist sein letzter Roman mit knapp 120 Seiten doch wahrlich nicht ausufernd, birgt er doch so einige beachtenswerte Momente und Gedanken. Lemuel Sears ist ein alter Mann. Alleinstehend und mit seiner Tochter auf der Basis einer gewissen beiderseitigen Skepsis verbunden, liebt er es, gelegentlich zum Schlittschuhfahren zum Beasley’s Pond zu fahren. …

Lisa O’Donnell – Bienensterben

Lisa O’Donnell ist eine amerikanische Autorin. Für ihr Drehbuch “The Wedding Gift” wurde sie mit dem Orange Screenwriting Prize ausgezeichnet. Mit Bienensterben hat sie sich, nach dem Drehbuchschreiben, das erste Mal einem Roman zugewandt, der sogleich mit dem Commonwealth Book Prize bedacht wurde. In Deutschland erschien er kürzlich in der Übersetzung von Stefanie Jacobs im DuMont Verlag. Schon die ersten Sätze von Lisa O’Donnells Debütroman lassen keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass wir es mit einer Geschichte zu tun haben, die an die Nieren gehen wird. Es ist eine Geschichte aus prekären und unwirtlichen Verhältnissen, aus einem Umfeld, das wir mehrheitlich, glücklicherweise, nicht aus eigener Erfahrung kennen. Marnie und ihre kleine Schwester Nelly haben gerade ihre Eltern begraben. Nicht konventionell auf einem Friedhof, sondern heimlich im Garten hinter dem Haus. Es tut ihnen nicht leid, denn abgesehen von der rein biologischen Verwandtschaft sind die den beiden Mädchen niemals Etern oder Stütze gewesen. Drogenabhängig und verwahrlost haben sie die Kinder meistens sich selbst überlassen, unfähig, ihr eigenes Leben zu gestalten, ganz zu schweigen von dem ihrer Töchter. …

Andreas Schäfer – Gesichter

Andreas Schäfer ist ein deutscher Autor und Journalist. Er studierte Germanistik sowie Kunst – und Religionswissenschaft und arbeitete für die Berliner Zeitung. Seit 2006 schreibt Schäfer für den Tagesspiegel. 2009 nahm er am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teil, 2010 stand er mit seinem Roman “Wir vier” auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. ,Gesichter’ ist sein neuester Roman und Ende August im DuMont Verlag erschienen. Gabor Lorenz ist ein erfolgreicher Neurologe. In einer Berliner Klinik forscht er auf dem Gebiet der Prosopagnosie, der Gesichtsblindheit. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und ein hübsches Haus. Die Unfähigkeit, Gesichter wiederzuerkennen – eine Fähigkeit, die die meisten von uns für so selbstverständlich halten wie das Binden von Schuhen – treibt im Augenblick wohl viele Literaten um. Vielleicht, weil ihre Ursachen weitgehend ungeklärt sind, weil noch immer nicht klar bestimmbar scheint, welche Hirnareale dafür zuständig sind, Menschen auch nach Jahren noch aus einer Masse Fremder heraus erkennen zu können, trotzdem Zeit oder Krankheit womöglich einige Veränderungen am Antlitz des geliebten Menschen vorgenommen haben. Wie nehmen gesunde Menschen Gesichter wahr? Wonach unterscheiden sie? Mit …