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Mariana Leky – Was man von hier aus sehen kann

Der verhängnisvolle Traum von einem Okapi, ein riesenhafter, unsterblicher Hund, knarzende Psychoanalytikerlederjacken, durch’s Unterholz des Westerwaldes brechende buddhistische Mönche – in Mariana Lekys neuem Roman kollidiert eine ganze Menge auf den ersten Blick Unvereinbares. Aber es gibt Menschen, die können noch das Disparateste in einen harmonischen Zusammenhang bringen. Sieben Jahre nach ihrem letzten Roman hat Mariana Leky nun einen Text veröffentlicht, der sprüht vor Charme und Liebenswürdigkeit.

Im Westerwald geht Seltsames vor. Immer, wenn die alte Selma von einem Okapi träumt, folgt in den nächsten Stunden ein Todesfall. Dass vermeintlich harmlose Träume die Lebensdauer von Mitmenschen beeinflussen, hat schon Georg Kreisler in seinem bitterbösen »Geben Sie Acht« besungen. Waren es da noch die Betroffenen selbst, erscheint der Tod, an sich ja schon eine absurde Sache, bei Mariana Leky eben in Form eines absurden Tieres. Auch das Okapi selbst, Mischung aus Zebra und Giraffe, ist ein Beweis für die Vereinbarkeit von scheinbar völlig unvereinbaren Elementen. Das okapibedingt herannahende Lebensende unbekannter Art veranlasst viele Bewohner der Kleinstadt, sich einander gut gehütete Geheimnisse zu offenbaren. Jeden könnte es treffen. Und bevor es soweit ist, gehören ein paar Dinge eben doch noch ausgesprochen. Zum Beispiel, dass der Optiker Selma liebt. Dass Väter doch nicht Väter sind. Dass man aus Trotz und Unsicherheit ganz und gar widersprüchliche Dinge getan hat.

Selmas Traum aber schuf Tatsachen. War ihr im Traum ein Okapi erschienen, erschien im Leben der Tod; und alle taten, als würde er wirklich erst jetzt erscheinen, als käme er überraschend angeschlackert, als sei er nicht schon von Anfang an mit von der Partie, immer in der erweiterten Nähe, wie eine Tauftante, die das Leben lang kleine und große Aufmerksamkeiten vorbeischickt.

Mariana Leky bietet eine Fülle skurriler und liebenswürdiger Figuren auf. Neben Selma und dem liebestollen Optiker steht Enkelin Luise als Erzählerin im Vordergrund. Ihr Freund Martin will einmal Gewichtheber werden, Selmas Schwägerin Elsbeth hat für oder gegen alles ein Kraut oder mindestens eine dubiose Verhaltensempfehlung. Die traurige Marlies, der jähzornige Jäger Palm, der Buddhist Frederik, der Luise den Kopf verdreht; sie alle haben Profil und Wiedererkennungswert. Vor allem deshalb, weil sie in ihren Rollen verbleiben. Niemand in diesem Roman macht eine grundlegende Verwandlung durch. Was in anderen Fällen vielleicht Anlass zur Langeweile wäre, ist hier ein Garant für Verlässlichkeit. Der Roman ist ein Ort, an den man immer wieder zurückkehren kann, ohne, dass man ihn von der Zeit mutwillig verändert vorfindet. Man kennt sich untereinander, man weiß, wie die Dinge laufen. Man versucht nicht zu verändern, sondern zu bewahren. Jahrelang schlürft Selma den Likör aus den Mon Chérie Pralinen und gibt die Schokoladenhülle an Luise. Immer wieder schiebt der Optiker eine Allergie vor, wenn er vor Rührung weinen muss. Die Landschaft ist »eine herrliche Symphonie aus Grün, Blau und Gold.«
Immer wieder.

Wenn man unbedingt jemanden anrufen möchte und sich genauso unbedingt davor fürchtet, fällt einem plötzlich auf, wie viele Telefone es gibt. Es gab das brandneue Tastentelefon in Selmas Wohnzimmer und in der Wohnung darüber das elegante, schmale Telefon meiner Mutter. Es gab das Telefon im Hinterzimmer des Optikers, das in jägergrünen Samt gehüllte Telefon auf Elsbeths Beistelltischchen. Es gab das Telefon in meiner Wohnung in der Kreisstadt, das neben der Kasse in Herrn Rödders Buchhandlung. Es gab, auf dem Weg von meiner Wohnung zur Buchhandlung, ein gelbes Telefonhäuschen. »Wir sind bereit«, sagten all diese Telefone, »an uns liegt es nicht.«

Was Mariana Lekys Roman ausmacht, ist nicht seine rasante Dynamik, nicht seine literarische Komplexität, sondern sein unvergleichlicher Sprachwitz. Sein Blick für die alltägliche Komik ganz profaner Dinge, für die Ironie im Leben so ganz allgemein und besonders für die Schrullen anderer Menschen. Getragen von einem witzig-lakonischen Tonfall ist der Roman eine ununterbrochene Melange aus Komik und Tragik, aus Wahrhaftigkeit und Karikatur. Wenn der beflissene Psychoanalytiker von Luises Vater selbst in der Praxis eine knarzende Lederjacke trägt, möchte man an Loriot denken und sein »Krawehl, Krawehl«. Wenn Selma und der Optiker mit Luise nach dem Tod ihres Freundes über die Schwere eines Blauwals diskutieren, ist das rührend und tröstlich. Leky findet Bilder und Zusammenhänge, die erfrischend wenig abgegriffen und doch jedes Mal so treffend sind, dass man sich unweigerlich fragt, weshalb darauf vorher noch niemand gekommen ist. Aber so ist es manchmal. Die Dinge liegen herum und es braucht jemanden, der sie findet, der sie poliert und der sie zum Strahlen bringt. »Was man von hier aus sehen kann« ist ein Buch über Liebe, Freundschaft, Absurdität und das Ende aller Dinge – klug, leicht und zauberhaft.

Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann. DuMont Buchverlag. 320 Seiten. 20 €.

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