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John Cheever – Ach, dieses Paradies

John Cheever (1912-1982) war ein amerikanischer Autor. Bekannt wurde er zunächst mit seinen Kurzgeschichten, die im New Yorker veröffentlicht wurden und ihm 1979 den Pulitzerpreis eintrugen. Seine Geschichten spielten häufig in amerikanischen Vororten und behandelten das Leben ihrer Bewohner auf hintersinnige und subtil ironische Weise. Nicht alles ist, wie es scheint, hinter den Spitzenvorhängen der Frömmigkeit spielten sich nicht selten ganz andere Szenarien ab als die glatte Oberfläche vermuten ließ. Ach, dieses Paradies (‘Oh what a paradise it seems’) ist Cheevers letzter Roman, erschienen im DuMont Verlag und übersetzt von Thomas Gunkel.

Manch ein Autor beherrscht die Kunst der Auslassung, des pointierten Skizzierens, das aus scheinbar lose und hastig zu Papier gebrachten Linien ein eindrucksvolles Bild entstehen lässt. John Cheever ist so ein Autor. Ist sein letzter Roman mit knapp 120 Seiten doch wahrlich nicht ausufernd, birgt er doch so einige beachtenswerte Momente und Gedanken. Lemuel Sears ist ein alter Mann. Alleinstehend und mit seiner Tochter auf der Basis einer gewissen beiderseitigen Skepsis verbunden, liebt er es, gelegentlich zum Schlittschuhfahren zum Beasley’s Pond zu fahren. Mit der Natur im Einklang, ursprünglich und ganz bei sich selbst in einem Ort ohne Fast Food Kette.

Eine der größten Eigentümlichkeiten des Ortes und seiner geschichtlichen Rolle war, dass es dort keinerlei Fast-Food-Ketten gab. Das war damals sehr ungewöhnlich und könnte einen zu der Vorstellung verleiten, das Städtchen sei von einem Makel wie großer Armut oder mangelndem Unternehmungsgeist der Einwohnerschaft befallen; doch es handelte sich bloß um einen Fehler jener Computer, die für die Standortauswahl von Fast-Food-Restaurants verantwortlich sind.

Jedes Wochenende fährt Sears, wenn er denn kann und die entsprechende Jahreszeit vorherrscht, zum See, um dort mit anderen Menschen in graziler Schnelligkeit die Eisfläche zu erobern. Und als er an einem Sonntag dort ankommt und feststellt, dass man seinen geliebten Teich zur Mülldeponie erklärt hat, läuft er zu Höchstformen auf. Er schreibt nicht nur einen Leserbrief, sondern beauftragt auch einen Anwalt für Umweltfragen, der der Sache (und dem Beasley’s Pond als solchem) auf den Grund gehen soll. Während diese Nachforschungen noch laufen, lernt der alternde Sears Renée kennen, – eine junge Frau, die, trotzdem sie Charme und Schönheit für drei versprüht, regelmäßig an sprichwörtlichen runden Tischen ihre schlechten Gewohnheiten zu kurieren versucht. Das Rauchen, das Trinken, das Essen. Trotzdem sie Jahrzehnte trennen, beginnen sie eine Affäre.

An diesem Abend regnete es. Es sähe Sears gar nicht ähnlich, das Prasseln des Regens mit der Liebe in Verbindung zu bringen, doch da bestand tatsächlich ein Zusammenhang. Obwohl es ihm nicht bewusst war, hatte er die meisten Offenbarungen über die Liebe empfangen, während er die Musik des Regens vernahm.

Über kurz oder lang lässt Renée ihn sitzen, wir schwenken um zu Henry und Betsy sowie deren Nachbarn, den Salazzos, die sich nicht nur an der Mülldeponie auf schändliche Weise bereichern, sondern auch einige innerfamiliäre Konflitke erdulden müssen. Nicht zuletzt, weil Vater Sammy den Familienhund Buster erschießt. Aus ökonomischen Gründen. Kein Geld, um den Hund durchzufüttern, wenn die Familie schon nicht genug zu essen hat. Der Anwalt Horace Chisholm wird nach der gescheiterten Gerichtsverhandlung betreffs des verunreinigten Beasley’s Pond kaltblütig überfahren, Betsy beschließt ihrerseits die Gemeinde mit vergifteter Teriyaki-Sauce aus ihrer Lethargie zu rütteln. Und ihr gelingt mit einer gewissen Gewalt, was dem friedfertigen und vereinsamten Horace nicht vergönnt war.

John Cheever schreibt eine sparsame Geschichte. Eigentlich eine Geschichte um ein Umweltvergehen, das in sich aber auch die “Verunreinigung” der Menschen in Janice, der nämlichen Kleinstadt, widerspiegelt. Sei es nun Lemuel Sears selbst, der vermutlich das ist, was man einen alten Sonderling nennen könnte, der an sich plötzlich homosexuelle Neigungen entdeckt, die ihn derart verstören, dass er ohne große Umschweife einen Psychiater aufsucht. Sei es Sammy Salazzo, der blind vor Wut und Ohnmacht den Familienhund erschießt oder auch Henry und Betsy, die beim Fahrerwechsel nach einem ausgiebig genossenen Tag am Strand ihr Baby an der Straße vergessen. Irgendwas stimmt nicht, irgendwas ist schief, wenig paradiesisch. John Cheever kontrastiert das mit einem beiläufigen und ironischen Tonfall als nähme er weder sich noch die Narreteien seiner Protagonisten besonders ernst.

Ihm ist die Erschaffung eines kleinen Kosmos geglückt, der fast an den Grund eines Sees erinnert. Ein bisschen düster und schlammig, in manch einer Ausprägung aber beeindruckend schön und menschlich. Die idyllischsten Beschreibungen stehen dem Schlittschuhlaufen selbst und der Natur zu, die menschliche Natur muss im direkten Vergleich verlieren. Ein Buch, das sich zwar flüssig liest, aber der Nachlese bedarf, um nicht Gefahr zu laufen, es zu unterschätzen. Manch eine poetische Stelle wird  durchbrochen von derber Sprache, aus vielen Sätzen spricht Ironie, leiser Spott vielleicht. Auch im Paradies schlummert so manche Lüge und so vieles Elend, wenn man es zu ergründen bereit ist.

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