Erzählungen, Rezensionen
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Haruki Murakami – Von Männern, die keine Frauen haben

Sie sind etwas spröde Einzelkämpfer, einsame Kosmopoliten, mal empfindsam und mal hart wie Stahl. Sie hören Jazz und hatten Frauen. Meistens solche mit einer mysteriösen, leicht geheimnisumwehten Note. Die meisten Protagonisten in Haruki Murakamis Erzählungen ähneln sich stark. Eintönig oder wohltuend spürbar aus einem Guss? Darüber kann man geteilter Ansicht sein. Eines sind sie aber ganz sicher: Verdammt stimmungsvoll!

Ich fragte mich, wie es wohl wäre, der einsamste Mensch auf der Welt zu sein. Wie es war, der zweiteinsamste zu sein, wusste ich ja bereits.

Nein, ich werde nichts sagen über den Literaturnobelpreis, der jedes Jahr aufs Neue am Shootingstar der japanischen Literatur vorüberzieht. Eigentlich ist es, gemessen am derzeitigen Stand von Murakamis Berühmtheit und Erfolg, auch gar nicht mehr so notwendig, mit diesem zusätzlichen Ornat zu glänzen. So mancher bekam den Nobelpreis und lehnte ihn ab, andere teilen das Schicksal des immer wieder in seinem Umfeld Erwähntwerdens, ohne, dass daraus jemals ein Gewinn (im Sinne von: Erhalt des Preises) folgte. Murakamis aktueller Erzählband setzt, nach seinem Roman ,Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki‘, wieder auf die klassische Form der Erzählung und wie in vielen Geschichten Murakamis ist es weniger das Geschehen als die Stimmung, die sein Schreiben reizvoll macht. Eine leicht ins Surreale kippende, abgrundtiefe Stimmung der Einsamkeit, aber auch der Hingabe und Anziehung zeichnen die neuen wie alle Erzählungen aus und täuschen sehr würdevoll über ein eigentlich einfaches Murakami-Rezept hinweg. Einsame Männer, mysteriöse Frauen, Sex und Musik.

An diesem Abend regnete es. Es war kein heftiger Schauer, sondern ein herbstlicher Dauerregen, der nie aufhören zu wollen schien. Er fiel gleichmäßig und unablässig, wie ein monoton und endlos heruntergeleiertes Geständnis.

 Geständnisse gibt es viele, von einem Schauspieler, der seit dem Tod seiner Frau allein lebt und sich nun eine etwas herbe junge Frau zur Chauffeurin nimmt. Von einer Frau, die als Jugendliche wiederholt und unbemerkt in die Wohnung ihres Klassenkameraden eindringt, um kleine Spuren in dessen Wohnung zu hinterlassen. Von einem Mann, der vor lauter Schmerz und Resignation nicht mehr isst. Von der Frau in Kinos schummriger Bar, auf deren Körper sich zahlreiche Wunden ausgedrückter Zigaretten finden. Jeder Charakter eine Insel und verschlossen in sich selbst, erlebt man als Leser einen kurzen Moment der Öffnung und Verbindung mit der Welt. Ganz anders und deshalb, für mich, die stärkste Geschichte in diesem Erzählband: Samsa in Love. Was klingt wie ein verstörend zuckriger Popsong mit Bildungsbürgerbeat ist eine Erzählung über literarische Alternativen. Was wäre, wenn Gregor Samsa eines Morgens nicht als Ungeziefer erwachte, sondern als Mensch Gregor Samsa, der er vorher nicht gewesen ist? An das Menschsein muss man sich gewöhnen – und es zu verstehen, braucht ein Leben (lang).

Murakami lebt, ähnlich wie auch sein Vorbild Kafka, weniger von dem, was passiert, sondern von dem, wie es passiert und beschrieben wird. Stets etwas neben der konventionellen Wirklichkeit und Wahrnehmung, entfaltet Murakami seine Schicksale. Zurückhaltend, empathisch, manchmal fast ein wenig beiläufig. Wer sich von dieser Stimmung gefangen nehmen lässt, der wird auch im aktuellen Erzählband Murakamis auf seine Kosten kommen. Erst dieses Jahr gewann Murakami den WELT-Literaturpreis, Die Klappentexterin hat kürzlich Clemens J. Setz, der die Laudatio hielt, einige Fragen gestellt.

Vielleicht bleiben die Menschen bei Verstand, indem sie die kleinen Dinge unbeirrt und gewissenhaft erledigen, auch wenn die Welt in Trümmer fällt.

Haruki Murakami: Von Männern, die keine Frauen haben, aus dem Japanischen von Ursula Gräfe, Dumont Verlag, 254 Seiten, 9783832197810, 19,99 €

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