Alle Artikel in: Erzählungen

Haruki Murakami – Von Männern, die keine Frauen haben

Sie sind etwas spröde Einzelkämpfer, einsame Kosmopoliten, mal empfindsam und mal hart wie Stahl. Sie hören Jazz und hatten Frauen. Meistens solche mit einer mysteriösen, leicht geheimnisumwehten Note. Die meisten Protagonisten in Haruki Murakamis Erzählungen ähneln sich stark. Eintönig oder wohltuend spürbar aus einem Guss? Darüber kann man geteilter Ansicht sein. Eines sind sie aber ganz sicher: Verdammt stimmungsvoll! Ich fragte mich, wie es wohl wäre, der einsamste Mensch auf der Welt zu sein. Wie es war, der zweiteinsamste zu sein, wusste ich ja bereits. Nein, ich werde nichts sagen über den Literaturnobelpreis, der jedes Jahr aufs Neue am Shootingstar der japanischen Literatur vorüberzieht. Eigentlich ist es, gemessen am derzeitigen Stand von Murakamis Berühmtheit und Erfolg, auch gar nicht mehr so notwendig, mit diesem zusätzlichen Ornat zu glänzen. So mancher bekam den Nobelpreis und lehnte ihn ab, andere teilen das Schicksal des immer wieder in seinem Umfeld Erwähntwerdens, ohne, dass daraus jemals ein Gewinn (im Sinne von: Erhalt des Preises) folgte. Murakamis aktueller Erzählband setzt, nach seinem Roman ,Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki‘, wieder …

Phil Klay – Wir erschossen auch Hunde

Für die meisten finden Kriege im Fernsehen statt. In der Zeitung allenfalls. Weit entfernt von alltäglichem Dauerstress und dem verzweifelten Versuch, sich zu entspannen. Phil Klay, der selbst als US-Marine im Irak stationiert war, liefert mit seinem Erzählband ,Wir erschossen auch Hunde‘ den Krieg und seine Sinnlosigkeit mit Wucht und Eindringlichkeit direkt ins heimische Wohnzimmer. Krieg ist heute automatisiert, die Feindbilder sind klar. Man tut gut daran, weder Mission nach Handeln zu sehr zu hinterfragen. Und auch wenn man nach Hause zurückkehrt, bleibt man dort. In zwölf Erzählungen aus Truppenlagern in Afghanistan oder dem Irak beschreibt Phil Klay auf vielfältige Weise den Umgang mit Krieg, Tod, Gewalt und Befehlen. Viele seiner Figuren haben das selbstständige und kritische Denken längst aufgegeben und sich einer Idee unterworfen, die sie für gut und ehrenhaft halten. Viele fürchten einfach nur um ihr Leben, auch wenn keiner von ihnen es zugeben kann. Sie handeln so automatisch wie die Waffen und Geschütze, die sie bedienen. In dem Moment denkt man nicht darüber nach. Da überlegt man, wer in dem Haus ist, …

Carlos María Domínguez – Das Papierhaus

Exzessives Büchersammeln und Lesen ist nicht immer nur eine charmante, etwas verschrobene Eigenheit – es kann auch zu einer Leidenschaft werden, die einsam und merkwürdig macht. Carlos María Domínguez beweist in seiner Erzählung ,Das Papierhaus‘, die erstmals 2004 erschien, dass die Literatur mehr Macht hat als man gemeinhin glaubt. Sie verändert Leben. Zum Guten wie zum Schlechten. Im Frühjahr 1998 kaufte Bluma Lennon in einer Buchhandlung in Soho eine alte Ausgabe der Gedichte von Emily Dickinson und wurde an der nächsten Straßenecke, als sie gerade beim zweiten Gedicht angelangt war, von einem Auto überfahren. So beginnt Domínguez’ Erzählung und wahrscheinlich schickt es sich für einen Buchliebhaber einfach, auf eine sehr prosaische Art und Weise aus dem Leben zu scheiden. Ein Buch lesend vom Auto erfasst oder am Regal von einem dicken Wälzer erschlagen werden, als Hund durch den Genuss von tausend Seiten “Die Brüder Karamasow” sterben – es gäbe weniger schöne Szenarien. Dennoch ist Bluma Lennons Tod natürlich eine tragische Sache. Sie lehrte an der Universität Cambridge und ihr junger Kollege, der gleichzeitig ihr Liebhaber …

Florian Wacker – Albuquerque

Wer bisher der Meinung war, die Literatur beschäftige sich viel zu wenig mit den Rändern der Gesellschaft, der wird von Florian Wackers Erzähldebüt angetan sein! Der Frankfurter Autor präsentiert in ,Albuqurque’ Momentaufnahmen der Veränderung und des Aussteigens aus der Alltäglichkeit. Das Besondere dabei sind fraglos die Protagonisten. Sie sind die Terpentinen-Task-Force, gewissermaßen das A-Team der Berge und halten die schmalen Straßen frei von Hindernissen, bis einer ihrer Freunde spurlos verschwindet. Sie sind illegale Einwanderer bei der Arbeit, haltlos und aussichtslos in einem Leben, das ihnen mal als das bessere erschienen ist. Sie sind ehemalige Leistungssportler mit kaputter Hüfte, versteckt in den Vereinigten Staaten. Sie sind Transsexuelle, die mal Muffe und mal Petra heißen. Dieser Erzählband vereint in seinen literarischen Miniaturen viele Charaktere, von denen so in der Literatur wahrscheinlich noch nicht allzu viel zu lesen war. Sie sind im besten Sinne gewöhnlich, nicht eine Spur geheimnisvoll oder gar heldenhaft. Die Menschen in ,Albuquerque’ könnten des Lesers Nachbarn und Freunde sein, deren Leben sich aus ganz unterschiedlichen Gründen am Rande eines Umbruchs befinden. Bunge hörte Musik, …

Karen Köhler – Wir haben Raketen geangelt

Es war eine kleine literarische Tragödie, als bekannt wurde, dass Karen Köhler aufgrund einer Windpockenerkrankung nicht beim diesjährigen Bachmannpreis antreten wird. Sie galt als eine Favoritin – völlig zu recht. Denn unbestritten gehören ihre Kurzgeschichten zu den beeindruckendsten und gewandtesten, die man augenblicklich im deutschen Literaturbetrieb finden kann. In ihrem Debüt ,Wir haben Raketen geangelt‘ erzählt Karen Köhler von den Momenten, in denen das Leben auf der Kippe steht, in denen Glück nur mehr ein Wort zu sein scheint, aus dem alle Bedeutung gewichen ist. Sie erzählt von Krankheit, Tod, Enttäuschung und Einsamkeit. Das alles aber ohne, wie es oft in der Literatur üblich ist, schwerverdaulichen Pathos, ganz ohne Schwülstigkeit und Larmoyanz. Das ist so erfrischend wie es berührend ist. Denn manchmal, ja – da ist weniger mehr. Aus dem Radio kommt eine Treppe in den Himmel. Bill schläft unruhig, manchmal stöhnt er. Vor und hinter uns der Highway, einsam, dunkel, bisher noch keine Tankstelle, kein Diner oder Motel, nichts, wo man hätte anhalten, sich das Gesicht waschen und Bill etwas Eis besorgen können. Ein …

Deborah Levy – Black Vodka

Mit ihren Erzählungen leuchtet Deborah Levy kunstvoll die versteckten Winkel menschlichen Zusammenseins aus – und entdeckt dabei fast immer eine unüberwindliche Distanz. Nach ihrem flirrenden und leicht zwischenweltlichen Roman ,Heimschwimmen‘ erscheinen nun im Verlag Klaus Wagenbach einige ihrer Erzählungen. “,Black Vodka’…”, sagte ich mit leicht düsterem Unterton, “Vodka Noir spricht jene an, die ein Bedürfnis nach stylischer Existenzangst verspüren. Wie Victor Hugo gesagt hätte: Wir sind allein und unbehaust, und die Nacht bricht über uns herein; Black Vodka  trinken heißt, um unser Leben trauern. Insofern ist nur folgerichtig, dass Deborah Levys Erzählsammlung diesen Titel trägt; sind doch alle ihre Protagonisten auch gefangen in einer Einsamkeit, die sie nicht artikulieren, einer Distanz zu anderen, die sie nicht überwinden können. Es ist fast wie in Marlen Haushofers ,Die Wand’, in der eine Frau durch eine unsichtbare Wand daran gehindert wird, ihre einsame Hütte in den Bergen zu verlassen. Die Menschen in ,Black Vodka’ suchen Liebe und das Loch in der unsichtbaren Wand, die sie von anderen trennt – und doch fürchten sie nichts so sehr als das. …

George Saunders – Zehnter Dezember

Ein Hauen und Stechen um die gesellschaftlichen Logenplätze, in George Saunders neuer Kurzgeschichtensammlung ,Zehnter Dezember’ geht es nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich zur Sache. Lassen Sie mich durch, ich habe Ellbogen. George Saunders gilt in den USA als großer Satiriker. Ins Groteske, manchmal Wahnsinnige gesteigerte Geschichten erzählen von einer Welt, in der wir morgen leben, von einer Zukunft, die womöglich schon Gegenwart geworden ist – ohne, dass es von vielen bemerkt worden wäre. Gleichförmige Konsumkultur, Wettbewerbskämpfe auf allen erdenklichen Positionen, eine durchökonomisierte Gesellschaft ohne Mitgefühl – in George Saunders Kurzgeschichten, für die er bereits mehrfach ausgezeichnet wurde, ist diese Welt bereits Realität. Darüber kann man lachen, schmunzeln bestenfalls – muss man aber nicht. Denn in dieser haltlosen Übersteigerung bildet sich nur literarisch eine Gesellschaft ab, die das Streben nach Mehr zur sinnstiftenden Prämisse ihres Lebens erkoren hat. Ein schlaksiger Junge, der eine Entführung beobachtet und im letzten Moment entscheidet, gegen die Anweisungen des Vaters das heimische Grundstück zu verlassen, um dem Entführer den Kopf einzuschlagen. Ein Familienvater, der seiner Tochter im Konkurrenzkampf mit anderen …

Marc-Uwe Kling – Die Känguru-Offenbarung

Marc-Uwe Kling ist Kleinkünstler. Mehrmaliger Gewinner der Deutschen Poetry Slam Meisterschaften. Liedermacher und Kabarettist. 2004 gründete er die Lesedüne. 2012 erhielt er den Deutschen Kleinkunstpreis. ,Die Känguru-Offenbarung’ ist das dritte Buch (nach ,Die Känguru-Chroniken’ & ,Das Känguru-Manifest‘) rund um den Kleinkünstler und das kommunistische Känguru und erscheint im ullstein Verlag. Dieser Mann und sein Beuteltier sind ein Phänomen. Kaum einem anderen Künstler gelingt der Spagat zwischen Witz und Tiefsinn so galant, wer als Leser hier lediglich platte Albernheiten erwartet, wird entweder enttäuscht oder bemerkt die unzähligen geistreichen Anspielungen gar nicht, die sich in diesem  – überraschend seitenreichen – Werk verbergen. Nie war Gesellschaftskritik gleichzeitig so witzig und so pointiert, diese Lektüre ist nicht nur alternativ – sondern auch gänzlich konkurrenzlos. Es ist eine Satire-Bibel, eben die Heilige Schrift des Asozialen Netzwerks. In kurzen Texten begleitet der Leser Marc-Uwe und das immer wieder auf’s Neue für den Untergrund getarnte Känguru um die ganze Welt – von New York über Los Angeles, von Ho-Chi-Minh Stadt bis nach Australien. Auf der Suche nach dem Pinguin, dessen bösartig neoliberaler …

Frédéric Valin – In kleinen Städten

Frédéric Valin ist ein deutscher Autor. Im Allgäu geboren, studierte er in Berlin Deutsche Literatur und Romanistik, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Neben seiner Autorentätigkeit organisiert Valin Kulturveranstaltungen. Nach ,Randgruppenmitglied‘ ist ,In kleinen Städten‘ die zweite Sammlung von Erzählungen, die im Verbrecher Verlag erscheint. Dörfliche Kulissen sind nicht selten nur zum Schein beschaulich. Oft genug ballt sich in kleinen Städten die ganze Niedertracht, die sich auf größerem Raum einfach besser verteilt. Frédéric Valin erzählt mit einem bewundernswert feinen Gespür für Sprache von Menschen, die im Abgelegenen ihr Dasein fristen, erzählt von Menschen, die durch gesellschaftliche Raster fallen, von lokalpolitischen Gemeinheiten und familiären Brüchen. Als ich das erste Mal hier herausfuhr, zu meinem Bewerbungsgespräch, dachte ich noch, was es für eine mittelalterliche Idee ist, tausend Alten und geistig Behinderten ein Dorf mitten im Nirgendwo zu bauen als könne man sie der normalen Welt nicht zumuten. Heute weiß ich, dass es andersrum ist: Die normale Welt ist unzumutbar. Der Protagonist der ersten Erzählung arbeitet als Pfleger in einer Behinderteneinrichtung. Er muss Sylvia wecken, Sylvia, mit …

Roman Simić – Von all den unglaublichen Dingen

Roman Simić ist ein kroatischer Autor und Verlagslektor. Simić war Herausgeber der wichtigsten kroatischen Literaturzeitung Quorum und ist noch Organisator und Programmdirektor des Festival Of European Short Story. Er gewann bereits mehrfach den Goran Preis für junge Dichter. Ich habe bereits Simićs ersten Erzählband ,In was wir uns verlieben‘ hier besprochen, ,Von all den unglaublichen Dingen‘ erschien im September 2013 wie sein Vorgänger bei Voland und Quist in der Übersetzung von Brigitte Döbert. ,Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen‘, schrieb Ludwig Wittgenstein. Vielleicht könnte man diesen Leitsatz etwas modifizieren und sagen: Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schreiben. Von unglaublichen, unsagbaren Dingen, die erst mittels Sprache Gestalt annehmen. So jedenfalls erscheint es einem, wenn man Roman Simićs Erzählungen liest. Sie alle handeln von Menschen in Einsamkeit, in Extremsituationen, abgeschnitten von der Alltäglichkeit. In allen seinen Geschichten spielt der Kroatienkrieg Anfang der 90er eine zentrale Rolle, wie ein konstanter Ton unterlegt er die verschiedenen Schicksale. Nicht um die Gräuel des Krieges geht es, jedenfalls nicht vorrangig, es geht um die Menschen. Darum, …