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#buchpreisbloggen. Eva Schmidt: Die untalentierte Lügnerin

Maren kehrt nach einem gescheiterten Schauspielstudium und einem anschließenden Klinikaufenthalt zu ihrer Mutter und ihrem Stiefvater zurück. Konflikte, die unausgesprochen unter der Oberfläche schwelen, lassen die familiäre Fassade Stück für Stück auseinanderbrechen.

Marens Freundin Lisa habe sich immer gewünscht, in einem so schönen Haus am See zu wohnen, heißt es im Roman. Maren habe es gut. Wie sie da so lebe zwischen Loungesesseln, teurem Sekt und bodentiefen Fenstern mit Blick auf die idyllische Natur. Innerhalb von Marens Familie ist wenig idyllisch. Ihre Mutter Vera ist eine erfolglose aber vielbeschäftigte Künstlerin mit eigenem Atelier, die für ihre Tochter wenig Wärme und Fürsorge erübrigen kann. Ihr Stiefvater Robert ist ein unangenehm diffuser Charakter, der immer wieder zwischen Unterstützung und Grenzüberschreitung changiert. Er bietet Maren eine seiner Wohnungen an, lässt sie einziehen, als die Spannungen mit der Mutter unerträglich werden, taucht immer wieder auf mit Geschenken und Geschichten, die die Beziehung zwischen ihm und Vera in einem anderen Licht erscheinen lassen.

Sie sollte duschen. Stattdessen setzte sie sich neben die leicht geöffnete Terrassentür, trank Tee und rauchte. Wünschte sich, dass Roberts Besuche aufhörten, dass er sie endlich in Ruhe ließ. Zweimal war er gekommen, ohne vorher anzurufen. War einfach vor der Tür gestanden und hatte geklingelt. Immerhin, er hatte ja einen eigenen Schlüssel und hätte auch einfach aufsperren können.

Marens Beziehungen sind lose, die Familie verstreut. Mit ihren Brüdern hat sie allein über WhatsApp Kontakt, ihr leiblicher Vater ist nie für sie aufgekommen. Eva Schmidts Ton ist nüchtern und zurückhaltend, der Roman laut Verlag ein “Psychogramm ohne Psychologie” – wenn sich über eine solche Einordnung auch trefflich streiten ließe. Zwar psychologisiert der Roman nicht, indem er Begründungen und Motivationen frei Haus liefert, ob er deshalb aber ohne Psychologie ist, sei mal dahingestellt. Die untalentierte Lügnerin lässt vieles unausgesprochen, was sich Leser*innen zwischen den Zeilen erschließen müssen. Die Beziehung zwischen Maren und ihrem Stiefvater bleibt ambivalent und voller Spannung und Unbehagen. Als Marens Ex-Freund, ein drogenabhängiger Star-DJ, sie in einer Kneipe fragt, ob Robert von ihr “etwas bekommen habe” und “ob es ihr gefallen habe”, schlägt sie auf ihn ein.

Maren beginnt im Stillen, eine Geschichte zu schreiben, die große Übereinstimmungen mit ihrer eigenen zu haben scheint. Die Geschichte in der Geschichte, immer nur fragmentartig in den Romantext eingebunden, dient als Ventil für Dinge, die ansonsten allenfalls angedeutet werden. Das Schreiben füllt Leerstellen, ist ein Befreiungsversuch aus einer familiären Konstellation, in der Lügen das fragile Miteinander ermöglicht haben. In ihrer Geschichte erfindet Maren einen Stiefvater namens “Paul”, der ihr betrunken nachts auf die Mailbox spricht. “Ellen”, die Protagonistin ihrer Geschichte, wird als Jugendliche schwanger, angeblich von einem Freund gleichen Alters. Immer wieder droht Stiefvater “Paul” ihr, er werde sich das Leben nehmen, “vielleicht”, schreibt Maren in Ellens Geschichte, “hatte er endlich begriffen, dass es vorbei war.” Die Geschichten verschränken sich und die Kraft zum Befreiungsschlag überträgt sich von Marens Vorstellung in ihre Realität.

Dann erzählte sie von Paul. Er sei damals mit ihr nach Wien gefahren, habe sie in die Klinik begleitet, habe auf sie gewartet. Ob er der Vater sei?, habe der Arzt gefragt. Nein, habe er gelogen, ein Junge in ihrem Alter sei der Vater. Sie hätten es so ausgemacht. Deshalb habe er geglaubt, er habe gelogen. Er selbst habe nie daran gezweifelt, dass er der Vater sei. Sie hingegen habe daran gezweifelt. Es hätte auch der und der sein können, habe sie gedacht. Sie habe sich damals mit jedem eingelassen, mit jedem, der sie begehrt habe.

Die untalentierte Lügnerin ist gerade aufgrund seiner Lakonie und Distanz beklemmend. Erzählt wird vor allem um Schlaglöcher und Katastrophen herum, wohlweislich Raum lassend für das Unausgesprochene. Schauspielerin zu sein, bedeutet gewissermaßen, berufsbedingt zu lügen. Dass Maren keine Schauspielerin wird, liegt wohl weniger an ihrem mangelnden Talent zur Lüge als an ihrer Unfähigkeit, ein Schauspiel weiterzuspielen, das längst zur Farce geraten ist. Ein sprödes, ein einnehmendes, ein unangenehmes Buch.

Eva Schmidt: Die untalentierte Lügnerin. Jung und Jung. 210 Seiten. 22 €.

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