Es war im letzten Jahr eine erfreuliche Überraschung, als sich vernehmen ließ, dass bisher unveröffentlichte Erzählungen Truman Capotes aufgetaucht seien. Ursprünglich waren Anuschka Roshani und Peter Haag bloß auf der Suche nach weiteren Fragmenten von Capotes unvollendetem Opus Magnum ,Erhörte Gebete‘. Stattdessen fand man eben diese Erzählungen, die Truman Capote irgendwann zwischem seinem 14. und 16. Lebensjahr verfasst haben mag. Sie sind voller Wärme und Mitgefühl für die Einsamen und Ausgestoßenen.
Das ZEIT-Magazin druckte im letzten Oktober vorab bereits vier Kurzgeschichten als Vorgeschmack auf den nun bei Kein & Aber erschienenen Erzählband ,Wo die Welt anfängt’. (eine im Magazin vorab bereits gedruckte Geschichte, “Samstagnacht” fehlt allerdings, sie handelte von der folgenreichen Begegnung eines schwarzen Liebespaars). Viele der Erzählungen sind Erstveröffentlichungen, manche sind bereits in den 40er Jahren in der Highschool Zeitung “The Green Witch” erschienen. Capote hatte früh den Entschluss gefasst, Schriftsteller zu werden und arbeitete so hart wie diszipliniert an seinem Vorankommen. Mehrmals gewann er Schreibwettbewerbe. Und tatsächlich ist erstaunlich, wie reif seine Erzählungen bereits klingen, wie sehr sie geprägt sind von dem Einfühlungsvermögen und der Solidarisierung mit denen, die das Leben nicht verwöhnt. Sei es nun die alte Miss Belle Rankin, die von einer ganzen Kleinstadt ihrer Sonderlichkeit wegen gemieden wird oder der kleine Teddy, dessen Eltern deutlich mehr Lebenszeit im Theater und auf Cocktailempfängen verbringen als bei ihrem Sohn. Mindestens letzteres dürfte autobiographisch inspiriert sein, denn Capote litt selbst zeitlebens unter der Abwesenheit und dem Desinteresse seiner Mutter, die das gesellschaftliche Parkett ihrer Familie vorzog.
Es war der erste Februar. Der Morgen war dumpf und grau angebrochen, und perlweiße Schlieren überzogen den Himmel. Draußen war es kalt und still, und nur unregelmäßig fraßen sich hungrige Windböen in die grauen, leblosen Äste der riesigen Bäume, die die zerfallenden Ruinen des einst so majestätischen Rose Lawn umgaben, wo Miss Rankin wohnte.
Viele von Capotes Protagonisten sind noch Kinder. Sie träumen und fantasieren vom Ruhm, sie klauen, ohne zu wissen, weshalb. Sie fallen einem entlaufenen Straftäter zum Opfer. Weit mehr als andere Autoren in dieser Zeit bekümmern Capote auch die Lebensbedingungen der Schwarzen, die in seinen Texten immer respektvoll und menschlich geschildert werden (das Wort ,Neger’ wurde von Ulrich Blumenbach so im Text belassen, wie es Capote schrieb). Sie haben Wünsche und Träume, sind nicht nur Haushälter und Bedienstete, sondern Freunde und Bezugspersonen. “Wo die Welt anfängt” erzählt auf lebendige und charismatische Art von der Behauptung in einer Welt, die nicht immer leicht zu ertragen ist in ihrer so zufälligen und unberechenbaren Wesensart. Einmal kommt gar der Tod zu Besuch. Zwischen diesen Außenseitergeschichten aber blitzt auch der scharfzüngige, zur Boshaftigkeit neigende Capote auf, insbesondere in der bösartigen Erzählung “Seelenverwandte”, die sich um zwei ältliche Damen dreht. Die betrauern, so scheint es zunächst, den Unfalltod eines Ehegatten der beiden, bis sie schließlich im Dialog zu dem Ergebnis kommen, dass sie beide ohne ihre Männer ein weit komfortableres Leben führen könnten. Es ist gutgemeinte Anstiftung zum Mord zwischen Häkeldeckchen und einem Tässchen Tee.
“Die Sorte kenne ich”, sagte Mrs. Rittenhouse säuerlich. “Halten sich für das Rückgrat der Nation, dabei sind sie nicht einmal nützliche Störenfriede. Es läuft doch auf Folgendes hinaus, Teuerste: Wenn sie kein Geld haben – muss man sie loswerden. Und wenn sie Geld haben – wer könnte das dann besser ausgeben als unsereins?”
In manch einem Text experimentiert Capote mit verschiedenen Erzählformen, collagenartigen Montagen von Momentaufnahmen, die schließlich unerwartet aufgelöst werden. Von Zeit zu Zeit macht er unter seinen Texten sogar selbst Anmerkungen zu Stil und Umsetzung. Er war sich der Fallstricke und Schwierigkeiten des Erzählens sehr bewusst und prüfte sein eigenes Schreiben mindestens ebenso kritisch wie das der anderen. Zu einiger Berühmtheit brachte es ja sein Ausspruch: “That’s not writing, that’s typing” – gemeint war das Werk Jack Kerouacs. Dieser frühe Erzählband vereint bereits viele von Capotes Qualitäten – Empathie, Natürlichkeit, Prägnanz, Charme, Humor und eine hervorragende Beobachtungsgabe. Das Talent und die Kunstfertigkeit des Autors sind unverkennbar, wenn mancher Geschichte auch ein oder zwei Seiten mehr nicht schlecht zu Gesicht gestanden hätten. Für Liebhaber Capotes ist ,Wo die Welt anfängt’ ohnehin eine Pflichtlektüre, allen anderen sei sie dennoch mit Nachdruck ans Herz gelegt.
Truman Capote: Wo die Welt anfängt
Aus dem Amerikanischen von Ulrich Blumenbach
Kein & Aber,
160 Seiten
18,90 €
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