In seinem verschachtelten Debütroman erzählt Franz Friedrich von den so plötzlich und unerklärlich schweigenden Lapplandmeisen der finnischen Landschaft Uusima, von einer amerikanischen Studentin, einer verschwundenen Dokumentarfilmerin und einem Flugzeugabsturz. Alles zwar in sich logisch und miteinander verwoben, doch man hätte aus diesem Roman mühelos mehrere einzelne machen können.
Man munkelte, die Meisen hätten ihren Gesang auf den Weg zu den Sternen verloren. Wer zu hoch hinaus will, muss Verluste in Kauf nehmen. Tatsächlich sind sich aber die Wissenschaftler in höchstem Maße uneins darüber, weshalb der kleine Vogel im Federkleid des Alters plötzlich so still geworden ist. Weil man eine vom Menschen verursachte Umweltkatastrophe vermutet, wird der Landstrich evakuiert. Menschen müssen ihre Heimat verlassen, bleiben im Unklaren darüber, ob und wann sie zurückkehren können. Einzig die Forscher und Dokumentarfilmerin Susanne Sendler dürfen sich in Uusima aufhalten, Messungen durchführen und die kleinen Vögel beobachten, denen es mit ihrem plötzlichen Schweigen, letztlich mit ihrer Untätigkeit gelungen ist, viele Menschen auf einmal zu vertreiben. Susanne Sendler, die kurz darauf verschwindet, nennt ihren Dokumentarfilm: Die Meisen von Uusima singen nicht mehr.
Die Gefahren der Sprachlosigkeit: Der Blick verklärt sich, wird schwärmerisch und sentimental oder schlägt ins Gegenteil um, wird bösartig und ungerecht.
An ganz anderer Stelle sitzt ein Mann, der die letzte Kopie von Susanne Sendlers Dokumentarfilm versehentlich zerstörte, im Flugzeug auf dem Weg nach Uusima. Auch er ist von dem plötzlichen Verstummen der Tiere so fasziniert, dass er sich nahezu besessen diesem Thema widmet. An seinem Zielort jedoch kommt er gar nicht erst an, weil das Flugzeug in der Einöde abstürzt. Der dritte rote Faden ist die Geschichte von Monika Meadows, einer Amerikanerin, die zum Studieren nach Berlin gekommen ist. Sie beschäftigt sich u.a. mit Sowjet – und DDR-Architektur, recherchiert in alten Fachzeitschriften und ist doch letztlich völlig unfähig, ihre Dissertation zu beenden. Ihr Stipendium läuft aus und sie droht, in die USA zurückgeschickt zu werden. Zunächst ist gänzlich unklar, was diese Frau mit Uusima und den Meisen zu tun hat und obwohl es sich letztlich irgendwie klärt, bleibt der Geschmack zurück, dass es hier eigentlich keinen direkten Zusammenhang gibt. Außer, dass auch sie ihre Heimat verlassen hat, ähnlich wie auch die Bewohner Uusimas – doch nicht etwa wegen der Untätigkeit eines Tiers. Vielmehr ist es ihre eigene Untätigkeit, die sie bald in ihre Heimat zurückbringen wird.
Tiere mögen es, umworben zu werden, sie schätzen Höflichkeit, davon war ich überzeugt. Bei der Begegnung zwischen Vogel und Mensch handelt es sich um ein Ereignis, das beide Seiten in Aufregung versetzt. Der Ornithologe, so glaubte ich, sollte dafür keine Kriegsmontur wählen, sondern seine schönsten Kleider.
Solide und kunstfertig verwebt Franz Friedrich die verschiedenen Erzählstränge miteinander – auch wenn nicht immer klar ist, wo genau die Anknüpfungspunkte liegen -, eine angenehme Sprache trägt den Roman. Und doch habe ich ein Problem mit ihm: Ich verstehe ihn nicht. Es liegen Jahrzehnte zwischen den Erzählsträngen, ganz zuletzt beginnen auch die Meisen wieder zu singen, ohne, dass wir erfahren, weshalb sie es jemals unterlassen haben. In kleinen Szenen des Romans steckt komprimiert sehr viel von unserer Zeit, die für den einen oder anderen schlicht erbarmungslos ist. So übergibt die Mitarbeiterin der Ausländerbehörde Monika Meadows mit dem Hinweis auf Kennedy und die Luftbrücke einige Lebensmittelgutscheine und Marken für den Waschsalon. Man habe das von damals ja nicht vergessen. Eine Geste, in der mehr als nur ein Hauch Zynismus steckt. Doch was hat das mit Uusima oder den Meisen zu tun? Franz Friedrich, der am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig studierte, hat einen Roman geschrieben, über den man trefflich streiten und diskutieren kann. Einen Roman, in dem die einen ein geschichtliches und gesellschaftliches Panorama erblicken. Und die anderen: kleine, wohl arrangierte Szenen und Handlungsabschnitte, die hin und wieder die Macht der Natur über den Menschen einfangen. Aber sonst: Ratlosigkeit. Vielleicht auch ein Gefühl unserer Zeit.
Franz Friedrich steht mit seinem Roman auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2014. Eine weitere Rezension gibts bei buzzaldrins und ein Interview für das Hundertvierzehn-Magazin des Fischer Verlages führte The Daily Frown-Blogger Fabian Thomas mit Franz Friedrich.
Franz Friedrich: Die Meisen von Uusima singen nicht mehr, Fischer Verlag, 316 Seiten, 9783100022325, 19,99 €
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