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Manuel Niedermeier – Durch frühen Morgennebel

Zwei junge Männer lernen sich an Bord eines Forschungsschiffes kennen. Der eine Fotograf, der andere Biologe. Der eine unter allen Umständen in seine Fotografie vernarrt, der andere stetig taumelnd am Rande eines Abgrunds. Es ist ein eisschollenhaftes Treiben durch die Nordostpassage, geradewegs in die Katastrophe hinein, die das Zentrum dieses Debütromans bildet.

Ein Bild ist der Aggregatwechsel eines Moments.

Clemens ist Fotograf. Gemeinsam mit Meteorologen, Biologen und Seeleuten ist er auf dem Weg nach Wrangler Island, einer kleinen Insel im Arktischen Ozean, nahe Sibirien. Er will fotografieren, den Moment herauslösen aus der fließenden Zeit, ihn konservieren und retten vor der Vergänglichkeit. An Bord trifft er auf John, einen Biologen, der sich studienbedingt mit dem Kommunikationsverhalten von Belugawalen beschäftigt. Die Population soll vor Wrangler Island besonders hoch sein, deshalb nimmt er an dieser sechsmonatigen Expedition teil. Schnell bemerkt Clemens die Instabilität seines Kabinengenossen. Er schläft nur wenige Stunden in der Nacht, wälzt sich im Bett herum, spricht im Schlaf in fremder Sprache, schreckt schreiend hoch.

Rollender Seegang beizte das Polarmeer grau. Kein Unterschied mehr zwischen Himmel und Ozean, kein Anhaltspunkt, wo der eine begann, der andere endete. Und überall Schneeflocken, weißes Flimmern.Es roch nach Salz, nach Kälte.

Parallel zu der voranschreitenden Expedition, die zusehends vom langsam zufrierenden Meer bedroht wird, erfahren wir in der Rückschau mehr von Johns Dämonen, die ihn in der Verlassenheit der Arktis bedrohen. Seine Freundin Laura, die er auf einem Konzert kennenlernt, ihre beginnende Affäre, die Entfremdung von ihrem Freund Philipp, den sie ohnehin nur mehr an Wochenenden sieht. Wochenenden, an denen er wie besessen an Drehbüchern schreibt, die er danach vernichtet, völlig versunken und verloren in einer alternativen Wirklichkeit. Eines Abends dann, als sie mit John ihre Wohnung betritt, kommt es zur Eskalation – wenn die auch bei Manuel Niedermeier immernoch merkwürdig beiläufig daherkommt.

Während das Forschungsschiff immer tiefer in vereistes Gelände vordringt, versucht Clemens, seinem Freund dessen Geheimnis zu entlocken, ihn zum Reden zu bringen, irgendwann zwischen zwei Zigaretten, die er unaufhörlich raucht. Und eines Abends, das Schiff sucht gerade einen Weg aus dichtem Eis, bekommt John einen Brief von Laura – und geht, vor Clemens’ Augen, über Bord. Statt ihn zu retten – oder wenigstens den Versuch zu unternehmen – zückt er seine Kamera und bannt Johns letzten Moment auf Film. Der letzte Moment, bevor John von der Strömung erfasst und unter das Eis gezogen wird.

Ich habe gesehen, wie er fällt, ganz langsam. Sein Körper kippte über die Reling. Ich müsste nur drei Schritte nach vorne machen und ihn festhalten … Doch ich schaue ihm eine Ewigkeit zu.

Sowohl Clemens als auch John werden – bedingt durch ihre Leidenschaften – jeweils Schuldige in einer Tragödie. Ob sie tatsächlich anders gekonnt hätten, ob sie tatsächlich schuldig sind oder nur unweigerlich beteiligt an der schicksalhaften Entscheidung eines anderen, bleibt offen und zu diskutieren. Manuel Niedermeiers Prosa ist dicht, so komprimiert wie die Eisblöcke, die fortwährend den Bug des Schiffes rammen. Manchmal fast auf Stichsätze verkürzt, verzichtet diese Sprache auf jede Verzierung, – sie ist kühl und direkt. Passend zur Umgebung.

Nichtsdestotrotz hätte ein bisschen Beiwerk diesem Debütroman gut getan. Hin und wieder mangelt es an Hintergrundinformation, weshalb John im Traum immer wieder etwas auf Lakota – einem Sioux-Dialekt – murmelt, bleibt weitgehend ungeklärt, genauso wie Johns “Unfall” oder gar seine bewusste Entscheidung, wie auch Clemens’ Untätigkeit. Wenig erfährt der Leser überhaupt von ihm und seinem Charakter, abgesehen von seiner Begeisterung für Fotografie. ,Durch frühen Morgennebel‘ zeigt gute inhaltliche und stilistische Ansätze, besticht durch atmosphärische Beschreibungen, die den Leser teilhaben lassen an dieser besonderen Arktis-Expedition. Insgesamt lässt der Roman aber leider zu viel unversucht und unausgesprochen, um wahrhaft überzeugend zu sein.

Manuel Niedermeier: Durch frühen Morgennebel, C.H. Beck Verlag, 219 Seiten, 9783406659546, 18,95 €

Eine Rezension gibt es auch auf ,Lesen macht glücklich‘.

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