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Kerstin Preiwuß – Restwärme

Eine junge Frau kämpft mit ihren eigenen und den Dämonen ihrer Familie, deren Ursprünge tief in deutscher Geschichte verwurzelt sind. Was in der Lesung von Kerstin Preiwuß beim diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis vielmehr wie eine Einführung in die Nerzzucht vor dem fast schmerzlich hervortretenden Hintergrund des Holocaust anmutete, präsentiert sich im Ganzen als eine Familiengeschichte wie es viele gibt. Überschattet von Erinnerungen, die selbst Jahrzehnte später das Handeln beeinflussen.

Wenn man über den Titel ,Restwärme’ nachdenkt, beschleicht einen das Gefühl, dass es nur ein kleiner Rest Wärme sein kann, der in dieser Familie zurückgeblieben ist. Genug, um das Weiterleben zu ermöglichen, gerade so. Kein Quäntchen zuviel Herzlichkeit. Protagonistin Marianne fährt aus Berlin in die mecklenburgische Provinz, um ihre Familie zu besuchen. Anlass ist der Tod des Vaters, der die Familie über Jahre hinweg mit seinem Jähzorn, seinem Alkoholkosum und seiner Eifersucht terrorisierte. Bei Nachbarn und Dorfbewohnern ein geschätzter und anerkannter Mann, für seine Angehörigen ein Löwe, der in der Höhle nun endlich Luft zum Atmen lässt. Im Wechsel zwischen Rückblenden und Gegenwart gewährt Kerstin Preiwuß Einblick in diese Familie, die das Leben schon früh hat hart und starr werden lassen.

Es war unversehens über sie gekommen. Das Wort Zuhause hatte sich in ihr gebildet, ohne, dass sie sich dagegen wehren konnte. Es passte nicht mehr. Es passte immernoch. Es hing an ihr und ließ nicht los. Eine Umklammerung, die nach außen wie eine Umarmung wirkte, der man den Würgegriff aber nur nicht gleich ansah.

Mariannes Großvater war bereits im Krieg verwundet worden und erblindete daraufhin. Von dieser plötzlichen Isolation zutiefst getroffen findet er zwar trotz aller Hoffnungslosigkeit eine Frau und zeugt sogar ein Kind, doch die Frau stirbt bei der Geburt. Der Sohn, Mariannes Vater, überlebt, kennt aber bereits von kleinauf wenig Zuneigung. Von einer resoluten Frau aufgezogen, die von seinem Vater im Gegenzug Hilfe in ihrem Lebensmittelladen erwartet, lernt Mariannes Vater, dass Härte und Unbeugsamkeit unschätzbare Qualitäten sein können. Auch ihn verändert schließlich der Krieg. Seine Frau, Mariannes Mutter, lernt er auf einem abgelegenen Bauernhof kennen, er ist Soldat, Mariannes Mutter Flüchtling.

Von Mutter ist nicht viel zu sehen, sie lebt in ihrer eigenen Welt. Vater bietet ihr keine gemeinsame an, trägt ihr nur seine auf.

In präziser, schmuckloser Sprache beschreibt Kerstin Preiwuß Mariannes Kindheit, die von den Schlägen des Vaters geprägt ist. Meistens ist es ihr Bruder Hans, der dem Vater ausgeliefert ist, schutzlos und hilflos, der in der Gegenwart kalt und allein noch immer gemeinsam mit seinen Eltern lebt. Die Mutter nimmt die Gewalt zur Kenntnis, aber verhindert sie nicht. Wenn er das Kind schon schlagen müsse, dann doch dort, wo man es nicht auf den ersten Blick sehe. Auch gegen seine Frau ist der Tyrann erbarmungslos, unterstellt ihr laufend Affären, nimmt sich im Ehebett, was er für notwendig hält. Er arbeitet sich Stück für Stück an seiner eigenen Lebensohnmacht ab, ohne großen Erfolg. Immer wieder begegnen einem in ,Restwärme’ Bilder, die den Kampf illustrieren, immer wieder siegt der Mächtige über den Schwächeren. Sei es der Vater über die Kinder, über ein wehrloses Tier oder seien es die Erinnerungen über den Vater, die Natur über den Menschen. Der Kampf ist längst nicht ausgefochten.

Mit dem Größerwerden bekommen die Ereignisse Schatten.

Zwar spielt sich Vieles in diesem familiären Drama vor dem Hintergrund traumatischer Kriegserfahrungen ab, erst durch diese Grauen wird die Deformation der Familie denkbar. Familien wie Mariannes aber gibt es viele. Menschen, deren Erinnerungen an zuhause sie nicht loslassen, deren Zuhause sie gleichzeitig verfluchen und auf gleichsam selbstzerstörerische Art vermissen. Trotz ihrer schnörkellosen Sprache gelingt Kerstin Preiwuß eine bedrückende, eine hoffnungslose Stimmung. Gelegentlich unterbrochen von Exkursen zu bestimmten Themen, die in ihrem Umfang und ihrer Genauigkeit zwar beeindruckend, für den Fluss der Geschichte aber eher störend sind. Dazu gehört bereits die beim Bachmannpreis präsentierte Nerzzucht, die unter ihrem symbolischen Gewicht beinahe zusammenbricht, sicherlich aber nicht repräsentativ für dieses Buch ist! Hier wollte sie, scheint mir, zuviel. Nichtsdestotrotz gelingt Kerstin Preiwuß, die zuvor zwei Gedichtbände veröffentlichte, ein stimmungsvoller Roman über Erinnerung und Ohnmacht.

Kerstin Preiwuß – Restwärme, Berlin Verlag, 239 Seiten, 9783827012319, 18,99 €

Eine weitere Besprechung findet ihr im Bücherwurmloch.

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