Alle Artikel mit dem Schlagwort: berlin verlag

Über Apollokalypse: Ein Streitgespräch

“Apollokalypse” ist ein polarisierender Longlistkandidat. Entweder, man bricht angesichts seiner verwinkelten und überdrehten Machart in Lobeshymnen aus oder man lehnt seine Maniriertheit und zahllosen Anspielungen auf Literatur, Kultur und Historie ab. Mit dem begeisterten Buchpreisbloggerkollegen Gérard Otremba habe ich über das sprachgewordene Enfant terrible gesprochen. Er ist voll des Lobes, ich bin von den überkandidelten Spirenzchen des Romans ermüdet. Sophie: Was würdest du als größte Qualität des Romans bezeichnen? Gérard: Die intellektuelle Herausforderung, die “Apollokalypse” zweifellos darstellt. S: Ja, ich gebe dir insofern Recht, dass der Text seinen Lesern durch den Anspielungsreichtum eine Menge abverlangt. Ihn zu dechiffrieren, ist schon eine Herausforderung. Ab irgendeinem Punkt aber waren mir all diese Anspielungen und Verweise zu anstrengend, zu gewollt, zu konstruiert. Als wollte jemand unbedingt all sein Wissen in einen einzigen Roman pressen und alles auf wahnwitzige Weise miteinander verbinden. Falkner hat sehr lange an diesem Roman gearbeitet, ein paar Jahrzehnte, – so liest er sich. Als hätte er zu viel Zeit zum Reifen gehabt und wäre dadurch ungenießbar geworden. G: Deine Ausführungen sind vollkommen richtig, bis …

Katharina Hartwell – Der Dieb in der Nacht

Als Paul in Prag bei einem seiner Fotoaufträge auf einen jungen Mann trifft, verändert sich schlagartig sein bisheriges Leben. Dieser Mann, der sich Ira Blixen nennt, erinnert ihn in seinen Bewegungen und Gesten frappierend an Felix, seinen Schulfreund, der vor vielen Jahren an einem Sommertag spurlos verschwand. Je länger er diesen Ira Blixen betrachtet, desto sicherer ist er sich, dass es sich dabei um Felix handelt. Und in dieser Überzeugung öffnet er ihm sein Leben. Ein spannendes Spiel mit Identität und Realität beginnt. Als vor knapp zwei Jahren Katharina Hartwells Debütroman ,Das Fremde Meer’ erschien, löste er vielerorts, insbesondere online, große Begeisterung aus. Ihre packende Sprache und das nahezu mühelose Spiel mit Perspektiven hat den Roman getragen und aus der Masse herausgehoben. Auch in ,Der Dieb der Nacht’ geht es um ein Spiel, allerdings weniger mit Perspektiven als mit Realitäten. Als Louises Bruder Felix kurz nach dem Abitur spurlos verschwindet, ist nichts mehr wie es war. Nicht nur mit dem Verschwinden muss die Familie fortan leben, sondern auch mit der quälenden Ungewissheit. Was genau geschehen …

Inger-Maria Mahlke – Wie ihr wollt

In Inger-Maria Mahlkes neuem Roman geht es königlich zu. Im Mittelpunkt royaler Verstrickungen steht Mary Grey, kleinwüchsige Großnichte Heinrichs VIII und Schwester der ,Neuntagekönigin’ Jane Grey. Weil sie unerlaubt geheiratet hat, wird sie unter Hausarrest gestellt, wo sie 1571 versucht, ihrer scheinbar ausweglosen Situation wenigstens eine Retrospektive für die Nachwelt abzuringen. Anfang 2013 schrieb Inger-Maria Mahlke noch über die Trostlosigkeit eines Mietshauses und seine Bewohner (“Rechnung offen“), knapp zwei Jahre später über die Trostlosigkeit von Königshäusern und deren strengen, atemraubenden Reglementierungen moralischer Art. Mary Grey steht zum Zeitpunkt ihrer Aufzeichnungen unter Hausarrest, nachdem sie heimlich den Pförtner Thomas Keyes geheiratet hat. Bereits ihre Schwester Catherine Grey war wegen einer heimlichen Heirat in Ungnade gefallen, sie war also gewarnt. Zwar hätte Mary Grey, die als hässlich und verkrüppelt galt, mutmaßlich niemals als Thronerbin in Frage gekommen, Eheschließungen mussten aber dennoch mit Königin Elisabeth abgesprochen sein. Sie wird also aufgrund ihres royalen Ungehorsams bei Thomas Gresham, einem königlichen Diplomaten im Ruhestand, auf dem Landsitz Bishopsgate, einquartiert. Den Landsitz darf sie nicht verlassen, oft genug verlässt sie nicht …

James Salter – Jäger

1956 erschien ,Jäger’ zum ersten Mal und ist seit Oktober 2014 auch in deutscher Sprache zu haben. Basierend auf seinem Einsatz im Koreakrieg schrieb James Salter einen Roman voller Rivalität, Kampfgeist und Aufopferung für die Truppe von Kampffliegern, die einem feindlichen Phantom und dem eigenen Heldentum hinterherjagen. 1958 verfilmt kennt man die Geschichte unter den Titeln ,Kampfflieger‘ oder ,Kampfgeschwader Kobra’. James Salter flog mehr als hundert Einsätze als Kampfpilot in Korea. Basierend auf diesen Erfahrungen schrieb er seinen ersten Roman, bevor er seinen Dienst quittierte und sich gänzlich dem Schreiben zuwandte. Cleve Connell ist im Roman ein erfahrener und dekorierter Flieger als er in Korea eintrifft. Er wird als Schwarmführer eingesetzt und befehligt eine kleine Gruppe von Männern, mit denen er regelmäßig auf die Jagd geht. Die Jagd nach feindlichen MiGs, deren Abschuss den Fliegern große Anerkennung und Bewunderung einbringt. Fünf MiGs abgeschossen zu haben, bedeutet ein Ass zu sein, ein Fliegerass, ein Bewunderter unter vielen, die dasselbe wollen. Und während einige sich wagemutig zum Helden aufschwingen, gelingt Cleve Connell einfach kein Abschuss. Es war …

Kerstin Preiwuß – Restwärme

Eine junge Frau kämpft mit ihren eigenen und den Dämonen ihrer Familie, deren Ursprünge tief in deutscher Geschichte verwurzelt sind. Was in der Lesung von Kerstin Preiwuß beim diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis vielmehr wie eine Einführung in die Nerzzucht vor dem fast schmerzlich hervortretenden Hintergrund des Holocaust anmutete, präsentiert sich im Ganzen als eine Familiengeschichte wie es viele gibt. Überschattet von Erinnerungen, die selbst Jahrzehnte später das Handeln beeinflussen. Wenn man über den Titel ,Restwärme’ nachdenkt, beschleicht einen das Gefühl, dass es nur ein kleiner Rest Wärme sein kann, der in dieser Familie zurückgeblieben ist. Genug, um das Weiterleben zu ermöglichen, gerade so. Kein Quäntchen zuviel Herzlichkeit. Protagonistin Marianne fährt aus Berlin in die mecklenburgische Provinz, um ihre Familie zu besuchen. Anlass ist der Tod des Vaters, der die Familie über Jahre hinweg mit seinem Jähzorn, seinem Alkoholkosum und seiner Eifersucht terrorisierte. Bei Nachbarn und Dorfbewohnern ein geschätzter und anerkannter Mann, für seine Angehörigen ein Löwe, der in der Höhle nun endlich Luft zum Atmen lässt. Im Wechsel zwischen Rückblenden und Gegenwart gewährt Kerstin Preiwuß Einblick in …

Leif Randt – Schimmernder Dunst über Coby County

Eine Stadt, in der die Glückseligkeit auf der Straße liegt, eine Stadt, deren Erfolgsverwöhntheit man genauso wenig hinterfragt wie seine eigene. Leif Randt führt ein in das Pleasantville der Literatur, an dem keine Zweifel gestattet sind. Wim Endersson ist Literaturagent in Coby County. Einem Ort, an dem die Menschen ausgelassen feiern, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet, an dessen Strand sie sich sonnen, in dessen angrenzendem Meer sie sich abkühlen. Es ist, so sind die Bewohner überzeugt, die beste aller möglichen Welten.

Jochen Rausch – Krieg

Jochen Rausch ist ein deutscher Autor, Musiker und Journalist. In den 80er Jahren war er für den Westdeutschen Rundfunk tätig, seit 2000 ist er Wellenchef des Hörfunkprogramms von 1live. Sein Debütroman Restlicht erschien 2008, 2011 die Kurzgeschichtensammlung Trieb. Sie erschienen,wie auch sein neuester Roman, im Berlin Verlag. Eine abgelegene Hütte hoch in den Bergen, Schnee, widrige Wetterverhältnisse, graue Wolken, ein Mann und ein Hund. Aus diesen Bestandteilen setzt sich zunächst die Kulisse von Jochen Rauschs neuem Roman zusammen. Auf den ersten Seiten sammelt sich bereits eine Beklemmung, die fast mit Händen zu greifen, eine Einsamkeit, die schmerzlich zu spüren ist. Arnold Steins hat sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen, lebt in Isolation und Vergangenheit, die einander bedingen. In den Nächten hört er Schüsse, wenn es denn Schüsse sind. Manchmal hört er auch Schreie. Aber wenn Arnold die Tür aufzieht, nicht weiter als einen Spalt nur, dann sind da nichts als die Dunkelheit und das Rauschen des Waldes, das harmlose Gluckern des Bachs und ein gelegentliches Knacken im Geäst. Hin und wieder schwingt sich ein Vogel …

James Salter – Alles, was ist

James Salter ist ein amerikanischer Autor. Er studierte an der Militärakademie West Point und trat 1945 in die Air Force ein. Zwölf Jahre diente er dort, in den USA, im Pazifik und in Korea. 1956 erschien sein erster Roman ‘The Hunters‘, der vor dem Hintergrund von rund 100 Einsätzen in Korea geschrieben wurde. 1998 erhielt Salter den Faulkner Award. Alles, was ist, erschienen im Berlin Verlag, übersetzt von Beatrice Howeg, kam beinahe übrraschend, hatte Salter doch seit acht Jahren kein Buch mehr veröffentlicht. Ganz unbestritten ist James Salter ein großer Erzähler. Von manch einem bereits auf eine Stufe gestellt mit Flannery O’Connor und Tennesse Williams weiß er in ruhigem und gemäßigtem Ton sein Publikum zu fesseln, kann er mit klassisch traditioneller Erzählkunst begeistern. In seinem neuen Roman gibt Salter uns Einblick in das Leben Philipp Bowmans. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er als Teil der Navy in der Schlacht um Okinawa. Er ist geachtet und respektiert, daran lässt Salter keinen Zweifel aufkommen, als er mit genau dieser Schlacht seinen Roman beginnen lässt. Der Krieg im Pazifik …

Katharina Hartwell – Das fremde Meer

Katharina Hartwell ist eine deutsche Autorin. Sie studierte Anglistik und Amerikanistik, seit 2010 ist sie Studentin des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig. 2009 erhielt sie den MDR-Literaturpreis, 2013 wurde sie Sylter Inselschreiberin. Das Fremde Meer ist Katharina Hartwells erster Roman, erschienen im Berlin Verlag. Ich gehöre zu den Menschen, die glauben, dass sie sich schützen können, wenn sie mit dem Schlimmsten rechnen, dass die Katastrophen immer nur die treffen, die nicht auf sie vorbereitet sind. Dass man ihnen entkommen kann, wenn man sie erwartet. Jan und Marie lernen sich unkonventionell kennen; fast prosaisch erscheint es, als er aus dem steckengebliebenen Universitäts-Paternoster springt und auf ihr landet. Er sei plötzlich vom Himmel gefallen, sagen sie manchmal, wenn man sie nach ihrem ersten Zusammentreffen fragt, das für Marie mit einer leichten Gehirnerschütterung im Krankenhaus endet. Es ist eine dieser Liebesgeschichten, die wie für Hollywood geschrieben zu sein scheinen, die eigentlich auch nur in Hollywood so passieren. Wären da nicht der Unfall und die Notwendigkeit, zu erzählen. Von Anfang an, sich langsam dem Unaussprechlichen nähernd. In zehn verschiedenen Geschichten …

David Markson – Wittgensteins Mätresse

David Markson (1927-2010) war ein amerikanischer Autor. Er war und ist bekannt für einen höchst experimentellen Schreibstil, wenngleich seine Frühwerke auch wenig des postmodernen Virtuosen in sich trugen, der er für viele einmal werden sollte. Zwar wurde David Markson oft bewundernd rezensiert, gar für genial und seiner Zeit weit voraus gehalten, bekannt war er allerdings nur wenigen, zumeist solchen, die selbst schrieben. Seine unkonventionelle Art, Romane zu konzipieren, hielten ihn immer in ausreichendem Sicherheitsabstand zum Mainstreampublikum. Wittgensteins Mätresse (“Wittgensteins Mistress”) erschien erstmals 1988 und wurde nun im Berlin Verlag auf Deutsch veröffentlicht, aus dem Englischen übersetzt von Sissi Tax. Bisweilen, wenn ich nicht wahnsinnig war, wurde ich poetisch stattdessen. Wie um alles in der Welt beschreibt man diesen Roman? Wie beschreibt man dieses Konglomerat aus Eindrücken, Ideen, Empfindungen und Anspielungen? Es handelt sich hier jedenfalls, soviel kann man einleitend sagen, mitnichten um einen herkömmlichen Roman gängiger Struktur, mit gut ausgearbeiteten Charakteren und einem in sich logischen Erzählstrang oder gar mehreren, die, miteinander verflochten, eine unterhaltsame Geschichte ergeben. Wer so etwas erwartet, wird seine Erwartungen bereits …