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Connie Palmen – Die Sünde der Frau

In ihren vier Kurzessays beleuchtet Connie Palmen das Leben von vier Frauen, die sich alle in ähnlicher Weise nicht nur von den Erwartungen ihres Umfelds an das Frausein gelöst, sondern auch eine neue Person erschaffen haben, um ihren Wurzeln zu entkommen. Marilyn Monroe, Patricia Highsmith, Marguerite Duras und Jane Bowles wuchsen vaterlos in schwierigen Verhältnissen auf – und erschufen sich jeweils selbst als Kunstwerk neu.

Auf der Rückseite des ausnehmend schön gestalteten Büchleins steht: Vier Frauen, vier Tragödien. Der Begriff “tragisch” wird heute inflationär verwendet, im Falle Connie Palmens darf man davon ausgehen, dass sie ihn nicht gedankenlos verwendet. Eine tragische Figur zu sein, bedeutet schuldlos schuldig zu werden, hineingeworfen zu werden in Umstände, die letztlich mittels komplizierter Verwicklungen zum Untergang führen. Schuldig geworden sind Monroe, Highsmith, Duras und Bowles vor allem an sich selbst. Ihnen allen gemein ist ein hohes Maß an Selbstzerstörung, ein unerbittlicher Umgang mit dem eigenen Ich. Sie waren Trinkerinnen, tablettenabhängig, depressiv, verzweifelt auf der Suche nach dem wahren Selbst hinter der Kunstfigur. Sie alle gaben sich neue Namen, um die Altlasten ihrer Vergangenheit abzustreifen. Aus Norma Jean Baker wurde Marilyn Monroe, aus Marguerite Donnadieu wurde Marguerite Duras, aus Jane Auer wurde Jane Bowles, aus Mary Patricia Plangman wurde Patricia Highsmith. Es ist ein Schöpfungsakt aus Verzweiflung und Sehnsucht.

Marilyn Monroe ging an der Suche nach der Wahrheit von Marilyn Monroe zugrunde. Sie wollte wissen, wer sie wirklich war. “Ich fürchte, ich bin ein Phantasieprodukt”, sagte sie über sich selbst. Da kenne ich Frauen, die mit weniger Selbsterkenntnis auskommen müssen.

Während Monroe vor der Kamera versucht, der auf den Grund zu gehen, die sie selbst dann noch ist, wenn die Kamera längst nicht mehr aufzeichnegt, widmet sich Duras den grundlegenden Themen des Lebens in all ihrer Schwere und Tiefe. Es geht um Einsamkeit, Sehnsucht, Tod und Hass, sie bricht ungerührt sämtliche Tabus. Noch heute hört man gelegentlich, das seien keine Themen für eine schreibende Frau. Wie nah sich Liebe und Zerstörung sind, hat sie immer wieder ausgelotet, kompromisslos und unerschrocken. Der Alkohol treibt sie dabei an und schließlich in den Abgrund. Drei Mal fällt Duras ins Koma und erholt wich wider Erwarten doch immer wieder. Sie wird mit Leberversagen, Hirnblutungen, Lähmungen und in psychotischen Zuständen ins Krankenhaus eingeliefert. Was bleibt, ist das Schreiben. Das Schreiben erscheint bei ihr als unverhandelbare Lebensbedingung.

So maßlos sie als Schriftstellerin ist, so maßlos trinkt sie, von frühmorgens bis spätnachts, unvorstellbare Mengen, Whisky, Likör, Wein, manchmal fünf Liter am Tag. Der Alkohol soll die schreckliche Abwesenheit Gottes erträglich machen, die Gleichgültigkeit des Universums gegenüber dem menschlichen Leiden; der Alkohol soll die existentielle Einsamkeit der Autorin lindern, soll sie töten.

Als “unverbesserlichen Schelm” hat Truman Capote Jane Bowles beschrieben, denen literarische Hinterlassenschaft im Vergleich leider sehr gering ausfällt. Bis heute ist ungeklärt, ob sie vergiftet wurde oder ihr Alkoholkonsum verantwortlich ist für einen Schlaganfall, der ihr Sprachzentrum nachhaltig zerstört. Patricia Highsmith wandelt ihre Aggressionen und Obsessionen in kreative Energie. Ihre Kriminalromane werden meistens aus männlicher Perspektive erzählt, “bei jedem Buch”, so Palmen, “macht Highsmith eine weitgehende Entpersonalisierung durch.” Ihre Bücher sind auch eine Flucht vor sich selbst. Sie identifiziert sich mit ihren Figuren bis zur totalen Selbstaufgabe. Worin genau besteht nun die “Sünde der Frau“? Palmen selbst sagt dazu: Ich betrachte die Erbsünde als Sünde der Imagination. Die von ihr in aller Kürze Porträtierten Frauen beweisen Vorstellungskraft, nicht nur in ihren künstlerischen Hervorbringungen, sondern auch in der Gestaltung ihres eigenen Selbst und ihrer Rolle innerhalb der Gesellschaft:

Sie durchbrechen die Schranken des Anstands, ihres Geschlechts, der herrschenden Moral. Sie tun das, um frei, souverän und autonom zu sein, um nach ihren eigenen Regeln leben zu können. Für alle vier gilt, was Marilyn Monroe in ihrem letzten Interview zu einem Journalisten des Magazins Life sagte: “Wenn ich mich an alle Regeln gehalten hätte, hätte ich es nie zu etwas gebracht.”

Connie Palmens Essays sind mit einfühlsamer Beobachtungsgabe geschrieben. Sie sind pointiert, knapp, mehr gekonnte Skizzen als Gemälde. Sie machen Lust, sich näher mit den Frauen zu befassen, ihre Bücher neu zu lesen (oder, im Falle Monroes: Ihre Filme neu zu sehen). Ich hätte noch mehr lesen wollen, das Buch zog so schnell vorüber wie eine schöne Landschaft auf der anderen Seite des Zugfensters. Palmens Texte sind Schlaglichter, aber unbedingt lesenswert!

Connie Palmen: Die Sünde der Frau. Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers. Diogenes Verlag. 96 Seiten. 16,99 €

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