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Joachim Meyerhoff – Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke

2011 erschien “Alle Toten fliegen hoch – Amerika”, das vom Auslandsaufenthalt und den Teenagerjahren Meyerhoffs erzählte, 2013 folgte “Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“, mit dem er sogar überrasched auf der Longlist des Deutschen Buchpreises landete – und in diesem Jahr nun “Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke”. Der dritte und letzte Teil von Meyerhoffs unwiderstehlich charmant geschriebenen Lebenserinnerungen führt in die Zeit seiner Schauspielausbildung in München.

Während Karl Ove Knausgard, so sagt man, unbarmherzig erzählt und dabei weder sich noch andere schont, gelingt Joachim Meyerhoff in seinen Erinnerungen ein weit versöhnlicherer Tonfall. Beschwingt und humorvoll berichtet er insbesondere im zuletzt erschienenen Roman von seinem Scheitern, seinem Nicht-Hineinpassen und seinen Zweifeln an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Dieses stetige Versagen an den eigenen Ansprüchen wie auch an denen anderer steht im Mittelpunkt des Erzählens. Joachim, der eigentlich vorhatte, seinen Zivildienst beim Rehasport in einem Schwimmbad abzuleisten, wird zu seinem Schrecken als Schauspielschüler an der Otto-Falckenberg-Schule in München aufgenommen. Warum, das ist ihm selbst ein Rätsel. Er betrachtet sich selbst nicht als besonders talentiert und die Rückmeldungen, die er im Laufe seines Schauspielstudiums erhält, scheinen diese Einschätzung eher zu bestätigen als zu widerlegen. Er ist groß und ungelenk. Die Sprecherziehung absolviert er meistens atemlos, der Gesangsunterricht entlockt ihm allenfalls vereinzelt richtige Töne, in der Gruppe entfaltet seine Stimme zerstörerische Wirkung.

Je mehr ich mich verkleidete, je mehr ich mich unter Perücken und Brillen versteckte, desto weniger Angst hatte ich zu spielen. Nur wenn ich mich unkenntlich machte, mein Gesicht auslöschte, mir irgendeinen schwachsinnigen Gang ausdachte, verlor ich meine Scheu. Aber sobald, und das war ja meistens der Fall, ich dazu aufgefordert wurde, “Ich” zu sein, mein Gesicht zu zeigen, bekam ich Panik und verzagte.

Neben dem Schauspielstudium, das Meyerhoff mit allerlei Kuriositäten schildert – so soll er einen Text aus “Effi Briest” als Nilpferd vortragen und mit den Brustwarzen lächeln -, stehen seine Großeltern im Vordergrund. Bei ihnen wohnt er in den Jahren seiner Ausbildung nahe des Nymphenburger Schlosses, ihren Gewohnheiten passt er sich an, selbst wenn sie ihn bisweilen an die Grenzen seiner physischen Belastbarkeit treiben. Hermann und Inge haben trotz ihres fortgeschrittenen Alters noch immer einen straffen Tagesablauf, der vorallendingen von einem Gläschen hier und dort ordnende Struktur erhält. Von Champagner über Wein und Whisky bishin zu Cointreau trinken sich die Großeltern und fortan auch Joachim so gemäßigt wie routiniert zum Tagesende. Meyerhoffs Großmutter arbeitete selbst in jüngeren Jahren an der Otto-Falckenberg-Schule als Lehrerin, sein Großvater ist disziplinierter Philosoph. Joachim ist ihr “Lieberling” und das Nesthäkchen der Familie, der nach dem Unfalltod seines Bruders und der Trennung seiner Eltern nur zu gern dem heimischen Schleswig den Rücken kehrt. Bei seinen Großeltern findet er Halt in unruhigen Zeiten.

Da sie beide – mal mehr, mal weniger – nur noch mühsam laufen konnten, hatten sie sich einen Treppenlift einbauen lassen. Jeden Abend wollten sie einander den Vortritt lassen. Hatten sie sich geeinigt, schwebten sie würdevoll winkend davon. In sanftem Schwung die lange Treppe hoch. Volltrunkene alte Engel.

Trotz aller Skurillitäten des Alters zeichnet Joachim Meyerhoff ein liebenswürdiges, ein von aufrichtigen Gefühlen geleitetes Bild seiner Großeltern. Mögen sie hier und dort zu Unterhaltungszwecken auch überzeichnet worden sein, er verleiht ihnen Kontur und Charme. “Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke”, ein Werther-Zitat und eine präzise Zustandsbeschreibung einer jugendlichen Orientierungslosigkeit, ist stark um die Erfolglosigkeit Joachims herum konzipiert. Viel Komik entsteht gerade durch vergebliche Bemühungen, peinliche Momente und das Absurde mancher Aufgabe innerhalb des Schauspielstudiums. Man darf als Leser an der vermeintlich so offenkundigen Talentlosigkeit des Autors zweifeln, schließlich arbeitet er noch immer erfolgreich als Schauspieler und wurde 2007 zum Schauspieler des Jahres gewählt. Nichtsdestotrotz nimmt diese Durststrecke eines jungen Lebens für den Erzähler ein. Die Anekdotendichte ist hoch. Meyerhoff weiß, wie er das Humoristische aus gewöhnlichen Begebenheiten kitzelt, das Tragikomische betont. Kurzum: er beherrscht das Witzigsein auf bravouröse Art, ohne dabei platt zu sein oder andere vorzuführen. Höchstens gelegentlich sich selbst. Wenn er in einem schonungs – und kompromisslos ist, dann in der Selbstironie. Man lässt sich unheimlich gern von ihm erzählen. Auch dieser dritte Teil ist wieder ausnehmend lesenswert geraten! Wer bei der Lektüre nicht davor zurückscheut, gelegentlich mal laut in den stillen Raum zu lachen, dem sei der Roman dringend empfohlen!

"buchhandel.de/Joachim Meyerhoff: Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke
Kiepenheuer und Witsch,
352 Seiten
21,99 €

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