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Kirsten Fuchs – Mädchenmeute

Charlottes Mutter will ihrer Tochter einen aufregenden Sommer ermöglichen und die Einöde des großelterlichen Provinzdorfes ersparen. Also meldet sie Charlotte, fünfzehn, zu einem Survival Camp für Mädchen an, das elementare Überlebensfähigkeiten in der Natur vermitteln soll. Überraschend tut es das sogar, doch auf eine ganz andere Art als geplant. Kirsten Fuchs’ Roman ist eine jugendliche Abenteuergeschichte über Freundschaft, erste Liebe und Zusammenhalt.

Sie könnten kaum unterschiedlicher sein. Charlotte (die Schüchterne), Bea (die geheimnisvolle Rebellin) Yvette (das verwöhnte Mädchen), Anuschka (die Schöne), Freigunda (die – nicht nur namentlich – etwas Unkonventionelle), Rike (die Lockere) und Antonia (das Nesthäkchen). Trotzdem haben sie sich alle mehr oder weniger freiwillig ins Abenteuer ,heimischer Wald’ begeben, um ein Einklang mit der Natur Hütten zu bauen, am Lagerfeuer Würstchen zu brutzeln und im Mondlicht Schauergeschichten zu erzählen. Aber als sie mit Campleiterin Inken dort eintreffen, ist alles ganz anders als geplant. Ihr Gepäck verschwindet, sie finden Blutspuren an der Wand und auf dem Boden, auf dem kurz zuvor noch ihre Taschen standen. Irgendjemand sperrt sie in die Duschräume ein und dreht die Hauptleitung auf. Survival Expertin Inken verliert angesichts dieser rätselhaften Zwischenfälle schließlich die Nerven. Die Mädchen wiederum, die nun akut die Angst packt, von einer Verrückten zum Überlebenstraining eingeladen worden zu sein, verlassen in Nacht und Nebel das Camp.

Erwachsene waren wie ein Samtvorhang vor einem gruseligen Film. Wenn du einmal hinter diesen Vorhang geschaut hast, bist du fast schon selbst auf der anderen Seite. Dann ist nichts mehr, wie es vorher war. Und wenn du einmal weißt, dass es nicht stimmt, was sie sagen, dann stimmt gar nichts mehr. Nachdem ich Inken in dieser Pfütze gesehen hatte, war für mich der ganze Vorhang für immer abgenommen.

So sang – und klanglos aber wollen sich die Mädchen nicht von ihrem Survivaltrip verabschieden. Schließlich glauben ihre Eltern sie in den nächsten zwei Wochen im Camp und in sicheren Händen. Und so entscheiden sie kurzerhand, ihr eigenes Überlebenstraining zu arrangieren. Mit einem gestohlenen Auto voller Hunde, die sie zu retten glauben, rattern sie auf den Vorschlag von Anuschka ins Erzgebirge und leben dort in einem alten Stollen. Gänzlich auf sich allein gestellt, muss die ,Mädchenmeute’ samt Hunden nun sich und ihr tägliches Leben organisieren. Nachdem sie im nahegelegenen Dorf erfahren, dass ihr Verschwinden aus dem Camp öffentlich und sie genauso wie Campleiterin Inken Gegenstand einer bundesweiten Fahndung geworden sind, entziehen sie sich ganz bewusst weiter der Öffentlichkeit. Kirsten Fuchs schreibt von waghalsigen, von experimentierwilligen Mädchen, denen ihre Grenzen zu eng geworden sind. Das gehört freilich zum Standardrepertoire einer jeden anständig durchlebten Pubertät, doch die Mädchenmeute treibt es weiter. Sie werden durch ihren Freiheitsdrang und ihre vermeintlich rotzfreche Pflichtverweigerung zu Vorbildern. Einfach aussteigen, einfach raus aus der Enge. Das wünschen sich viele Teenager.

Draußen war es doch schön. Ich verstand gar nicht, warum die Menschheit so verrückt danach war, in Häusern zu sein. Schon nach drei Tagen ohne Haus war etwas mit mir geschehen. Etwas Großes. Vielleicht etwas Größeres als ein Haus, das sich darum nur draußen entwickelte. Ich konnte mit der Haut hören und mit dem Hinterkopf sehen.

Kirsten Fuchs weiß als eine der beliebtesten Stars deutscher Lesebühnen ganz genau, wie man Sprache zum Leuchten bringt. Ihre einfühlsame, poetische und nichtsdestoweniger authentische Sprache trägt diese ungewöhnliche Geschichte, die ganz wundervoll auf der Grenze zwischen Erwachsenenroman und Jugendbuch umhermäandert. Für beide ist es geschrieben und beide könnten Gefallen daran finden. Die einen, weil sie sich ganz unmittelbar in den Sorgen, Nöten und Gedanken erkennen. Die anderen, weil sie sich zurückerinnern. Kirsten Fuchs’ Stil ist zackig und humorvoll (wie auch viele ihrer Bühnentexte), sieht man von einigen Landschaftsbeschreibungen ab, die hier und da eine Nuance zu ausufernd geraten. Zwar beginnt man sich mit der Lektüre desöfteren zu fragen: Ist eine solche Geschichte denn wirklich wahrscheinlich? Letztlich antwortet man sich selbst aber so etwas wie: Selbst wenn man begründete Zweifel an der Plausibilität einiger Entscheidungen hegen kann – eine stark fiebernde Dreizehnjährige würde ich vielleicht nach wie vor nicht mit Waldkräutern und Wadenwickeln behandeln -, bleibt am Ende das Gefühl, dass ,Mädchenmeute’ eine Geschichte erzählt, wie sie viele gern erlebt hätten. Eine Art idealisiertes Sommerabenteuer auf der rasanten Fahrt in ein Erwachsenenleben, das so etwas nicht mehr ohne Weiteres ermöglicht!

Man sollte sein Herz nicht an eine Idee hängen. Weißt du, warum? Weil die Idee kein Herz hat.

Kirsten Fuchs: Mädchenmeute, Rowohlt Berlin, 464 Seiten, 9783871347641, 19,95 €

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