Alle Artikel mit dem Schlagwort: Rowohlt

John Dos Passos – Manhattan Transfer

Manhattan Transfer gilt als Klassiker der Großstadtliteratur. Bereits 1925, vier Jahre vor Döblins Berlin Alexanderplatz, erschien Dos Passos’ modernes Großstadtepos und revolutionierte die Art des Schreibens über die Herausforderungen der schlaflosen und gefräßigen Metropolen. In etwas modernere Sprache gekleidet, erschien kürzlich die Neuübersetzung von Dirk van Gunsteren. Die große Stadt ist verheißungsvoll. Frank Sinatra sang einst über New York: “If I can make it there, I’ll make it anywhere.” Allerdings nicht, ohne sogleich die Verantwortung für das persönliche Glück an New York selbst abzutreten: “It’s up to you, New York.” Der ursprünglich aus einem Musikfilm mit Liza Minelli und Robert De Niro stammende Song fasst auf eindrückliche Art den Mythos der Metropole zusammen. Auch zu Beginn des 20.Jahrhunderts zog die Stadt viele in ihren Bann. Man könnte dort jemand werden, erfolgreich sein, sich befreien von einem erbarmungswürdigen Leben in Armut und Bedeutungslosigkeit. Aber statt einer leuchtenden, nimmermüden Gespielin auf dem Weg zum ersehnten Erfolg entpuppt sich New York als kühle, unpersönliche Maschine, die ihre Bewohner ordentlich in die Mangel nimmt und schließlich vernichtet. Dos Passos …

Max Goldt – Räusper

So manches habe ich bereits zu Max Goldt geschrieben. Unter anderem eine nicht ganz ernst gemeinte, aber dann doch erstaunlich tief empfundene Liebeserklärung an den Mann, der nach dem Dafürhalten so mancher (genauer: Gustav Seibt) nicht nur das schönste Deutsch schreibt, sondern in seiner Art in der deutschen Literatur auch noch ziemlich konkurrenz – wenn nicht gar alternativlos ist. In seinem neuen Buch “Räusper” wandelt Goldt Comicstrips, die er ursprünglich mit Stephan Katz gemeinsam erarbeitet hat, in kleine Dramolette um. Bereits auf einer Lesung Anfang des Jahres hatte Goldt sein Vorhaben angekündigt: aus den Comics, die er regelmäßig mit Zeichner Stephan Katz unter dem Namen Katz & Goldt herausgibt, wolle er Dramentexte machen. Ob das eine gute Idee sei oder gelesen überhaupt funktioniere, könne er noch nicht sagen, aber er sei gewillt, es auszuprobieren. Wirken die teils absurden Dialoge und Begebenheiten auch ohne Bebilderung? Es ist durchaus nicht das erste Mal, dass es bei Max Goldt Dialoge in einer Textsammlung gibt. In “Die Chefin verzichtet” debattierten eine Frau und ein Mann noch leidenschaftlich über Hässlichkeit …

Kirsten Fuchs – Mädchenmeute

Charlottes Mutter will ihrer Tochter einen aufregenden Sommer ermöglichen und die Einöde des großelterlichen Provinzdorfes ersparen. Also meldet sie Charlotte, fünfzehn, zu einem Survival Camp für Mädchen an, das elementare Überlebensfähigkeiten in der Natur vermitteln soll. Überraschend tut es das sogar, doch auf eine ganz andere Art als geplant. Kirsten Fuchs’ Roman ist eine jugendliche Abenteuergeschichte über Freundschaft, erste Liebe und Zusammenhalt. Sie könnten kaum unterschiedlicher sein. Charlotte (die Schüchterne), Bea (die geheimnisvolle Rebellin) Yvette (das verwöhnte Mädchen), Anuschka (die Schöne), Freigunda (die – nicht nur namentlich – etwas Unkonventionelle), Rike (die Lockere) und Antonia (das Nesthäkchen). Trotzdem haben sie sich alle mehr oder weniger freiwillig ins Abenteuer ,heimischer Wald’ begeben, um ein Einklang mit der Natur Hütten zu bauen, am Lagerfeuer Würstchen zu brutzeln und im Mondlicht Schauergeschichten zu erzählen. Aber als sie mit Campleiterin Inken dort eintreffen, ist alles ganz anders als geplant. Ihr Gepäck verschwindet, sie finden Blutspuren an der Wand und auf dem Boden, auf dem kurz zuvor noch ihre Taschen standen. Irgendjemand sperrt sie in die Duschräume ein und dreht …

Horst Evers – Wäre ich du, würde ich mich lieben

Horst Evers (eigentlich Gerd Winter) ist ein deutscher Autor und Kabarettist. Aufgewachsen in Niedersachsen studierte er an der FU Berlin Germanistik und Publizistik. 1990 gründete er mit Freunden die Lesebühnenshow “Dr. Seltsams Frühschoppen“. 2002 gewann er den Deutschen Kabarettpreis, 2008 den Deutschen Kleinkunstpreis. Seine Texte werden regelmäßig auf Radio Eins von ihm vorgetragen. In gedruckter Form erscheinen sie im Rowohlt Verlag. Inmitten einer schnelllebigen und wenig verlässlichen Zeit der permanenten Um – und Neugestaltung muss es Autoren geben, die uns Felsen in der Brandung sind. Autoren, von denen wir wissen, dass sie stets und ständig genau die Qualität produzieren, für die man sie so liebt. Autoren, die einen mutmaßlich niemals negativ überraschen würden, weil sie im Vollbesitz ihrer humoristischen Kräfte und eines erstaunlich sicheren Händchens für Pointen des Alltags sind. Autoren wie Horst Evers eben. Vor meinem inneren Auge erscheint ein Bild aus der Vergangenheit. Ich kannte mal eine Katja. Mit Anfang zwanzig war ich einige Wochen mit ihr zusammen. Sie war sprunghaft, extrem temperamentvoll und wirklich anstrengend. “Wäre ich du, würde ich mich lieben”, …

Peter Buwalda – Bonita Avenue

Peter Buwalda ist ein niederländischer Autor. Er arbeitete für eine Musikzeitschrift und als Verlagslektor, bevor er Bonita Avenue, seinen ersten Roman, veröffentlichte. Viereinhalb Jahre arbeitete er daran. Er wurde für neun renommierte Preise nominiert, vier davon gewann er auch, u.a. den Anton-Wachter-Preis für den besten Debütroman 2012. 2013 ist der Roman schließlich im Rowohlt-Verlag auf Deutsch erschienen, aus dem Niederländischen übersetzt von Gregor Seferens. Bereits im Vorfeld, noch vor Veröffentlichung dieses Romans, sah man sich mit wirkmächtigen und höchst gewichtigen Vergleichen im Zusammenhang mit Buwaldas Stil konfrontiert. Wie ein niederländischer Jonathan Franzen sei er, Bonita Avenue gar das Pendant zu Philip Roths ‘Amerikanisches Idyll’. Infolgedessen erwartete man eine Menge, psychologisch brilliante Kompositionen, die Dekonstruktionen von heimeliger Wirklichkeit, die Autopsie von Familie. All das liefert Peter Buwalda in einem absoluten Meisterstück literarischen Schaffens, in einem Buch, das bisher mühelos auf den oberen Plätzen für mein Buch des Jahres rangiert. Buwalda selbst spricht davon, dass sein Roman sich mit der Fragestellung auseinandersetzt, was passiert, wenn die eigenen Kinder sich gegen ihre Eltern richten. Das geschieht zwar, aber …

Max Goldt – Die Chefin verzichtet

Max Goldt (eigentlich Matthias Ernst) ist ein deutscher Autor, Musiker & Zeichner. Er sang in dem NDW-Umfeld beheimateten Duo Foyer des Arts. Er schrieb Kolumnen für das Satiremagazin Titanic und veröffentlicht regelmäßig in Buchform Zusammenstellungen seiner Kolumnen. Seit 1996 arbeitet er mit dem Zeichner Stephan Katz zusammen – sie treten als Duo Katz&Goldt in Erscheinung. Uff. Was könnte ich über Max Goldt sagen, was noch nicht gesagt wurde? Wie kann ich seinen literarischen Verdienst so zusammenfassen, dass es nicht klingt als hätte ich unter Aufbietung all meiner kriminellen Energien eine Imkerei ausgeraubt, um dem Herrn Goldt den gesamten dort verfügbaren Honigbestand ums Maul zu schmieren? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur eines – wer bisher nichts von Max Goldt gelesen hat, hat etwas Grandioses verpasst! Max Goldt ist eine Koryphäe der Alltagsbetrachtung, des scheinbar (!) Belanglosen, ein in nahezu rührender Vertrautheit mit dem Absurden schaffender Lapidarpoet. Auffällig sind natürlich zunächst immer die abstrusen Titel seiner Kolumnensammlungen – “Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens”, “Ä”, “Quiet Quality”, “Die Radiotrinkerin” und viele mehr. In den Büchern selbst …

Eowyn Ivey – Das Schneemädchen

Eowyn Ivey ist eine nordamerikanische Schriftstellerin. Sie studierte Journalismus und Kreatives Schreiben, arbeitete jahrelang als Redakteurin beim Frontiersman Newspaper und ist heute Buchhändlerin. Das Schneemädchen ist ihr Debütroman. Die Geschichte basiert auf der russischen Märchengestalt Snegurotschka (zu deutsch: Schneemädchen oder auch Schneeflöckchen)  Die bekannteste Geschichte entstammt der Märchensammlung Alexander Afanassjews, die von 1855 bis 1863 in acht Heften erschienen ist. Ein altes Ehepaar, das kinderlos geblieben ist, wünscht sich sehnlichst ein Kind. Eines Tages beobachten sie andere Kinder beim Bauen eines Schneemanns und beschließen gemeinsam, ein Mädchen aus Schnee zu bauen. Es erwacht zum Leben und verbringt den Winter mit dem alten Ehepaar, bis es, wenn der Frühling naht, wieder ins Gebirge verschwindet. Viel mehr passiert auch in Eowyn Iveys Adaption der Geschichte nicht. Bloß dass sie das russische Volksmärchen auf hunderte Seiten gestreckt hat, ohne, dass irgendetwas Nennenswertes passiert. Mabel und Jack sind nach Alaska ausgewandert, um dort auf einer Farm zu leben. Die Fehlgeburt Mabels hat die beiden tief erschüttert, teilweise vielleicht sogar verbittert gemacht. Gerade Mabel ist zu Beginn der Geschichte sehr …