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Valerie Fritsch – Winters Garten

In der Geschichte der Menschheit wurde oft genug der Weltuntergang prophezeit. Was aber geschieht, wenn er tatsächlich eintritt – und man noch imstande ist, bewusst dem Ende entgegenzuleben – erzählt Valerie Fritsch in ihrem poetisch-apokalyptischen Roman ,Winters Garten’.

Anton Winter wächst in einer nahezu paradiesischen, aber von städtischer Modernität vollkommen unberührten Gartenkolonie auf. Gemeinsam mit seinen Geschwistern, Eltern und Großeltern erlebt er dort eine unbeschwerte Harmonie, ein Lebensgleichgewicht, das es so später nicht mehr geben wird. Anton ist, selbst als Kind, auf nahezu spirituelle Weise eins mit der Welt, erlebt Geburten und den Tod gleichermaßen, erkennt den Lauf der Dinge als gegeben und akzeptiert ihn widerstandslos. Während seine Eltern ihm eher in sich gekehrt und abwesend erscheinen, kann er von den Geschichten seiner Großeltern kaum genug bekommen. Sie formen ihm eine Welt außerhalb des Gartens, denn den verlässt er nicht. Zwar gibt es weiter entfernt eine Stadt am Meer, doch die kennen die meisten nur vom Hörensagen. Niemanden zieht es dorthin. Unsere Gesellschaft, wie wir sie kennen, hat sich ohnehin längst aufgelöst.

Die Gartenkolonie war einst von Fabrikantensöhnen und Naturärzten, von schmallippigen Asketen und ein paar Gelehrten, von Bauern und hochgewachsenen Frauen mit Strohhüten gegründet worden, als der Staat sich auflöste und die Stadt trost- und der Mensch so ratlos geworden war, dass er in die Natur gehen musste, um sich zu erneuern.

Aber weil jede Kindheit irgendwann einmal endet, überhaupt alles irgendwann ein Ende findet, landet Anton doch als Vogelzüchter in der Stadt. Dass die Welt untergehen wird – oder wenigstens vor fatalen und tiefgreifenden Einschnitten steht, so genau weiß das niemand – ist da bereits sicher. Es herrscht eine alles glättende Gleichberechtigung unter den Bewohnern, sie alle leben jetzt mit derselben, unabwendbaren Zukunft. Ab jetzt kann es ganz egal sein, wer welchen Erfolg für sich beanspruchen, wer etwas aus sich machen kann und wer nicht, die Triebfedern des modernen Lebens, – Leistung, Luxus, Anspruch, Profilierung, Erfolg – erlahmen langsam. Stetig peitschen Gewitter über die Dächer, die Straßen sind leer, allenfalls bevölkert von denen, die sich das Leben nehmen wollen, bevor es ihnen genommen wird.

Niemand fühlte sich übervorteilt, niemand erwartete Versprechungen in diesen Tagen. Man war verloren genug, sich in jedem zu finden.

Anton findet sich in Frederike. Sie ist Offizierin, hat viel von der Welt gesehen und arbeitet nun im städtischen Krankenhaus. Noch immer werden Kinder geboren. Statt in die Ungewissheit des Lebens in die Gewissheit seines baldigen Endes. Wie liebt man sich am Ende aller Tage? Wie findet man sich, in sich selbst und im anderen, wenn alles andere verloren ist? Valerie Fritschs ungewöhnlichem Weltentwurf gelingt nicht nur eine Menschheitsgeschichte im Zeitraffer – die “Vertreibung” aus einem Garten fats paradiesischer Art zum Ende aller Dinge -, sondern auch ein Roman voller Wärme und Poesie. Man kann nicht umhin, zu bemerken, dass Valerie Fritschs melodiöser und metaphernreicher Umgang mit Sprache nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass sie bereits Gedichtbände veröffentlicht hat. (so z.B. Kinder der Unschärferelation, gemeinsam mit ihrer Mutter Gudrun Fritsch) Sie kann jonglieren, mit Worten und ihren Stimmungen. Der Sound dieser Sprache ist abgründig schön, die Bilder von einer ganz eigenen Verlorenheit. Es ist eine ruhige, eine sehr innige Geschichte, die Valerie Fritsch in ,Winters Garten‘ erzählt – und das, trotzdem es um so brachiale Dinge wie das nahende Weltende geht. Von dem niemand genau weiß, wie es aussehen wird. Und ob etwas folgt. Auch, wenn der dystopische Blick auf unsere Zukunft sich so großer Beliebtheit erfreut, dass sie fast an Übersättigung grenzt, sei der Blick in ,Winters Garten’ dringend empfohlen – weil es eben anders ist. Eine faszinierende Intimität in Sprache und Geschichte, während draußen alles zerfällt.

Mit der Liebe beginnt eine permanente Anpassungsleistung, die im erlösenden Phänomen der Ähnlichkeit und Nähe mündet.

Valerie Fritsch: Winters Garten, Suhrkamp Verlag, 154 Seiten, 9783518424711, 16,95 €

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