Erzählungen, Rezensionen
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Daniela Krien – Muldental

Der Muldentalkreis gehört bereits seit einiger Zeit der Vergangenheit an, bis 2008 lag er im Norden von Sachsen. Benannt nach der Mulde, dem dortigen Fluss. Daniela Krien, deren Romandebüt ,Irgendwann werden wir uns alles erzählen‘ 2011 große Erfolge feierte, erzählt in ,Muldental‘ nun die Geschichten von Menschen, die zurückgelassen wurden. Menschen, die man zynisch oft Wendeverlierer nannte, Kollateralschäden der deutschen Wiedervereinigung. Es sind zehn Geschichten von außerordentlicher Wucht und Klarheit.

Wer an den Mauerfall denkt, sieht vor seinem inneren Auge jubelnde Menschen, die sich in den Armen liegen. Erinnert sich an verheißungsvolle Zukunftspläne, das Gefühl der plötzlichen Freiheit, wenn man aus dem Osten kam. Nicht für alle lief der Prozess der Wiedervereinigung schmerzlos ab, manche blieben zurück in dem, was sie seit Jahrzehnten kannten und plötzlich Vergangenheit geworden war. Daniela Kriens Erzählungen legen den Finger direkt in die Wunde, mit nahezu erbarmungsloser Präzision lässt sie Figuren scheitern und sich befreien. So wie Marie, die noch in der DDR der Stasi als Informantin über die Künstlerbesuche ihres Mannes Auskunft gab. Alles sehr vage, findet auch die Staatssicherheit, doch als Hans davon Kenntnis erlangt, lässt er sie büßen. Jahrelang muss sie ihm, der an Multipler Sklerose erkrankt ist, in allen lebenspraktischen Belangen zu Diensten sein. Bis er sich schließlich erhängt. Und die Mauer für Marie ein zweites Mal fällt. Anne wiederum macht ihre Ausbildung in einer Zahnarztpraxis in Westdeutschland. Man fühlt sich dort von “Ossis” bedrängt, überlaufen in einer Weise wie man es heute den Flüchtlingen vorwerfen mag.

Also, Mama, wenn du es genau wissen willst: Heute hat mich der Chef früher gehen lassen, oder besser gesagt nach Hause geschickt, weil Frau Huber, bei der eine Paradontosebehandlung durchgeführt werden musste, nicht wollte, dass ich assistiere. Sie hatte Angst, ich könnte sie mit einer Krankheit anstecken. Genauer gesagt hatte sie Angst vor meinen Bakterien, obwohl ich Gummihandschuhe anhatte. Sie meinte, sie habe nichts gegen Ostdeutsche, aber die hätten doch andere Bakterien als die Westdeutschen (…)

Anne rebelliert, im Rahmen ihrer Möglichkeiten und mit ihrem Freund Mattis. Gegen das Kleinbürgertum, Heuchelei, innerdeutsche Ressentiments. Andere haben längst aufgegeben und sich gefügt. Bettina und Maren, die beschließen, sich für ein bisschen Geld in einer angemieteten Wohnung zu prostituieren. Plan B nennen sie das. Otto, der als Werkzeugbauer im Osten erfolgreich war, im Westen aber dem Alkohol verfällt. Dessen verzweifelte Anpassung an das, was er und seine Frau für einen westlichen Lebensstil halten, ihn in den finanziellen und persönlichen Ruin treibt. Die schizophrene Eva, der unter einem Vorwand mithilfe ihres Bruders die Ausreise in den Westen gelingt, kurz bevor die Mauer gebaut und jedes Wiedersehen verhindert wird. Wiebke, die trotz abgeschlossenen Studiums bei einer ehemaligen Kommilitonin als Putzhilfe arbeitet.

Er steht am offenen Küchenfenster und sieht in den Hof hinaus. Ihm ist als sei die Schwerkraft heute stärker als sonst. Alles an ihm und in ihm zieht nach unten.

Freilich ist nicht allein die Wende verantwortlich zu machen für die erlittenen Schicksalsschläge, für viele aber war dieser historische und gesellschaftliche Bruch in ihrer Lebenswirklichkeit irreparabel. Hoffnungen zerschlugen sich schnell. Nicht überall wurden Ostdeutsche mit offenen Armen empfangen, vielmehr galten sie als Schmarotzer, die nun vom Westen wieder aufgepäppelt werden müssten, als Unwissende, die allem voran überhaupt erst ganz wesentliche Kompetenzen erlernen müssten, um im Westen bestehen zu können. 2009 beklagte Michael Wolffsohn, Professor für Neuere Geschichte an der Bundeswehruniversität eine Ossifizierung der Bundeswehr. Als Bewerber aus den neuen Bundesländern kann man auch genau deshalb schon von Vornherein als Ossi abgelehnt werden, noch heute. Die Klischees sind, beiderseits, noch immer fest in den Köpfen verankert, auch über 25 Jahre nach dem Mauerfall. ,Muldental’ ist wie ein Schlag in die Magengrube, unnachgiebig und von einer sprachlichen und stilistischen Klarheit, die beeindruckt. Kein Wort ist hier an der falschen Stelle, nirgendwo schweift Daniela Krien unbotmäßig ab. Sie weiß, was sie erzählen will. Und es ist, trotz aller Tragik und Härte, eine Freude, als Leser ein Teil davon zu sein!

Die Wintersonne wärmt nicht, sie sticht in den Augen. Zurück in die Wohnung will sie nicht.Die Wohnung ist kein Zuhause, nur eine Behausung. Manche Siege sind nur die Vollendung einer Niederlage, denkt sie.

Daniela Krien: Muldental, Graf Velag, 224 Seiten, 9783862200221, 18,00 €

Das Taschenbuch erscheint im August 2015 bei List. Im Bücherwurmloch oder bei Ruth Justen finden sich weitere Rezensionen.

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