Was wäre, wenn uns die vergessenen und verblassten Widmungen in alten Büchern mehr erzählen könnten als die Geschichten in ihnen? Einzelgängerin Hanna ist eine unsichtbare Jägerin nach Worten, die von Menschen in Büchern zurückgelassen wurden. Worte an eine längst verflossene Liebe, die Eltern, Kinder, Kollegen. Hanna zieht sich in sie zurück wie in eine Welt, die nur auf sie gewartet hat.
Die fiktiven Erzählungen eines Autors sind für Hanna uninteressant geworden. Was die junge Frau, Stammgast im Antiquariat und Meisterin des unbemerkten Stöberns, mittlerweile viel mehr interessiert, sind die handschriftlichen Widmungen, die Menschen in den Büchern hinterlassen haben. Sie analysiert das Geschriebene,malt sich aus, zu welchen Menschen es passen, in welchen Situationen es geschrieben sein könnte. Mal ist es nur ein schlichter Gruß, mal sind es die unsicheren Worte eines Verliebten, der seine Gefühle nur schwer in Worte fassen kann. Hanna zieht sich in die vermeintlichen Geschichten anderer zurück, ihr eigenes Leben beginnt zu stagnieren und nach der Begegnung mit einer mysteriösen Frau sogar wilde Blüten der Fantasie zu treiben. Könnte man sich nicht jedes Leben erfinden, das einem passend erscheint?
Wer verkaufte ein Buch, das er von seinem Vater zum Abitur bekommen hatte, wer gab den Lieblingsroman weg von einer, die ihn liebte? Wer schenkte einem anderen Gedichte – hat er sie auch vorgelesen oder hat er sie bloß gekauft und weggegeben, womit seine Rolle schon zu Ende erzählt gewesen wäre? War es leicht gewesen, sich von dem Buch zu trennen? War der Beschenkte tot oder pleite oder bloß mit jemand anderem glücklich? Aus den Fragen wuchsen ganze Geschichten heraus (…)
Jana Volkmann befasst sich in ihrer kleinen Erzählung, bloß 44 Seiten ist sie lang, mit der Liebe zu Büchern, ihrer Kraft im menschlichen Miteinander – denn warum sonst sind sie noch immer ein so beliebtes und mit persönlichen Worten versehenes Geschenk? -und der Bedeutung von kleinen textlichen Hinterlassenschaften. Die Geschichte selbst ist ein Text, doch die Widmung wiederum ist eine ganz andere Erzählung, die für den Leser auch auf ganz anderer Ebene interessant sein und seine Fantasie beflügeln kann. Ich erinnere mich beim Lesen schmunzelnd an eine Postkarte, die ich in einem Flohmarktbuch fand. Sie stammte wohl aus einem Urlaub am Meer, darauf vermerkt war: ,Für meinen Schatz. Damit du besonders bei den erotischen Stellen an deinen Lieblingscarsten denkst.’ Lieblingscarsten schien das wichtig gewesen zu sein und dem Schatz wenigstens so sehr, dass die Karte wohl einige Zeit in einem Buch überdauert hat.
,Fremde Worte‘ ist eine schöne Geschichte für den kurzen Moment, der literarisch gefüllt werden möchte. Die Erzählung erschien in der Textlicht-Reihe der Edition Atelier, in der viele kurze Erzählungen junger Autoren das Licht der Welt erblicken. Sie endet etwas abrupt, manch einen Strang wünscht man sich entweder länger oder aus der Geschichte, weil man auf diesem engen Raum wenig mit seiner Erwähnung anfangen kann. Insgesamt aber ist Jana Volkmanns Erzählung, wie auch die Textlicht-Reihe als solche, ein fantasievoller Fundus an literarischen Snacks und Ideen. Für eine längere Busfahrt, eine kurze Pause von der Arbeit, das Wartezimmer beim Arzt. Und vielleicht sieht der ein oder andere nach dieser Erzählung die Widmungen, die sich in manch einem Buch verbergen, auch mit anderen Augen.
Jana Volkmann: Fremde Worte, Edition Atelier, 44 Seiten, 9783902498991, 7,95 €
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