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Tanguy Viel – Das Verschwinden des Jim Sullivan

Ein Franzose kann einfach keinen amerikanischen Roman schreiben. Einen, in dem es um gescheiterte Existenzen und die großen Fragen des Lebens vor lässigem und irgendwie kosmopolitischem Hintergrund geht. Oder doch? Tanguy Viel beweist in seinem neuen Roman beachtliches Fingerspitzengefühl für ein literarisches Genre, das sich seinen Platz tapfer erkämpft hat. Und er nimmt es dabei nicht immer ganz ernst.

Dwayne Kosters Leben meint es im Augenblick nicht gut mit ihm. Der Universitätsprofessor für Literatur (Fachbereich: Moby Dick) hat eine Affäre mit einer seiner Studentinnen, während sich seine Frau mit einem seiner Kollegen vergnügt. Er trinkt zu viel und fährt ein klappriges altes Auto, in dem er über das Leben und den Punkt sinniert, an dem sich das Blatt für Dwayne Koster gewendet hat. Eine Geschichte, wie sie viele von uns kennen und lieben, der große amerikanische Roman zusammengedampft auf knapp 120 Seiten.

In der Romeo Street, schrieb ich in meinem Roman, gab es nur ein einziges Ding, das nicht an seinem Platz war, das einzige Ding, das Dwayne zufolge nie an seinem Platz sein würde,nämlich Alex Dennis.

Nun hat Dwayne Koster leider das Pech, dass seine Affäre eher von seiner Frau Susan entdeckt wird als er ihre bemerkt. Zu den Klängen von Jim Sullivan fährt Dwayne zu Onkel Lee und erbittet sich Unterstützung, einen Denkzettel gegen den Eindringling in seinem Haus und wird unversehens von dem steinreichen Antiquitätenhändler in einen Handel hineingezogen, der ihn unwillentlich mit dem FBI zusammenbringt. Und seinen Golfschläger mit dem erstaunlich nachgiebigen Körpers eines FBI-Agenten.

Ja, wirklich, sagte Dwayne, unsere Geschichte ist wie ein Roman, wie einer von Jim Harrison, findest du nicht? Und sie antwortete, nein, das sei eine Geschichte für eine Frau, eine Geschichte für Laura Kasischke oder Joyce Carol Oates. Oder Richard Ford, überlegte er und betrachtete einen Nachtfalter, der frenetisch die Deckenlampe umflatterte. Vielleicht Alice Munro, meinte sie. Nein, ich weiß, fing er wieder an, Philip Roth.

Gekonnt und mit einem Augenzwinkern spielt Tanguy Viel mit dem amerikanischen Roman und seinen Ikonen, mit der Welthaltigkeit selbst einer Kleinstadt im Nirgendwo, mit den verlorenen Chancen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Dabei lässt er den Leser zu keiner Zeit darüber im Unklaren, dass er hier einen Roman liest – oder: einen Roman über die Entstehung eines Romans. Immer wieder lässt Viel den Leser an seinen Gedanken vor und während des Schreibprozesses teilhaben, ohne dass seine Geschichte dabei jedoch an Lebendigkeit und Originalität verliert.

Und siehe da, Dwayne Koster war genau fünfzig, als meine Geschichte begann, sein Gefühlsleben war ein wenig durcheinandergeraten, und geschieden war er auch, denn ganz generell stand es außer Frage, an den Grundprinzipien zu rütteln, die sich im amerikanischen Roman bewährt haben.

Tanguy Viel hat gleichermaßen Hommage wie Satire auf den amerikanischen Roman geschrieben, die sich herrlich lesen lässt und hier da und doch zu einem Schmunzeln verleitet, wenn man eines dieser Romanrezepte in komprimierter Form wiederentdeckt. Jim Sullivan indessen ist zuständig für eine leicht mysteriöse Note. Im März 1975 verschwand der Musiker spurlos, sein Auto wurde abgeschlossen in der Wüste bei New Mexiko gefunden. Bis heute kursieren, wie das in Amerika eben so üblich ist, Geschichten über die Entführung durch Außerirdische. Ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten eben.

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Tanguy Viel: Das Verschwinden des Jim Sullivan, aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel, Verlag Klaus Wagenbach, 128 Seiten, 9783803132642, 16,90 €

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