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[LiteraTour Nord] Mirko Bonné – Nie mehr Nacht

Nach einer weihnachtlich-neujährlichen Pause, die alle Beteiligten sich redlich verdient haben, startet die LiteraTour Nord mit einem Autor ins Jahr 2014, der nach Ralph Dutli und Clemens Meyer schon der dritte ist, dessen Werk im Gespräch für den Deutschen Buchpreis 2013 stand. Dieses Mal las Mirko Bonné aus seinem Roman ,Nie mehr Nacht’ (Schöffling Verlag). Sogar auf die Shortlist hatte es Bonnés Roman geschafft, gewonnen hat letztlich Terézia Mora. Doch an diesem Montagabend wird glasklar erkennbar, beinahe zwangsläufig, weshalb Mirko Bonnés Roman einer der ganz besonderen des letzten Jahres ist, ein Roman über Verlust und Wiederentdecken, ein Roman so präzise und poetisch wie ein Gedicht.

Schon zu Beginn wird deutlich, dass Bonnés Sprache innert kürzester Zeit eine Sogkraft und Plastizität entwickelt, der schwerlich zu entkommen ist. Er lese den Anfang heute nicht, sagt Bonné. Er habe nun dreiundvierzig Lesungen mit diesem Buch bestritten und meistens habe er bereits nach dieser Anfangspassage eine weinende Frau im Publikum. Das wolle er vermeiden. Zwar schmunzelt er ein bisschen dabei und sein Publikum beantwortet dieses leise Lächeln, doch das Bewusstsein, wie wenig daran ist, worüber sich unbeschwert lächeln ließe, bleibt gegenwärtig. Markus Lee, Protagonist in ,Nie mehr Nacht‘, hat gerade seine Schwester Ira durch Selbstmord verloren. Mit Autoabgasen nahm sie sich in der Garage das Leben und hinterließ Jesse, Markus Lees Neffen. Mit dem reist er in die Normandie, um dort im Auftrag eines Hamburger Kunstmagazins Brücken zu zeichnen, die bei Eintreffen der Alliierten im Sommer 1944 prägende, gewichtige Rollen spielten.

Nie_mehr_Nacht_Mirko_Bonné_470x768Markus und Jesse haben sich wenig zu sagen. Zwischen ihnen ragt, gewaltig wie ein unpassierbares Gebirge, Iras Tod. Markus Lee erzählt von einer Belgiendurchfahrt, von einem prägenden Ereignis seiner Jugend und wenn Bonné diese Durchfahrt und das Gespräch zwischen Onkel und Neffe durch seine Stimme zum Leben erweckt, scheint sie ganz real, scheint sie gerade zu geschehen, während man nur einige Meter entfernt steht. Immer wieder sucht Mirko Bonné mit Blicken Kontakt zum Publikum, er ist ein ausgezeichneter Leser, was nach der Lesung und einem gespannten Staunen auch die erste Rückmeldung ist, die Bonné erhält.

Sein Protagonist Markus Lee hält sich länger in der Normandie auf als beabsichtigt und beginnt, sich vom Leben zu verabschieden. Er will verschwinden, alles veräußern, was er besitzt, bis nur noch sein Leben, sein Existieren und einige Gegenstände, die er am Leibe tragen kann, übrig bleiben. Trotz aller Tragik endet der Roman mit einem Hoffnungsschimmer, der Möglichkeit eines Weiterlebens. Auch mit einem Verlust, der kaum zu verkraften oder jemals zu verwinden ist. Als Mirko Bonné endet, ist es still im Saal. In allen bewegt sich etwas, sie müssen die Sprache, die Bilder, ihre eigenen Gefühle sortieren, sacken lassen. Keine Lesung der LiteraTour Nord hat bisher eine Stimmung wie diese erzeugt, – Nachdenklichkeit, Hochachtung, Bewunderung, Stille im besten Sinne.

Und so sind auch die Fragen, die sich nach der Lesung ergeben, größtenteils solche, die sich auf Bonnés Arbeitsweise beziehen. Woher er seine Inspiration nehme, wie er zu seiner kraftvollen Sprache gelange. Und Bonné antwortet überraschend, dass er sich sehr durch andere Bücher inspirieren lasse. Sie brächen etwas in ihm auf, womit er weiterarbeiten könne, etwas, woran er womöglich zuvor jahrelang nicht gedacht habe. Nur an der Frau namens Lilith entzündet sich eine kleine Diskussion, ist dieser Name doch deutlich in der dunkleren Mythologie zu verorten. Seine Lektorin, so Bonné, habe ihm auch ganz dringend davon abgeraten, diesen Namen zu verwenden. Er sei so vorbelastet. Aber alte Prägungen müsse man manchmal auch durchbrechen.

Durchbrochen hat Mirko Bonné mit seiner Lesung den Alltag, das graue Einerlei. Zwischen tieftraurigen Passagen, die aber so anmutig in Sprache gekleidet waren, dass man den Hut davor ziehen muss, blitzten auch immer wieder humorvolle und charmante Nebensätze auf, wegweisende Lichter in einem dunklen Tal. Als ich mir ,Wie wir verschwinden‘ signieren lasse, neben mir Mirko Bonné mit einem dunklen Schal, den nur ein Autor tragen kann, sage ich: Danke für diese Sprache, sie ist wunderschön. Er lächelt und sagt: Das hat mir auch noch niemand gesagt.

Dann wird es höchste Zeit, Herr Bonné.

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