Alle Artikel mit dem Schlagwort: lesung

Automatendichtung und SuKuLTuR

Sie erinnern im ersten Moment an die charakteristisch gelben Reclamhefte, von denen zahllose Schülergenerationen manchmal mühsam durch verschiedene Literaturepochen begleitet wurden. Tatsächlich bestand sogar zu Beginn der Unternehmung “SuKuLTuR” noch eine weit größere Ähnlichkeit, die angesichts drohender Rechtsstreitigkeiten aber so schnell wie möglich ausgemerzt wurde. Inhaltlich bietet die “Schöner-Lesen-Reihe”, wie sie sich nennt, im Gegensatz zu Reclam viele originelle und spannende Texte deutscher Gegenwartsliteratur – aus dem Automaten. Gegründet schon 1995, begann alles 1996 mit einer Erzählung namens “Der Knubbel” (mittlerweile übrigens in der 7. Auflage), die sich um das Überbein des Verlagsgründers Marc Degens dreht. Gemeinsam mit Torsten Franz verlegte Degens künftig “kühne Lyrik” und “seltsame Prosa”, wie es in Heft Nr.88 ,Die SuKuLTuR-Jahre‘ heißt. Mit einem eher lockeren Verhältnis zum Geschäft und einer angemessenen Portion Idealismus wurden die kleinen Hefte in nicht allzu großer Hektik produziert. Eine goldene Nase wollte sich niemand damit verdienen, 2 Mark kostete seinerzeit ein Heft. Im Jahr 2000 gründeten Degens und Franz gemeinsam mit Frank Maleu das Online-Kulturmagazin satt.org, das bis heute Bestand hat. Dort versammeln sich Buch …

Über Kabeljau und Dorsch

Kabeljau & Dorsch ist in Berlin mittlerweile eine feste Institution, wenn es um frische und noch wenig bekannte deutsche Literatur geht. Die Lesungsreihe will zeigen, was bisher im Literaturbetrieb noch wenig Öffentlichkeit erfahren hat; will abbilden, wie sich die junge Literatur vor dem Feinschliff gestaltet. Malte Abraham, einer der Veranstalter, war so nett, mir einige Fragen zum Format zu beantworten. Malte, Kabeljau & Dorsch, klingt zunächst ja irgendwie maritim, nach Meer und salziger Luft. Wie kommt so ein Name nach Berlin, zu einer Lesungsreihe? Wie ist sie entstanden? Den Namen gab es bevor wir wussten, was wir damit anfagen sollten. Wenn wir Instrumente spielen könnten und besser aussehen würden, gäbe es jetzt eine Band, die so heißt. Die Lesereihe haben wir gegründet als wir vor zwei Jahren nach Berlin gezogen sind. Da gab es hier natürlich schon viele Leseformate. Aber meistens hieß Lesung: arrivierte AutorInnen, Buchpräsentation, die Vorstellung eines Literaturmagazins. Wir wollten aber zeigen, was noch keine so große Öffentlichkeit gefunden hatte, das, was vor dem Lektorat passiert, wie sich die junge Literatur gestaltet, bevor …

Die Lange Nacht der Literatur

Am 30.08. findet in Hamburg zum ersten Mal die Lange Nacht der Literatur statt. An unterschiedlichen und über die Stadt verteilten Veranstaltungsorten gibt es Lesungen und Diskussionen, die Stadt steht im Zeichen der Literatur. Das Programm könnt ihr hier einsehen, – mit dabei sind u.a. Saša Stanišić, Volker Weidermann, John von Düffel, Benjamin Lebert und Kim Leine. Mit Lea Streisand und Kirsten Fuchs sind auch bekannte Poetry-Slammer mit von der Partie. Im Nochtspeicher findet eine Nacht der Independent-Literatur statt, auf der u.a. Florian Wacker aus seinem Erzählband ,Albuquerque’ lesen wird. Es ist ein bunt gemischtes Programm, vielfältig und spannend. Zum Abschluss diskutieren Rainer Moritz und Denis Scheck im Literaturhaus über prägende Kindheitserinnerungen, schöne Buchhandlungen und literarische Vorlieben. Christiane Hoffmeister ist Inhaberin des Bücherecks Niendorf Nord und, neben dem Literaturhaus Hamburg, Mitinitiatorin der Langen Nacht. Sie war so nett, mir zu dieser Veranstaltung ein paar kurze Fragen zu beantworten. 1.Christiane, du bist, neben dem Literaturhaus Hamburg, Mitinitiatorin der ersten Langen Nacht der Literatur in der Hansestadt. Wie kam es dazu? Ich hatte so den Gedanken, dass das, …

[LiteraTour Nord] Marion Poschmann – Die Sonnenposition

Sie geht bereits ihrem Ende entgegen, die diesjährige LiteraTour Nord. Vorletzte im Bunde, nach Abbas Khider, Ralph Dutli, Clemens Meyer und Mirko Bonné, war Marion Poschmann. Auch ihr Roman, ,Die Sonnenposition’ stand auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2013, ein feingliedriger, assoziativer und nahezu lyrischer Roman, der seinem Leser – und in diesem speziellen Falle seinem Zuhörer – eine Menge abverlangt. In manch einen Roman kann man sich fallenlassen wie in ein weiches Bett. In mancher Sprache kann man sich treiben lassen wie in einem Fluss, der seinem beständigen Lauf folgt. Täte man dergleichen bei Marion Poschmann, entgingen einem unzählige Details, zahllose gedankliche Winkelzüge, die es zweifellos wert sind, in Gänze wahrgenommen zu werden. ,Die Sonnenposition’ erzählt von Altfried Janich, einem Psychiater in mittlerem Alter, beschäftigt in einer Art Barockschloss in der ostdeutschen Provinz. Er soll, gemäß seines Berufes, für seine dort beheimateten Patienten die ,Sonnenposition’ einnehmen, ihnen Halt und Wärme vermitteln, einen festen Punkt bieten, an dem sie sich ausrichten können. Er habe, so Marion Poschmann, schon durch seine Leibesfülle und sein Auftreten …

[LiteraTour Nord] Mirko Bonné – Nie mehr Nacht

Nach einer weihnachtlich-neujährlichen Pause, die alle Beteiligten sich redlich verdient haben, startet die LiteraTour Nord mit einem Autor ins Jahr 2014, der nach Ralph Dutli und Clemens Meyer schon der dritte ist, dessen Werk im Gespräch für den Deutschen Buchpreis 2013 stand. Dieses Mal las Mirko Bonné aus seinem Roman ,Nie mehr Nacht’ (Schöffling Verlag). Sogar auf die Shortlist hatte es Bonnés Roman geschafft, gewonnen hat letztlich Terézia Mora. Doch an diesem Montagabend wird glasklar erkennbar, beinahe zwangsläufig, weshalb Mirko Bonnés Roman einer der ganz besonderen des letzten Jahres ist, ein Roman über Verlust und Wiederentdecken, ein Roman so präzise und poetisch wie ein Gedicht. Schon zu Beginn wird deutlich, dass Bonnés Sprache innert kürzester Zeit eine Sogkraft und Plastizität entwickelt, der schwerlich zu entkommen ist. Er lese den Anfang heute nicht, sagt Bonné. Er habe nun dreiundvierzig Lesungen mit diesem Buch bestritten und meistens habe er bereits nach dieser Anfangspassage eine weinende Frau im Publikum. Das wolle er vermeiden. Zwar schmunzelt er ein bisschen dabei und sein Publikum beantwortet dieses leise Lächeln, doch das …

[LiteraTour Nord] Ralph Dutli – Soutines letzte Fahrt

Nachdem Abbas Khider vor drei Wochen mit seiner Lesung aus ,Brief aus der Auberginenrepublik’ (hier mein Bericht) die diesjährige LiteraTour Nord in Lübeck eröffnen durfte, folgte am gestrigen Abend Ralph Dutli. Mit dem gebürtigen Schweizer ging auch der erste Buchpreisanwärter dieses Jahres ins Rennen um den Preis der LiteraTour Nord. Im Kellergewölbe des Lübecker Buddenbrookhauses las Ralph Dutli aus seinem ersten Prosawerk ,Soutines letzte Fahrt’, aus seiner geschickten Verquickung von Realität und Fiktion rund um den weißrussischen Maler Chaim Soutine. Soutine blieb zeit seines Lebens eher unbekannt und unentdeckt. Einige wenige sahen zwar bereits zu Lebzeiten sein Talent, insgesamt blieb der stille und gequälte Chaim Soutine doch immer im Schatten seiner großen Weggefährten – Modigliani, Picasso, Chagall. An einem offenen Magengeschwür leidend wird Soutine im Winter ’43 in einem Leichenwagen zu einer lebensnotwendigen Operation nach Paris gebracht. Um den französischen Kontrollen zu entgehen, wählte man ein eher ungewöhnliches Vehikel, – die Aussagen darüber, ob es sich nicht doch um einen konventionellen Krankenwagen gehandelt habe, gehen, wie Dutli selbst sagt, an der einen oder anderen Stelle …

Peter Stamm – Nacht ist der Tag

Peter Stamm ist ein Schweizer Schriftsteller. Seine ersten literarischen Gehversuche waren mühsam und von vielen Absagen geprägt, Sein Roman Agnes wurde erst sechs Jahre nach Beendigung veröffentlicht. Er begann, Anglistik zu studieren, wechselte dann ins Studienfach Psychologie und war Praktikant in verschiedenen psychiatrischen Kliniken. Ab 1990 war Stamm auch als Journalist für die NZZ, den Tages-Anzeiger und die Weltwoche tätig. 2013 stand er auf der Shortlist des Man Booker Prizes. Es ist eine Lebensweisheit, die jeder kennt, aber wenige tatsächlich am eigenen Leibe erfahren (müssen) – wir lernen erst zu schätzen, was wir, manchmal unwiederbringlich, verloren haben. Erst in der Abwesenheit zeigt sich die Wertigkeit dessen, was wir immer für selbstverständlich genommen haben. Gillian ist eine erfolgreiche Fernsehmoderatorin, sie steht in der Öffentlichkeit und mit beiden Beinen fest im Leben und ist im medialen Kulturbetrieb ein bekanntes Gesicht. Mit ihrem Glanz überstrahlt sie bisweilen sogar ihren Freund Matthias, der mitunter nur noch als schmückendes Beiwerk an ihrer Seite fungiert. All das jedoch wird Gillian mit einem Autounfall abrupt genommen und was zunächst den Anschein erweckte …