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Eugène Ionesco – Die Nashörner

Eugène Ionesco (1909-1994) war ein französisch-rumänischer Schriftsteller, der sich zum Surrealistischen und Absurden hingezogen fühlte. Er gilt als einer der wichtigsten Vertreter des absurden Theaters. Ionesco reagierte mit dem oben genannten Stück unter anderem auf den zusehends unreflektiert ausbrechenden Patriotismus und Rassismus, die in Frankreich zur Zeit des Algerienkrieges aufkamen. Ionesco erklärte später selbst, die vorliegende Geschichte sei eine Kritik an Massenbewegungen im Allgemeinen, die sich nicht auf bestimmte Ideologien bezöge. In Deutschland hatte man die Aufführung leichtfertig als Persiflage auf den Nationalsozialismus interpretiert.

Ionesco beschreibt in seinem Stück die schrittweise Verwandlung einer ganzen Stadt in schnaubende und wütende Nashörner. Es beginnt mit den Protagonisten Behringer und Hans, die an einem Sonntagnachmittag in einem Café sitzen. Hans kritisiert den gelangweilten und etwas derangierten Behringer wegen seines Alkoholkonsums und versucht, ihn zu einerVeränderung zu bewegen, als plötzlich ein Nashorn panisch über den Marktplatz galoppiert. Während die meisten anderen umstehenden Personen völlig konsterniert sind und ihren Augen nicht trauen, scheint Behringer das ganze Spektakel recht wenig zu verwundern, im Gegenteil, er versucht sogar rationale Begründungen für die Situation zu finden. Das Nashorn könne beispielsweise aus einem Wanderzirkus ausgebrochen sein. Wenig später rast ein zweites Nashorn vorbei und zertrampelt das Kätzchen einer älteren Frau.

Der zweite Akt beginnt im Büro Behringers, wo bereits der Abteilungsleiter Schmetterling und einige Angestellte über die Vorfälle des letzten Tages diskutieren. Dabei sprechen sie nicht nur über das Vorhandensein der Dickhäuter, was ein Angestellter namens Wisser vehement abstreitet, sondern auch über die Rasse der Nashörner, genau genommen, ob es sich um afrikanische oder indische handle und welche von beiden nun jeweils ein oder zwei Hörner habe. Etwas später trifft Behringer ein und kurz nach ihm Frau Ochs, die Frau eines anderen Mitarbeiters, der sich, wie sie zunächst sagt, eine leichte Grippe eingefangen habe und deshalb nicht zur Arbeit erscheinen könne. Tatsächlich hat sich Herr Ochs aber in ein Nashorn verwandelt, was kurze Zeit später schnaubend die Treppe zum Büro zum Einsturz bringt. Frau Ochs erkennt, wodurch auch immer, in diesem tobenden Unpaarhufer ihren Mann, springt aus dem Fenster und wird selbst zum Nashorn. Wie im ganzen Stück blitzt auch hier mitunter Ironie hervor, die gänzlich unpolitisch scheint.

FRAU OCHS steht plötzlich auf: Ich kann ihn so nicht lassen! Ich kann ihn so nicht lassen!

SCHMETTERLING: Wenn Sie sich scheiden lassen wollen … jetzt haben Sie einen guten Grund.

Die Mitarbeiter des Verlages für Rechtsliteratur verlassen das Büro mithilfe der Feuerwehr und stellen, aufgrund der absonderlichen Ereignisse in der Stadt, zunächst ihre Arbeit ein. Behringer besucht unterdessen Hans, um sich für den Streit am letzten Tag zu entschuldigen, für den er sich verantwortlich fühlt. Er trifft Hans krank im Bett an, heiser und nervös. Vor Behringers Augen verwandelt Hans sich in ein Nashorn, so wie die meisten seiner Freunde und Kollegen im Laufe des Stückes. Einzig und allein er bleibt übrig, wie zu Beginn als Außenseiter, der sich nicht in die Gesellschaft integrieren will und kann.

Ionescos Stück liefert gerade auch in der Charakteristik der Hauptpersonen viele Deutungsansätze, die ich hier gar nicht alle vorwegnehmen kann und will. Freilich ist es ein absurdes Stück und wer mit solchen Geschichten schwer warm wird, dem wird es wohl auch mit den Nashörnern so ergehen. Ich empfand die Herangehensweise an das Thema Ideologien, Totalitarismus und Massenbewegungen sehr interessant, weil sie nicht offensichtlich den moralischen Zeigefinger hebt, sondern eine Art Zerrspiegel  an alle verteilt. Gerade zur heutigen Zeit ist das Problem der Entindividualisierung ein gravierendes, auch wenn uns immer mehr suggeriert wird, wie individuell wir uns kleiden, parfümieren, schminken und arbeiten können. Letztlich bleibt Behringer als einziger Mensch und das auch deswegen, weil er Verantwortung übernimmt. Für sich und für andere. Für Ionesco ist die Erkenntnis offensichtlich zentral, dass keine Massenbewegung ohne Verantwortungslosigkeit entstehen kann. Und insofern ist dieses Stück ein herrlich absurder Aufruf zu Verantwortung und individuellem Denken.

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