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David Vann – Aquarium

David Vann ist bekannt für seine abgründigen und unerbittlichen Familienromane. Aus der Keimzelle Familie und den wechselseitigen Abhängigkeiten, die sie mit sich bringt, entwickelt er seine schlagkräftigen Geschichten von Aufopferung und Macht. Diesem Schema bleibt er auch in Aquarium treu; einem Roman, der sich bis an die Grenzen des Erträglichen wagt.

Ein Leben ist dem anderen stets fremd, heißt es im zweiten Drittel von Vanns Roman. Was weiß man schon vom Leiden und den Kämpfen eines anderen? Wie nah kann man ihm und seiner Sicht der Welt kommen? Franz Kafka schrieb in einem Brief an seinen Mitschüler Oskar Pollak: Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst, was weißt Du von den Schmerzen, die in mir sind und was weiß ich von den Deinen. Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde und weinen und erzählen, was wüsstest Du von mir mehr als von der Hölle, wenn Dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich. Schon darum sollten wir Menschen voreinander so ehrfürchtig, so nachdenklich, so liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle. David Vann jedenfalls zeichnet in seinem Roman eine mögliche Hölle von vielen. Die zwölfjährige Caitlin Thompson lebt allein mit ihrer Mutter in einer Wohnung, in der nichts lebendig ist. Die Wände sind kahl, die Glühbirnen nackt, der Kontakt nach außen sehr begrenzt. Einzig ihre Freundin Shalini ist ein Bezugspunkt für sie, neben ihrer Mutter Sheri gibt es keine Verwandten, von denen sie wüsste. Sheri arbeitet hart im örtlichen Containerhafen, um dieses Minimum an Lebensstandard aufrechtzuerhalten, ein eigenes erfülltes Leben kann sie sich nicht leisten. Sie will, wie viele Eltern, ihrer Tochter Besseres ermöglichen und schweigt über die eigene Vergangenheit.

Die Haie wie Mönche, gleichförmige Tage, endloses Kreisen, keine Sehnsucht nach mehr, nur diese Bewegung. Augen, die sich verschleierten, kein Bedarf mehr, zu sehen. Kein schickes Gewand, sondern Grau mit Weiß darunter. Von oben betrachtet konnten sie aussehen wie der Meeresgrund. Von unten wie der Himmel.

Tag für Tag besucht Caitlin das öffentliche Aquarium, um sich die Fische dort anzusehen. Sie möchte Ichthyologin werden und erkennt in den Fischen nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch dessen Beschränktheiten. Als sie dort eines Tages einen älteren Mann trifft, beginnen die beiden über verschiedene Meerestiere und damit eigentlich über das Leben an sich zu fachsimpeln. Vann gelingt es hervorragend, die Betrachtungen der Tiere auf die inneren Bewegungen Caitlins abzustimmen. Nicht nur erblickt sie in ihnen die Furchtlosigkeit und Sicherheit eines klar abgegrenzten Lebensraums, sondern auch die beängstigende Abhängigkeit eines Wesens von einem anderen. Caitlin sieht nicht nur ihre Welt im Aquarium gespiegelt, sondern die zahllosen anderen Welten innerhalb der Becken. Die eigene Bedeutungslosigkeit erschreckt sie und ihre Einsamkeit, die noch durch den Umstand verstärkt wird, dass außer ihrer Mutter niemand für sie sorgt und an ihrem Leben teilnimmt. Durch den gesamten Roman ziehen sich kunstvoll gesetzte Metaphern, die allesamt einen Bezug zu Fischen oder Aquarien aufweisen. Es ist Caitlins Art, ihre zunehmend aus den Fugen geratende Welt in etwas Bekanntes zu überführen, das sich nicht ihrer Einordnung widersetzt. Der alte Mann, mit dem sie das Interesse zu Fischen zu teilen scheint, erweist sich schließlich als ihr Großvater, der den fragilen Mikrokosmos, in dem Caitlin und Sheri leben, zum Einsturz bringen wird. Das heimische Aquarium bekommt Risse und durch die schmalen Ritzen dringt der ungekannte Schmerz, der unbändige Vernichtungswille ihrer Mutter.

Unsere Dummheit ist überwältigend traurig. Doch wenn ich eine Mondqualle betrachte, deren Schirmsternbild in die endlose Nacht pulsiert, denke ich, vielleicht ist alles gut.

David Vann legt erbarmungslos die Urkatastrophen der Familie bloß, die weit über den Moment hinaus katastrophale Verwüstung in den Leben der Beteiligten angerichtet haben. Er präsentiert eine Dynamik, die den Einzelnen als seinen Verwundungen ausgeliefert beschreibt, dazu verdammt, die eigenen Schrecken an Folgegenerationen abzugeben. Der Schmerz ist ein Erbe, das man nicht ausschlagen kann. Der einzige Weg aus einer unaufhaltbaren Abwärtsspirale ist das offene Wort. Es ist möglich, auszubrechen, wenn das Erbe nicht mehr wortlos weitergetragen, sondern ausgesprochen zur Debatte steht. Es bleibt fraglich, wie viel einem anderen allein durch Worte vermittelbar ist, das Schweigen jedoch ist toxisch. David Vann geht dahin, wo es weh tut, verbeißt sich mit kathartischer Absicht in den haltlosen Leben seiner Protagonisten. Niemals wird er dabei schwülstig, pathetisch oder gefällig. Ihm gelingt, selbst dann noch Verständnis für seine Protagonisten zu erzeugen, wenn sie längst über das Maß des Erträglichen hinausgehen. Aquarium ist eine harte, eine bewegende und aufrüttelnde Lektüre!

David Vann: Aquarium. Aus dem Amerikanischen von Miriam Mandelkow. Suhrkamp Verlag. Mit Illustrationen von Chris Russell. 282 Seiten. 22,95 €

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