Erzählungen, Rezensionen
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Kathrin Wessling – Morgen ist es vorbei

Liebe kann so schön sein; erfüllend, neu, prickelnd und wunderbar. Muss sie aber nicht. Sie kann auch ein ziemlich destruktives Arschloch sein. Sie kann mutieren – in Besitzanspruch, in Macht und Übergriffigkeit. Wir können oft nicht mit ihr, aber noch viel öfter nicht ohne sie. Kathrin Weßling erzählt in ihren Geschichten vom Pathos des Verlassenen und Verschmähten, von Selbstzerstörung und von dem Versuch, etwas halten zu wollen, das längst verloren ist.

Wie oft hab ich dann mein krankes Herz mit Alkohol betäubt
Liebeskummer ist so ein Wort, ich weiß nicht mehr wie man’s schreibt
(Rainald Grebe – Mann ohne Gefühle)

Wie man Liebeskummer schreibt, ist vielleicht auch zweitrangig, wenn man so einfühlsam über ihn schreiben kann wie Kathrin Weßling. Die Verlassenen, Verlorenen und Verschmähten taumeln allein durch beleuchtete Großstadtstraßen, sie tanzen sich auf gefährlich erhitzten Tanzflächen ihre geschundenen Seelen aus dem Leib, sie trinken bis zur Besinnungslosigkeit. Sie schreien, sie kotzen, sie toben, sie wollen alles zerstören und zerstören doch nur sich selbst dabei. Fraglos muss man einen gewissen Hang zum Pathos und zur großen Szene mitbringen, um den eigenen Schmerz so publikumswirksam zu inszenieren. Es gibt mutmaßlich aber auch kaum einen Zustand, der sich besser für große Gesten und Gedanken eignet als Liebeskummer. Vielfach wurde in der Literatur dieses grausame Gefühl des Verlusts und der Ohnmacht beschrieben. Es wurde besungen, bedichtet. Das Liebesleiden hat eine lange Tradition. Und es gehören durchaus Mut und Können dazu, sich einem solchen Klassiker zu widmen, ohne ihn ungenießbar zu verkitschen.

Denn das passierte doch jeden Tag: Menschen trennten sich und dann musste alles aufgeteilt werden, einer nimmt die Gabeln und der andere die Messer, einer nimmt das Sofa und der andere die Erinnerungen, einer nimmt sich mit und der andere nimmt sich zusammen, bis es aufhört zu bluten. Das passierte doch jeden Tag. Oder?

Mutmaßlich zerbrechen jeden Tag irgendwo Beziehungen, während gleichzeitig irgendwo anders neue geknüpft werden. Es ist der stete Lauf der Dinge, der in seiner Alltäglichkeit allerdings nicht davor schützt, unerträglich zu sein, wenn er einen selbst trifft. Die Menschen in Weßlings Geschichten haben Jahre miteinander verbracht, sich Vieles geteilt, allem voran ein Leben – und doch geht es zu Ende. Manche von ihnen trennen sich, andere lernen sich kennen. Nervös, etwas verschämt, verwundete Tiere, die behutsam und vorsichtig aus ihrem Versteck kriechen. Glücklicherweise macht Kathrin Weßling nicht den Fehler, in jeder Geschichte nur dieselben Abläufe zu wiederholen und in dem gleichen Schmerzvokabular steckenzubleiben. Freilich ähneln sie sich alle, doch manche von ihnen machen die Liebe plastischer. Immer dann, wenn die Erzählungen über das bloß Kummervolle hinausweisen. Dann, wenn es um Vereinnahmung geht, die erdrückt. Wenn es um Gewalt geht, die aus Frustration und Ablehnung erwachsen ist, um Liebe, die nicht ausgesprochen wird, weil sie nicht sein darf. Wenn die Liebe keine partnerschaftliche ist. Ein ganzer Erzählband über die dunkle Seite der Liebe liefe sonst auch Gefahr, schnell repetitiv zu werden, eintönig, vorhersehbar in seinen Floskeln.

Und ich kenne die Antwort, ich kenne die Fragen, ich kenne die Müdigkeit und die Verzweiflung und ich weiß, dass keiner hält, was er verspricht, dass keiner aufhält, was er nicht selber ist.

Letztlich ist ,Morgen ist es vorbei‘ eine große poetisch-dramatische Begegnung mit der Vergänglichkeit. Sowohl mit der eigenen, ganz körperlichen, indem sich die Leidenden zugrunde richten als auch mit der ganz allgemeinen, emotionalen. Die wenigsten Dinge sind für immer, kein Gefühl und auch das Leben nicht. Diese Geschichten liest man am besten mit einer Flasche Rotwein in greifbarer Nähe und mit der dringend benötigten Süße einer Tafel Schokolade. Sie sind ein kleines exorzistisches Ritual für die Verlassenen, die sich danach mit ihren Erinnerungen, die sie an jeder Straßenecke attackieren, nicht mehr ganz so allein fühlen. Kathrin Weßling beweist, dass man über Liebe schreiben kann, ohne das Drama überzustrapazieren. Aber ein bisschen Drama muss sein – also: nichts für nüchterne Gemüter! Und hier ist nicht der Alkoholpegel gemeint.

Kathrin Weßling: Morgen ist es vorbei, Luchterhand Literaturverlag, 208 Seiten, 9783630874944, 14,99 €

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