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Charles Jackson – Das verlorene Wochenende

Er war die Freundlichkeit in Person, außer zu sich selbst, schrieb Arthur Miller in seinen Erinnerungen über Charles Jackson. Über den Mann, der 1944 mit seinem Alkoholikerdrama ,The Lost Weekend’ eine Berühmtheit und Anerkennung erlangte, die ihm nach diesem Roman und Billy Wilders Verfilmung nicht mehr zuteil werden sollte. Jackson war bereits 41, als er diesen packenden Debütroman schrieb, sicherlich in vielerlei Hinsicht inspiriert vom eigenen Leben und Leiden. Auch Jackson selbst kämpfte zeitlebens mit seiner Medikamenten – und Alkoholabhängigkeit, bis er sich schließlich im September 1968 das Leben nahm; literarisch weitgehend bedeutungslos und seinen Dämonen niemals Herr geworden. Vieles hat er mit seinem Romanhelden Don Birnam gemein, für dessen Verkörperung Ray Milland 1946 einen Oscar gewann.

Er nahm an, dass er nur einer von mehreren Millionen Menschen seiner Generation war, die erwachsen geworden waren und irgendwann um die dreißig die verstörende Entdeckung gemacht hatten, dass das Leben sich nicht so entwickelte, wie sie es sich immer vorgestellt hatten; doch warum diese Erkenntnis ihn umwerfen sollte und nicht sie – oder nicht sehr viele von ihnen -, war eine Frage, auf die er keine Antwort hatte.

Es ist ein Wochenende im Jahr 1936. Don Birnam, ein gebildeter, aber erfolgloser Mann hat gerade seinen Bruder Wick allein aufs Land fahren lassen, um die freien Tage ganz dem Trinken und der Muße zu widmen. Birnam ist Alkoholiker und obwohl er es hin und wieder schafft, einige Tage nüchtern verstreifen zu lassen, trinkt er doch oft bis zur Besinnungslosigkeit. In zahlreichen Kneipen kennt man ihn bereits mit Namen, er schuldet kleine Geldbeträge, die er sich in Panik geliehen hat, um neuen Whisky aufzutreiben. Er kennt alle kleinen und großen Notlügen, Verstecke für heimliche Reserven, er kennt jeden gedanklichen Winkelzug, um sich seine Sucht als etwas Vorübergehendes, seinen Rausch als eine Erfahrung zu verkaufen, aus der er gestärkt hervorgeht. Don Birnams Leben richtet sich um das Zentrum Alkohol herum aus – und trotzdem sieht er sich noch immer die Zügel in der Hand halten.

(…) dazu stets die beruhigende Gewissheit, dass gleich hinter dem Gipfel das herrliche Lethe lag, Lethe, das den neuerlichen Sturz abfangen, die schwindende Ekstase tilgen, Helen und Wick und die ganze stirnrunzelne, unverständnisvolle Welt auslöschen würde. Überlebensgroß. Natürlich! Das war der Grund, weshalb er trank! Aber wer konnte hoffen, das zu verstehen – wer außer dem Mann, der es tat?

Besonders eindrücklich in Buch wie auch Film: Die Szene, in der Don Birnam seine alte Schreibmaschine ins Pfandhaus bringen will, wie er körperlich entkräftet durch Manhattans Straßen schlurft, im Arm seine Remington portable und alle Pfandhäuser überraschend verschlossen vorfindet. Es ist Jom Kippur, der höchste jüdische Feiertag. Charles Jackson versteht es meisterhaft, die Gedankenkreise des Trinkers nachzuzeichnen, seine Rechtfertigungsversuche, seine Fähigkeit wider besseren Wissens zu belügen, sich selbst wie auch andere. Er zeichnet ein authentisches, ungeschöntes Bild der Sucht, in den Farben der Scham, der Rücksichtslosigkeit, der tiefsten Erschöpfung und Lebensmüdigkeit. Charles Jackson wusste, wovon er schrieb, er hatte auch selbst erfahren, was Don Birnam quälte. Nicht umsonst gilt ,Das verlorene Wochenende’ auch unter Medizinern hinsichtlich der beschriebenen Symptome als sehr verlässliches Dokument. Man hatte sogar überlegt, dem Roman eine Art ,medizinisches Echtheitssiegel’ voranzustellen, weil man einem Roman über einen New Yorker Säufer nicht viele Leser zutraute. Man sollte sich tatsächlich irren, selbst Thomas Mann zeigte sich begeistert.

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Sicherlich hat der Roman, der nun in wunderbarer Gestaltung wieder in den Buchläden liegt, auch seiner Verfilmung einiges an Bekanntheit zu verdanken, wenngleich er in vielerlei Hinsicht noch wesentlich differenzierter ist als die Leinwandumsetzung. Charles Jackson thematisiert Kindheit und Jugend Don Birnams in meist deprimierender Ausformung, er schreibt von sexueller Unsicherheit, die sich besonders auf der Ausnüchterungsstation eines Krankenhauses Bahn bricht, in das er nach einem Treppensturz eingeliefert wird, von Vaterlosigkeit. Oft träumt Don in betrunkenem Zustand von einer Familie, von großem Erfolg mit einem Buch oder der Musik, alkoholisiert rezitiert er Shakespeare und hört klassische Musik. Wo Billy Wilders Film ein glimpfliches Ende offeriert, bleiben bei Jackson ein bitterer Geschmack und die Gewissheit, dass es nicht so schnell zu Ende geht, selbst wenn man bereits zur Genüge in den Abgrund geblickt hat. Als Leser jedenfalls kann man sich über diese Wiederentdeckung freuen, die, so schreibt Rainer Moritz im Nachwort, in nicht unwesentlichem Maße dem Autor und Journalisten Blake Bailey zu verdanken ist. Der verfasste neben hochgelobten Biographien über John Cheever und Richard Yates auch eine über Charles Jackson. Eine unbedingte Lese – und Filmempfehlung!

Das Delirium ist ein Leiden der Nacht.

Charles Jackson: Das verlorene Wochenende, aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell, Dörlemann Verlag, 352 Seiten, 9783038200079, 24,90 €

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