Alle Artikel in: Allgemein

Irgendwas mit Afrika

In den letzten Jahren wird immer häufiger junge afrikanische Literatur ins Deutsche übersetzt. Die Autorinnen und Autoren erzählen von ihrem Selbstverständnis, ihrer Zerrissenheit zwischen den Welten, von Alltagsrassismus und ihrem Kontinent. Damit scheint allerdings mittlerweile oft ganz automatisch ein bestimmter Phänotyp einherzugehen. Ich erkenne auf einige Meter Entfernung vermutlich mühelos das neue afrikanische Wunderkind der Literatur, wenn es in einer Verlagsvorschau angepriesen oder auf einem Buchtisch drapiert wird. Warum? Afrika ist bunt! Das muss sich dringend auch in der Covergestaltung spiegeln, deshalb kommt dieser Tage kaum eine Neuerscheinung aus dem afrikanischen Raum ohne aparte Muster, typographischen Besonderheiten und gewagte Farbkombinationen aus. Das Buch soll schon von Ferne ausstrahlen, dass es afrikanisch und mithin exotisch ist, man soll die Trommeln schon dröhnen hören und die Löwen brüllen. Früher war mehr Savanne und Giraffe. Heute ist das Gewand afrikanischer Frauen auf die Buchcover übergesprungen. Es ist immer eine kleine Herausforderung für’s Auge, für’s Hirn indessen nicht. Während manche sich darüber freuen können, dass die Gestaltung ihrer Bücher wenigstens gelegentlich variiert, hat Chimamanda Ngozie Adichie das Afrika-Cover auf …

André Kubiczek – Skizze eines Sommers

Potsdam, 1985. Die Sommerferien stehen bevor und mit ihnen nicht nur eine ungeahnte Freiheit, sondern auch ein Umbruch in Renés Leben. Sein Vater reist für mehrere Wochen in die Schweiz zu einem Friedenskongress und überlässt seinen sechzehnjährigen Sohn mit einem Bündel Geld sich selbst. Am Ende des Sommers wird die Welt anders aussehen. André Kubiczeks DDR-Jugendroman besitzt eine Leichtigkeit, die ihn zu einer ausgesprochen unterhaltsamen Lektüre macht. René und seine Freunde sind speziell. Im Arbeiter-und-Bauern-Staat lesen sie Baudelaire statt Marx, Huysmans statt “Nackt unter Wölfen”. Sie mögen es dekadent und auffällig, sind stolz auf das Dandy-Vokabular, das sie im Vorübergehen durch ihre Lektüre erwerben; auch wenn die Verfügbarkeit von Literatur dieser Art in der DDR gen Null tendiert. Irgendwie gelingt es ihnen doch. Sie hören subversiv Soft Cell, The Smiths, Cabaret Voltaire, New Order – überhaupt könnte man mühelos mithilfe von Skizze eines Sommers ein Mixtape zusammenstellen, das die Stimmung der Zeit und die Opposition dagegen in ganz verschiedenen Spielarten einfängt. Als Renés Vater überraschend zu einem Kongress in die Schweiz geschickt wird, bleibt René …

Katja Lange-Müller – Drehtür

In seinem Lied Gilead, so der Name einer Klinik, singt Rainald Grebe aus der Perspektive eines Psychiatriepatienten: Bruder Gilead hat eine Drehtür, ich will raus und komme gleich wieder rein. Dass dieses Drehtürphänomen mitnichten nur den Hilfsbedürftigen, sondern auch den Helfenden ein Begriff sein kann, beweist Katja Lange-Müller eindrücklich am Beispiel einer Frau, deren Lebensinhalt das Helfen war. Asta steht am Flughafen Franz Josef Strauß und wartet auf ihr Gepäck, das irgendwo auf der Strecke hängengeblieben ist. Sie postiert sich in der Nähe einer Drehtür, in der Tasche eine Stange Camel und beobachtet die An- und Abreisenden. Immer wieder stößt sie dabei auf Menschen, die frappierende Ähnlichkeit zu einigen aus ihrer näheren oder ferneren Vergangenheit aufweisen. Während sie sich also, gestrandet zwischen Gepäckwagen und China Restaurant eine Zigarette nach der nächsten anzündet, lässt sie ihr Leben revue passieren. Es ist ein Leben, das hauptsächlich aus der Arbeit für zahlreiche internationale Hilfsorganisationen bestand. Sie ist als Krankenschwester mit einem mobilen Hospital in Nicaragua, Ulan Bator und Temeswar, opfert sich auf für die gute Sache, obgleich sie …

Kurz und knapp rezensiert im Juni!

Zum dritten Mal k&k-Rezensionen, diesmal mit nur einer einzigen Neuerscheinung! George Steiner – Warum Denken traurig macht Schon im April hatte ich kurz über George Steiner geschrieben, seinerzeit ging es dabei um den Interviewband Ein langer Samstag. In diesem bereits 2006 erschienenen (ja, was eigentlich?) Essay, Traktat, Gedankenspiel geht es um den Akt des Denkens und seine immanenten Schwierigkeiten. Unter Berufung auf Schelling entfaltet Steiner zehn Gründe, weshalb das Denken und Existieren traurig stimmt. Begonnen bei der Erkenntnis, dass sicht nicht über das Denken hinausdenken lässt über die mutmaßliche Unmöglichkeit des Nichtdenkens bishin zur Uneindeutigkeit von Sprache, untersucht Steiner sämtliche Aspekte des Denkens. Er kommt letztlich auch zu dem Schluss, dass selbst zwei Liebende nie genau wissen können, was der andere denkt. Wir bleiben doch einsame Inseln in einem riesigen Meer, so sehr wir uns auch um den Brückenbau bemühen. Ein lehrreiches, hinsichtlich seines Aufbaus fast lyrisches Buch, das trotz aller Schwermut zum Denken anstiftet! Georg Steiner: Warum Denken traurig macht. Suhrkamp Verlag. Aus dem Englischen von Nicolaus Bornhorn. 124 Seiten. 8,00. Rebecca West – …

Katharina Winkler im Interview!

© Stefan Klüter/Suhrkamp Verlag Mit ihrem fulminanten Debüt “Blauschmuck” hat Katharina Winkler einiges Aufsehen erregt. Der Roman erzählt die Geschichte der jungen Türkin Filiz, die sich nach Jahren der Demütigung und Gewalt schließlich aus einer destruktiven Ehe befreien kann. Ich habe Katharina Winkler um ein Interview gebeten, um mehr über ihre Arbeitsweise und die Hintergründe zu erfahren. Frau Winkler, „Blauschmuck“ basiert auf realen Begebenheiten. Was hat Sie dazu bewogen, diese tatsächlichen Erfahrungen literarisch zu verarbeiten? Filiz und ihre Geschichte haben mich tief berührt. Es war mir wichtig, dieser Frau Gehör zu verschaffen, ihr die Wertschätzung entgegenzubringen, die ihr lange nicht entgegengebracht wurde. Der Arbeitsprozess war ein Korrektiv der Realität: die Wiederherstellung von Würde. Hatten Sie Kontakt zu der „wahren“ Filiz und ihren Kindern? Wenn ja, wie empfinden sie dieses Buch? Möglicherweise als befreiend, weil es bedeutet, das Schweigen zu brechen und aus einer anderen Perspektive auf ihre Lebensgeschichte zu blicken? Ich hatte das Privileg, meiner Hauptfigur Filiz zu begegnen, sie jahrelang zu begleiten und ihre Emanzipation miterleben zu dürfen. Filiz wollte, dass das Buch geschrieben …

Abbas Khider im Interview!

© Peter-Andreas Hassiepen Mit seinem Roman “Ohrfeige” hat Abbas Khider gewissermaßen den Roman der Stunde geschrieben. Im Mittelpunkt der Flüchtling Karim, der von Bürokratie und deutschem Asylsystem aufgerieben dem Land den Rücken kehrt. Aber nicht, ohne zuvor mit seiner Sachbearbeiterin von der Ausländerbehörde ein ernstes Wort zu sprechen. Ich habe unterdessen mit Abbas Khider ein paar Worte über persönliche Erfahrungen, die Stimmung in Deutschland und das Gefühl von Heimat gesprochen. Abbas, sicher verfolgst du die gegenwärtigen Debatten rund um das Thema Asyl und Flüchtlinge. Wie erlebst du diese Diskussionen vor dem Hintergrund deiner eigenen Erfahrungen? Ich glaube, wir beschäftigen uns zurzeit mit falschen Inhalten. Die Menschen, die hierher kommen, brauchen Sicherheit. Das ist die erste Phase der Integration. Natürlich ist es eine wichtige Phase, aber die zweite Phase der Integration ist härter, da geht es nicht nur um Sicherheit sondern um die Zukunft. Die Zukunft der einzelnen Personen, der Asylbewerber. In dieser zweiten Phase leben diese Menschen nur in Angst. Und ihre Ängste sind unbeschreiblich, verursacht durch das bürokratische Verwaltungssystem. In der ersten Phase der …

Clemens Setz im Interview!

© Hans Hochstöger/Focus/Suhrkamp Verlag Mit ,Die Stunde zwischen Frau und Gitarre‘ hat Clemens Setz einen der eindringlichsten und originellsten Romane dieses Jahres geschrieben. Im Interview spricht er über Lifehacks, lebenspraktische Tipps in Büchern, die heilsame Kraft des Unsinns und vergessene Autoren. Du sprichst sowohl in Interviews als auch durch Natalie im Roman immer wieder von sogenannten „Lifehacks“. Kleine poetische Abwandlungen des banalen Alltags, die dem Bekannten eine neue Dimension abgewinnen. Das Paare-Teilen, die temporäre Bewunderung und Verehrung einer völlig fremden Person ohne deren Wissen. Was sind deine liebsten Lifehacks? Und was bewirken sie? Ein Lifehack, den jeder machen kann, ist, in einem Buch, das man hasst, die meisten Sätze schwarz zu übermalen, bis eine neue Kombination von Wörtern übrig bleibt, mit der man leichter leben kann. Natalie Reinegger und ihre Wahrnehmung stehen im Mittelpunkt des Romans, grundieren ihn gleichermaßen. Du hast oft gesagt, sie sei nicht nur intelligenter, sondern auch insgesamt ein besserer Mensch als du. Welche Eigenschaften Natalies empfindest du als beneidenswert? Oder vielleicht besser: erstrebenswert. Ihre Geduld, ihr Einfallsreichtum, ihr Mut. Zu Beginn …

Kathrin Weßling im Interview!

© Yelda Yilmaz Gerade ist Kathrin Weßlings neuer Erzählband ,Morgen ist es vorbei‘ erschienen. Es geht um Liebe und was sie aus uns macht, wenn sie uns verlässt. Mit Kathrin habe ich über Liebeskummer gesprochen, über die Liebesfähigkeit unserer Generation und wer denn eigentlich so richtig fantastisch über Liebe schreiben kann. Kathrin, was tust Du denn gegen Liebeskummer? Das kommt wirklich sehr auf den Liebeskummer an. Manchmal fast gar nichts, weil es okay ist, wie und dass er da ist. Mit den Jahren habe ich jedoch herausgefunden, dass Sport und ein sehr regelmäßiger Lebensrhythmus sehr hilfreich sind. Aber seien wir mal ehrlich: Am Ende hilft doch gar nichts so richtig. Nur Zeit und Geduld mit sich. Was bedeutet Liebe für Dich? Oha. Ich glaube, das kann ich nicht so beantworten. Da bräuchte ich wohl eher 8163548 Seiten. Aber in erster Linie bedeutet sie (extrem kurz gefasst) für mich Freiheit. Wie schreibt man am besten über Liebe? Kann man überhaupt „gut“ darüber schreiben? Am Ende schreibt man ja doch immer nur über sich selber. Und über …

Alina Bronsky im Interview!

© Bettina Fürst-Fastré In ihrem aktuellen Roman erzählt Alina Bronsky von der alten Baba Dunja, die nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl in die radioaktiv verseuchte “Todeszone” zurückkehrt. In diesem Dorf hat sie vor dem Unglück gelebt und sie will dort sterben. Alina Bronsky erzählt im Interview, was sie zu der Geschichte einer Rückkehrerin bewegte und wie sich sich selbst an das Unglück erinnert. Frau Bronsky, Sie waren bei dem Reaktorunglück in Tschernobyl acht Jahre alt und lebten noch in Russland. Was haben Sie in Erinnerung von damals? So seltsam es klingt: Ich erinnere mich an gar nichts. Ich kann heute gar nicht sagen, ob das Verdrängung ist oder ob die sowieso eher spärlichen Informationen einfach nicht zu mir durchgedrungen sind. Ich habe erst viel später angefangen, das Ausmaß der Katastrophe, die mit dem Wort Tschernobyl assoziert wurde, zu begreifen Baba Dunja tut mit der Rückkehr in die sogenannte „Todeszone“ ja etwas eigentlich Unbegreifliches. Dennoch gibt es ja auch außerhalb der Fiktion diese Rückkehrer. Was, glauben Sie, bewegt die Menschen dazu, sich dieser Gefahr auszusetzen? Ich …

Manuel Möglich im Interview!

© Regina Schmeken Was ist für Dich deutsch? Gibt es Dinge oder Verhaltensweisen, die du selbst automatisch mit Deutschland verbindest?  Ohne Klischees zu strapazieren, als erstes ganz naheliegend: die deutsche Sprache. Aber auch die Unsicherheit in Sachen patriotischen Gefühlen. Wie kam es zu ,Deutschland überall’, bzw. auch zur Reportagereihe ,Deutschland von außen’? In den letzten 10-15 Jahren bin ich recht viel durch die Welt gereist und habe mehr oder weniger intensiv über meine deutsche Herkunft und Identität nachgedacht. Wenn man beispielsweise in Israel unterwegs ist, setzt man sich automatisch sehr mit solchen Dingen auseinander. Diese Gedanken und der Spaß am Reisen existierten also schon eine Weile. Als ich in einem Spiegel-Artikel über die Stadt Lüderitz in Namibia las, dass es dort noch Leute geben soll, die angeblich den Geburtstag von Adolf Hitler feiern, dachte ich mir: „Das klingt so absurd, daraus könnte eine Geschichte werden. Ich fahr da jetzt einfach mal hin.“ Auf dieser Reise durch die ehemalige Kolonie Deutsch-Südwestafrika habe ich letztendlich so viele Storys gesammelt; ich war zuversichtlich, dass das auch in anderen …