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Nicht gerade untadelig.

© Rosmarie Voegtli, CC BY 2.0

Wenn Blogtexte ausschnittweise im Kulturteil einer Zeitung landen – ungefragt natürlich – ist das erstmal sehr kurz schmeichelhaft. Und dann unsäglich ärgerlich.

Die bisher geführte und nunmehr bereits bärtige Debatte unter dem griffigen Slogan „Blogger vs. Feuilleton“ verlief in der Regel nur in eine Richtung. Ist das Feuilleton den Bloggern mit seiner Expertise und dem nötigen Sachverstand nicht weit voraus? (meistens eine rhetorische oder mindestens eine Suggestivfrage) Ist es vielleicht sogar unbedingt dem Eindruck eines Hobbylesers vorzuziehen, wenn man eine profunde Rezension zu lesen wünscht? Kann ein Blogger so etwas überhaupt leisten? Zugegeben: die Debatte ist erlahmt, irgendwann ist einfach die Luft raus. Das Hamburger Abendblatt (Teil der Funke-Mediengruppe) hat nun aber dieser dahinsiechenden Diskussion einen ganz neuen Dreh verpasst, den es so zuvor vermutlich höchstens hinter vorgehaltener Hand oder verschlossener Tür gegeben hat. Am 24.08.2015 veröffentlichte ich meine Rezension zu Jane Gardams „Ein untadeliger Mann“. Es ist der Auftaktroman zu einer Trilogie rundum den Zerfall des Britischen Empire, wunderbar übersetzt von Isabel Bogdan. Am 17.12.2015 erschien im Hamburger Abendblatt ebenfalls eine Rezension zu Gardams Buch. Nicht ganz vier Monate, nachdem meine Besprechung online ging, die spätestens seit der Kamerapräsenz des Romans beim Literarischen Quartett auch spürbar mehr Aufmerksamkeit weckte. Soweit nichts Ungewöhnliches.

Bei näherer Betrachtung aber stellt sich heraus, dass die Rezensentin Armgard Seegers, seit 1991 (!) Kulturredakteurin des Hamburger Abendblatts und Frau des verstorbenen Hellmuth Karasek, alte Häsin sozusagen, das ein oder andere Loch in ihrer Besprechung mit meinen Worten gestopft hat. Mal ganz originalgetreu, mal so ungefähr, die Anleihen aber lassen sich deutlich erkennen. Was bringt nun aber eine gestandene und profilierte Redakteurin, die seit fünfundzwanzig Jahren in dieser Redaktion beschäftigt ist, zu solch einem Verhalten? Das hätte mich auch wirklich brennend interessiert. Zeitdruck? Nachlässigkeit? Desinteresse? Dünkel? Bedauerlicherweise fühlte sich beim Hamburger Abendblatt niemand dafür zuständig, eine Stellungnahme zum Fall abzugeben, trotz offener Nachfrage und einer angemessenen Fristsetzung. Sei es nun, weil man das Ganze ohnehin für nicht (ge)wichtig genug befindet. Oder weil man eher Zweifel an den Aussagen einer Bloggerin hegt als an denen einer guten Kollegin. Dieses vornehme Schweigen ist für mich allerdings nun auch der Grund, den Fauxpas öffentlich zu machen, den diplomatisch und still zu regeln ich mich nicht geweigert hätte.

Vermutlich hat Frau Seegers ihre Entlehnungen ohne entsprechende Quellenangabe auch in der Überzeugung vorgenommen, dass es sowieso niemand bemerkt. Nun gibt es aber leider doch aufmerksame Leser, denen Parallelen wie diese auffallen. Dafür bin ich dankbar. Blogger mögen in der Regel keine Journalisten sein, womöglich beabsichtigen sie aber, das auf lange Sicht zu ändern. Und selbst, wenn sie es nicht täten; eine Arbeitsweise wie diese ist hochgradig unprofessionell und respektlos der Arbeit gegenüber, die ich investiere. Im Grunde gibt es für ein solches Vorgehen keine tatsächlich überzeugende und vernünftige Erklärung, schon gar nicht, wenn man über weit mehr als fünfundzwanzig Jahre Berufserfahrung verfügt. Zweifellos: oft sind Literaturbesprechungen im Feuilleton gehaltvoller und um deutlich mehr Objektivität bemüht, die Regel aber muss es, wie wir sehen, nicht sein. Offensichtlich sind auch Blogger dazu in der Lage. So sehr in der Lage sogar, dass man von ihnen abschreiben und dann darüber schweigen muss. Wie gut, dass es “bloß” eine Rezension war. Und keine Doktorarbeit.

*Update 05.02. 15:45: Das Hamburger Abendblatt hat sich bei mir gemeldet und wir sehen nun, wie wir den Fall klären können.

*Update 05.02. 16:34: Ich habe mittlerweile mit der Rezensentin Armgard Seegers telefoniert. Sie hat sich für ihr Vorgehen entschuldigt und mir erklärt, wie es dazu gekommen ist. Mehrere unglückliche Umstände (Zeitdruck, privater Trauerfall, Lektüre lag Monate zurück und Buch war für die Rezension nicht nur Hand) haben letztlich zu diesem Verhalten geführt.

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