Alle Artikel mit dem Schlagwort: matthes & seitz

Anna Weidenholzer – Weshalb die Herren Seesterne tragen

Glück ist messbar. Jedenfalls, wenn man in Bhutan lebt und einen ausufernd umfangreichen Fragebogen zur eigenen Lebenssituation ausgefüllt hat. Aus dessen Antworten errechnet sich das sogenannte Bruttonationalglück. Wie gerecht erleben Menschen ihren Zugang zu Bildung, Kultur oder Gesundheit? Was steht ihnen dabei im Weg? Und woher kommt die Angst, die das gesellschaftliche Fundament unterhöhlt? Der pensionierte Lehrer Karl Hellmann macht sich in einem zufällig ausgewählten Ort auf die Suche nach Antworten. Karl hat Margit nicht gesagt, dass er, bewaffnet mit den bhutanischen Fragen zum Lebensglück, das Haus verlässt, um in einer zufällig ausgewählten Kleinstadt zu forschen. Karl ist ein einfacher und unauffälliger Charakter, angesiedelt irgendwo zwischen Loriot und Herrn Janosch. Etwas linkisch zwar, aber ungemein liebenswürdig dabei. Und er will wissen, was die Menschen glücklich macht; oder viel mehr: was sie daran hindert. Seine erste Gesprächspartnerin wird die Wirtin der Pension, in die er sich einmietet. Es ist leer dort und zu warm für die Jahreszeit, längst hätte es schneien müssen, um Wintersportler anzulocken. Die Wirtin und ihre Hündin Annemarie sind genügsam, nur beim Tarot …

Roger Clarke – Naturgeschichte der Gespenster

Wenn es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als wir gegenwärtig nachzuweisen oder in Worte zu fassen in der Lage sind, liefert Roger Clarke uns umfassendes und glänzend recherchiertes Material, auf dessen Basis wir Überlegungen anstellen können. Quer durch die Jahrhunderte untersucht er Geistererscheinungen, Spukphänomene und Legenden und setzt sie kenntnisreich in einen größeren historischen Kontext. Es ist im besten Sinne drin, was draufsteht: eine nahezu erschöpfend genaue Beweisaufnahme des Übernatürlichen. In diesem Buch geht es also nicht um die Frage, ob es Geister gibt oder nicht, sondern darum, was wir sehen, wenn wir einen Geist sehen, und um die Geschichte, die wir uns davon erzählen. Mit diesen Worten schließt Roger Clarke sein Vorwort, in dem er Rechenschaft über sein persönliches Interesse am Geisterhaften ablegt. Von Kindesbeinen an wohnte er immer wieder in Häusern, denen übernatürliche Bewohner nachgesagt wurden. Er verschlang Bücher über die Geisterjagd und Geistererscheinungen, von denen es schon damals zahllose gab. Er nahm Kontakt zu Geisterjägern auf und besichtigte viele einschlägig bekannte Spukorte – so z.B. den Tower of London, Knighton Gorges …

Paul Westheim – Heil Kadlatz

Paul Westheim, geboren 1886, machte sich vorallendingen als Kunsthistoriker und Publizist einen Namen, bevor er 1933 zunächst nach Paris emigrierte. Er gab ,Das Kunstblatt’ heraus, in dem er Beiträge verschiedener expressionistischer Maler wie Oskar Kokoschka oder Otto Dix veröffentlichte. ,Heil Kadlatz’ erschien erstmals 1936 als Fortsetzung im ,Pariser Tageblatt’ und war einer der wenigen belletristischen Arbeiten Westheims. Der Roman ist von bestechender Klugheit und satirischer Schärfe. Kadlatz ist Portier in Berlin und während des Ersten Weltkrieges ein glühender Nationalist (wenn auch nicht so glühend, dass er sich zum Einsatz an der Front gemeldet hätte). In seiner Loge hängt nicht nur ein Plakat, das eindringlich vor Spionen warnt, er hat auch eine Landkarte an der Wand befestigt, auf der er mittels kleiner Stecknadeln die Bewegung der Front regelmäßig auf den neuesten Stand bringt. Seine unverzichtbare Informationsquelle ist Friedrich Pehlke, längst Major a.D. Dessen Begegnungen mit dem Kriegsgeschehen sind eher zu vernachlässigen, allerdings kann ihm ein eindrucksvolles Talent zum Hackenzusammenschlagen und Uniformtragen niemand absprechen, am wenigsten Kadlatz. Friedrich Pehlke umgibt der Nimbus des Militärischen, des ehrenvollen Kameraden …

Desmond Morris – Eulen

In gewohnt wunderbarer und buchherzbeschleunigender Aufmachung erschien unlängst die neue Naturkunde zum Thema ,Eulen’. Nicht nur werden diese Tiere häufig als inoffizielles Wappentier des Viellesers benutzt, im Laufe der Jahrtausende hat die Eule als Symbol einige Berg – und Talfahrten erlebt. Geächtet, gefürchtet, verehrt und schließlich im Trend – eine kleine Kulturgeschichte der Eule. Es wäre wahrscheinlich spannend zu untersuchen, weshalb die Eule heutzutage ein Tier geworden ist, das für die Allgemeinheit als Symbol relativ unverbraucht in sämtlichen Bereichen zu finden ist. Es gibt Eulendecken, Kleidung mit Eulenmuster, Eulenstempel, Stiftetuis in Form einer Eule, Geschirr mit Eulen – die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Umgibt die Eule noch immer die Aura des Weisen und Bedächtigen? Oder woher rührt unsere offensichtliche Begeisterung für ein Tier, das die wenigsten bisher leibhaftig gesehen haben? Käme nun ein einfacher Mann aus dem alten Rom auf verschlungenen zeitlichen Pfaden zu uns, er wäre vermutlich ängstlich und irritiert. Denn nicht immer war die Eule als Tier so angesehen und verbreitet. Man hielt sie aufgrund ihrer Nachtaktivität, ihres lautlosen Jagens und ihres …

Emmanuel Carrère – Alles ist wahr

Emmanuel Carrère ist ein französischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Filmproduzent. Er hat bereits einige Bücher veröffentlicht – unter anderem über Werner Herzog und Philipp K.Dick – und war 2010 Jurymitglied bei den Fimfestspielen in Cannes. Seine Geschichte La Classe de neige (“Schneetreiben”), die einen väterlichen Mörder zum Protagonisten macht, wurde 1998 verfilmt. Für Limonow wurde Carrère u.a. mit dem Prix Renaudot und dem Prix de la langue francaise ausgezeichnet. ,Alles ist wahr‘ erscheint nun, wie auch sein Vorgänger, im Matthes & Seitz Verlag. Emmanuel Carrère ist wahrscheinlich, der Vergleich ist gar nicht so wagemutig, ein französischer Truman Capote. Als der seinen Tatsachenroman ,Kaltblütig‘ über eine ermordete Familie auf einer Farm in Kansas schrieb, war die Gattung des Tatsachenromans noch etwas Brandneues und Experimentelles. Niemand hatte zuvor auf diese Weise versucht, Wirklichkeit und prosaisches Schreiben miteinander zu verbinden, tatsächliche Geschehnisse nicht ausschließlich nüchtern und faktenreich aufbereitet zu präsentieren, sondern literarisch anspruchsvoll. Capote gelang eine Sensation. Sensationell ist der Tatsachenroman als solcher heute freilich nicht mehr, aber es gibt Autoren, die ihn glänzend beherrschen, diesen Balanceakt zwischen Fiktionalisierung und …