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Carolin Emcke – Ja heißt ja und …

Emckes neues Buch, das aus einem kreisenden und suchenden Monolog für die Bühne entstanden ist, wird vorrangig als Beitrag zur #MeToo-Debatte gewertet. Tatsächlich geht es zwar um sexuelle Gewalt und wie das Sprechen darüber möglich ist in einer Gesellschaft, die lieber so wenig wie möglich über Themen wie diese spricht – es geht aber auch um viel grundsätzlichere Fragen des Miteinanders und der Kommunikation.

Wahrnehmung, schreibt Emcke, muss man üben. Viel zu oft setzen wir eigene Erfahrungen absolut, ohne darüber nachzudenken, dass sie immer nur einen Ausschnitt aus dem widerspiegeln, was insgesamt passiert. Um etwas für möglich zu halten, muss ich mir zunächst einmal darüber im Klaren sein, dass es passiert. Und ich muss dieses Bewusstsein immer wieder schärfen, Wahrnehmung trainieren. Was auf den ersten Blick vielleicht unterkomplex klingt, ist für die meisten Menschen im täglichen Leben schon eine veritable Herausforderung. Oft genug werden Erfahrungen anderer unter der Prämisse abgewertet, man habe das selbst noch nie erlebt (implizite Schlussfolgerung: Dann muss diese geschilderte Erfahrung entweder ein bedauerlicher Einzelfall oder gar komplett erlogen sein). Emcke schildert vor dem Hintergrund einer Reise nach Afghanistan und dem Zusammentreffen mit einem afghanischen Jungen, wie die Begrenzung ihrer eigenen Wahrnehmung dazu führte, dass sie Schlussfolgerungen nicht zog, die das von ihr Erlebte erweitert und differenziert hätten. Diese selbstkritische Schilderung ist nur eine von diversen kraftvollen Passagen, die ihre Eindringlichkeit vor allem auch aus der Bereitschaft ziehen, sich selbst zu hinterfragen.

Wenn die Wahrnehmung (und das Verstehen) etwas mit Quantität zu tun hat, der Häufigkeit der Erfahrung nämlich, lässt sich Wahrnehmung auch üben. Individuell, aber auch als Gesellschaft. Sich etwas vorstellen zu können, sich in etwas hineindenken oder -fühlen zu können, bestimmte Erfahrungen oder Geschehnisse für möglich zu halten, das wird leichter, je häufiger es versucht wird.

Ja heißt ja und … rekapituliert auch in Teilen die #metoo-Debatte; insgesamt affirmativ, aber nicht unkritisch gegenüber über bestimmten Formen der Gesprächsführung. Emcke habe lange gezögert, sich dazu zu äußern, auch vor dem Hintergrund ihres eigenen Standpunkts als queere Autorin und Journalistin. Ihre eher androgyne Erscheinung habe sie dem Blick der Männer häufig insofern entzogen als sie kaum als “richtige Frau” wahrgenommen wurde. Im Zentrum ihrer Überlegungen steht die Frage nach Macht: wie sie konkret beschaffen ist, wer sie ausübt, welcher Mechanismen sie sich bedient, wie vielschichtig sie sein kann. Macht ist Foucault zufolge produktiv, sie bildet Strukturen und Mechanismen aus, verläuft nicht eindimensional von oben nach unten. Emcke versucht nachzuzeichnen, wo Macht innerhalb von Beziehungs – oder Kommunikationsstrukturen ersichtlich wird und auf welchen Fundamenten oder unausgesprochenen Vorannahmen sie gründet. Immer wieder nimmt sie dabei auch die Sprache in den Blick, durch die sich bestimmte Denkmuster manifestieren oder Umstände verschleiert werden. “Lass dich nicht mitschnacken” z.B. als Unterweisung für Frauen und Mädchen; eine Warnung, die die Gefahr, vor der da gewarnt wird, bewusst sprachlich unsichtbar macht. Solche “Blendgranaten” haben, so Emcke, auch Einfluss darauf, wie und ob über (erlittene) Gewalt gesprochen wird.

Der öffentliche Diskurs unterstellt gelegentlich, jemand müsse einer bestimmten Gruppe angehören, bestimmte Erfahrungen gemacht haben, um diese Erfahrung verstehen und sich äußern zu können.
(…)
Warum solten sich nicht auch Weiße kritisch zu strukturellem Rassismus äußern dürfen, Heterosexuelle zu Homophobie, Atheisten zu Religionsfreiheit, Männer zu Sexismus? Ich erwarte das sogar von ihnen.

Emcke wirbt für einen Diskurs über Gewalt in ihren vielschichtigen Erscheinungsformen, der nicht selbst auf einer anderen Ebene Gewalt reproduziert. Für einen Diskurs, der nicht berechtigt gesellschaftliche Ausschlussmechanismen anprangert und sie selbst durch die Hintertür wieder einführt. Emcke warnt davor, blind zu werden “für die eigenen Orthodoxien”. Wer gelegentlich Debatten in sozialen Medien verfolgt, dem werden mindestens diskutable Ausschlussmechanismen und blinde Flecken im Gefolge der guten Sache gelegentlich begegnet sein. Es tut gut, eine differenzierte Auseinandersetzung wie die von Emcke zu lesen. Bestimmt in der Sache und notwendig kritisch gegenüber verzerrendem Vokabular wie “Tugendterror”, einfühlsam dort, wo es um die Kommunikation von Gewalterfahrungen geht und den daran anschließenden Diskurs, selbstkritisch wo es um das eigene Schweigen, das eigene Nichtstun geht. Ja heißt ja und… ist ein dünnes Buch, gerade knapp 100 Seiten, aber ungeheuer wertvoll bei der Beantwortung der Frage, wie wir künftig online und offline diskutieren, wie wir miteinander umgehen, wie wir uns aufeinander zubewegen können dort, wo es sinnvoll ist – und wie wir uns klar abgrenzen von rassistischen und menschenfeindlichen Debatten. Es beginnt mit Am Anfang war der Zweifel und ich würde mir manchmal wünschen, dass dieser Zweifel wieder öfter ausgehalten werden kann.

Carolin Emcke: Ja heißt Ja und… , Fischer Verlag, 112 Seiten, 15,00 €.

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