Alle Artikel in: Kultur

Berichte vom Besuch kultureller Veranstaltungen

10 Erzählbände, die man lesen muss

Die Erzählung hat gegenüber dem Roman einige Vorteile. Sie bietet in komprimierter Form, wofür der Roman manchmal unsäglich viel Zeit braucht. Sie lässt sich auch schnell mal zwischendurch lesen, wenn man nicht die Ruhe für einen ausufernden Siebenhundertseiter hat. Sie ist zugespitzt und oft um ein einzelnes Erlebnis herum entwickelt. Sie ist dort, wo der Roman ein möglichst großes Bild präsentiert allenfalls ein wesentlicher Teil, auf den sie sich mit Liebe zum Detail kapriziert. Höchste Zeit also, einige wirklich lohnenswerte Erzählbände zu präsentieren. 1. Finn-Ole Heinrich: Gestern war auch schon ein Tag Erstmals 2009 erschienen, versammelt dieser Erzählband die Schattenseiten des menschlichen Miteinanders. Er schont weder Protagonisten noch Leser und scheut nicht vor unpopulären Gedanken zurück. Mit einer kraftvollen Sprache und einem poetischen Blick für die Kleinigkeiten strahlen diese Erzählungen noch über die Lektüre hinaus. Finn-Ole Heinrich: Gestern war auch schon ein Tag, btb Verlag, 160 Seiten, 8,99 € 2. Saïd Sayrafiezadeh: Kurze Berührungen mit dem Feind In einer durchschnittlichen amerikanischen Stadt begegnen viele junge Menschen ihrem Feind. In Gestalt eines missgünstigen Chefs, eines miesen …

Buchtipps für Weihnachten

Auch wenn es sich noch nicht so anfühlen mag; das Weihnachtsfest naht mit raschen Schritten. Wer nicht so strebsam war, seine Geschenke über’s Jahr zusammenzuhamstern oder in einem Abwasch bereits vor Wochen alles erledigt hat, steht natürlich wie jedes Jahr vor der Frage, was man den Lieben unter die nadelnden Zweige des bechristbaumkugelten Baums legen könnte. Wer passionierte Leser und Leserinnen beschenken will (oder muss), findet in diesem Artikel eine Auswahl querbeet. Lohnens – und Lesenswertes, Leichtes, Schweres, Besonderes, Verrücktes, los geht’s. (bevor ich beginne: nicht fotografisch festgehalten werden konnte an dieser Stelle Mercedes Lauensteins “Nachts”, das Buch ist entliehen. Aber auch ohne optischen Appetizer rate ich dringend zum Verschenken!) Michael Weins: Sie träumt von Pferden – Mit seinen märchenhaften, bisweilen skurrilen Geschichten entdeckt Michael Weins das Universelle im Individuellen. Außerdem im Buch: wunderschöne Illustrationen von Katharina Gschwendtner. mehr | bestellen Kristine Bilkau: Die Glücklichen – Ein Debütroman, der die hochaktuelle Geschichte zweier junger Menschen erzählt, deren größte Angst das Scheitern und Versagen ist. mehr | bestellen Frédéric Beigbeder: Oona & Salinger – Ein auf …

Automatendichtung und SuKuLTuR

Sie erinnern im ersten Moment an die charakteristisch gelben Reclamhefte, von denen zahllose Schülergenerationen manchmal mühsam durch verschiedene Literaturepochen begleitet wurden. Tatsächlich bestand sogar zu Beginn der Unternehmung “SuKuLTuR” noch eine weit größere Ähnlichkeit, die angesichts drohender Rechtsstreitigkeiten aber so schnell wie möglich ausgemerzt wurde. Inhaltlich bietet die “Schöner-Lesen-Reihe”, wie sie sich nennt, im Gegensatz zu Reclam viele originelle und spannende Texte deutscher Gegenwartsliteratur – aus dem Automaten. Gegründet schon 1995, begann alles 1996 mit einer Erzählung namens “Der Knubbel” (mittlerweile übrigens in der 7. Auflage), die sich um das Überbein des Verlagsgründers Marc Degens dreht. Gemeinsam mit Torsten Franz verlegte Degens künftig “kühne Lyrik” und “seltsame Prosa”, wie es in Heft Nr.88 ,Die SuKuLTuR-Jahre‘ heißt. Mit einem eher lockeren Verhältnis zum Geschäft und einer angemessenen Portion Idealismus wurden die kleinen Hefte in nicht allzu großer Hektik produziert. Eine goldene Nase wollte sich niemand damit verdienen, 2 Mark kostete seinerzeit ein Heft. Im Jahr 2000 gründeten Degens und Franz gemeinsam mit Frank Maleu das Online-Kulturmagazin satt.org, das bis heute Bestand hat. Dort versammeln sich Buch …

Die ZEIT-Bibliothek der verschwundenen Bücher

Seit rund einer Woche sind die ersten 12 Titel der ZEIT-Bibliothek der verschwundenen Bücher nun online oder über den Buchhandel erhältlich. Es sind zwölf wiederentdeckte Klassiker, von Alice Walker und Stanislaw Lem über William Faulkner bishin zu Françoise Sagan. Allesamt Werke renommierter ErzählerInnen innerhalb des weltliterarischen Kanons, die zu lange nicht mehr neu zu kaufen und allenfalls in chaotischen Flohmarktkisten zu entdecken waren. Dieses Projekt des Verlags Eder & Bach hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese zu Unrecht vom Markt verschwundenen Juwelen wieder auffindbar zu machen. Verlagsgründer Klaus Füreder, der u.a. bereits die SZ-Bibliothek entwickelt und vermarktet hat, kennt sich aus mit Großprojekten dieser Art. Im Fall der ZEIT-Bibliothek der verschwundenen Bücher hatte er dabei Unterstützung von namhaften Literaturredakteuren der ZEIT, die ihn bei der Konzeption und Recherche tatkräftig unterstützt haben. Und so ist aus dieser launigen Idee letztendlich so etwas wie ein kleines Aufbegehren gegen die Geschwindigkeit des Marktes entstanden, die so manches lohnenswerte Buch im Meer von Neuerscheinungen verschwinden lässt – oder ihm bloß eine äußerst kurze Halbwertszeit im Rampenlicht gönnt. Die …

Immer diese Literaturblogger.

© Sascha Kohlmann, Lizenz: CC BY-SA 2.0 Eines der beliebtesten Themen dieser Tage scheint (wieder) die Frage zu sein, was Literaturblogs für wen und warum aus welcher Motivation heraus leisten können. Sie gelten jetzt weniger als feindlich gesinnte Invasoren des Feuilletons – mittlerweile weiß man ja, dass auch professionelle Literaturkritiker hin und wieder die Vorzüge eines eigenen Blogs zu schätzen wissen und zu nutzen verstehen. Sie sind viel eher – sieht man von den professionell Behintergrundeten ab – eine noch zu entdeckende Spezies Mensch im Literaturbetrieb. Sie stecken voller Leidenschaft und Glaubwürdigkeit, die sie ohne Gegenleistung ganz altruistisch im Netz ausstellen. Sie erlauben sich einen persönlichen und emotionalen Zugang zu Literatur, sie sind offen und bisweilen ansteckend begeisterungsfähig. Inwiefern sie tatsächlich verkaufsfördernd wirken, kann bisher nicht gemessen werden. Man nimmt es an und behandelt sie dementsprechend. Sie sind gern gesehene Multiplikatoren, einige wenige vielleicht sogar diese vielbeschworenen „Influencer“, deren Meinung tatsächlich Gewicht hat. Inwiefern sie tatsächlich verkaufsfördernd wirken, kann bisher nicht gemessen werden. Der NDR hat kürzlich mit einem Beitrag im Kulturjournal die Debatte „Facebook …

Literaturkritiker auf dem Bolzplatz

© obs/ZDF/ZDF/Jule Roehr Als Volker Weidermann am Ende des ersten Literarischen Quartetts in neuer Auflage die Diskussionsergebnisse wie ein Sportkommentator zusammenfasst, überlegt man für eine Sekunde, ob die heute-show womöglich auf Sendung geblieben ist. Für die Zuschauer, die dem Hochgeschwindigkeitsgeplauder der vier Diskutanten nur schwerlich folgen konnten, gibt es die Quintessenz in dosierter und möglichst vereinfachter Form – das vielleicht ein Zugeständnis an die „normale Leserschaft“. So unter anderem ein ausgeglichenes 2:2 für Chigozie Obiomas magischen Afrikaroman „Der dunkle Fluss“, der dieser Tage auch für den Booker Prize nominiert ist. Während Frau Westermann nicht über die vermeintlich schlechte und ungelenke Übersetzung hinwegzukommen bereit ist, betrachtet Maxim Biller es als „Selbsthassbuch“, in dem die Zerrissenheit Nigerias in außerordentlicher Weise so kunstfertig zum Ausdruck kommt, dass er sich an Camus oder Kafka erinnert sieht. Gleich zu Beginn stellt er klar, dass er keine Superlative scheue. Das allerdings ist nicht unbedingt das Einzige, was Biller nicht scheut. Die Diskussion über Literatur braucht weder Harmoniestifter noch Krawallmacher, wenn sie inhaltlich überzeugen kann Maxim Biller ist so etwas wie der …

Blogfragen von Stefan Mesch

© AnDi Kamera on Flickr Der Literaturkritiker und Blogger Stefan Mesch hat Fragen für Literaturblogger ausgeknobelt und sie zur freien Bedienung allen Interessenten zur Verfügung gestellt. Dabei geht es u.a. um eigene Ansprüche, literarische Prägung, Geheimtipps, Verlagskontakte und Literaturkritik. Das Lieblingsbuch meiner Mutter: Ob es einen All-Time-Favourite gibt, weiß ich nicht, aber zuletzt hat sie sehr begeistert “Das grüne Rollo” von Heinrich Steinfest gelesen. Sie kommt durch meine Tätigkeit wieder mehr zum Lesen, trotz chronischen Zeitmangels. Das Lieblingsbuch meines Vaters: Ich hatte nie Kontakt zu meinem Vater, aber man munkelt immer wieder, er hätte Brecht sehr geschätzt. (und tut es vielleicht noch immer) Ich führe einen typischen Buchblog, weil… ich nicht weiß, was ihn ungewöhnlicher machen würde. Nein, ohne Quatsch – ich weiß auch nicht, was ein typischer Buchblog ist. Einer, der halt nur Rezensionen veröffentlicht? Ich betrachte mich weder als besonders klassisch noch als bahnbrechend innovativ. Und wenn ich mich einordnen müsste, fehlten mir die Maßstäbe. Am Bloggen überrascht mich / beim Bloggen habe ich gelernt, dass…es einen Alltag und die Art, wie man …

Gedanken zur Shortlist

Die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2015 hat das Licht der Öffentlichkeit erblickt – und muss sich jetzt den zahlreichen Kritikern stellen. Denen, die etwas vermissen. Denen, die sich Verkäuflichkeit und Zugänglichkeit erwarten. Denen, die höchste literarische Kunstfertigkeit schätzen und besonders dann für preiswürdig halten, wenn die anvisierte Leserschaft sich auf einen möglichst erlauchten Kreis an Menschen mit profundem Fachwissen beschränkt. Diskussion haben Long – wie Shortlist schon seit jeher ausgelöst und das ist wahrscheinlich einer der positivsten Nebeneffekte dieser Preisverleihung: es entsteht ein Gespräch über Literatur, über Maßstäbe, Erwartungen und Prioritäten. Manch einem mag dabei aufstoßen, dass sich dank sozialer Medien und engmaschiger Vernetzung nun auch Diskutanten einschalten, die Literatur vornehmlich danach beurteilen, wie lesbar sie ist. Insgesamt aber profitieren Diskussionen sicher von der Vielstimmigkeit. Diese Shortlist ist sperrig. Sämtliche vergleichsweise leicht lesbare Titel wie „89/90“ (vermutlich wollte man nicht wieder DDR-Thematik auszeichnen), „Bodentiefe Fenster“, „Baba Dunjas letzte Liebe“ oder „Applaus für Bronikowski“ sind aus dem Rennen, genauso wie die hochpoetischen Weltuntergangsszenarien von Valerie Fritsch und Heinz Helle. Clemens Setz, bereits mehrfach für den Buchpreis …

#BloggerFuerFluechtlinge

© Rasande Tyskar “Lampedusa in Hamburg”, Lizenz Man fragt sich dieser Tage immer wieder kopfschüttelnd: Was ist eigentlich in diesem Land los? Da kommen Menschen aus Kriegs – und Krisengebieten meistens unter Lebensgefahr nach Deutschland und hoffen, hier ein Leben ohne Angst und Terror führen zu können und begegnen auf den Straßen oft den Einfältigsten dieser Gesellschaft. Die, die in diesem Flüchtlingsstrom bloß “Wirtschaftsflüchtlinge” sehen, “Asylschmarotzer” und asoziales Pack, die über ihre Frauen und Kinder herfallen und den Deutschen ihre Arbeit wegnehmen. Sie marschieren auf als wütender und pöbelnder Mob, der sich den Anstrich des um Land und Leute besorgten Bürgers gibt, – in Heidenau, in Freital und anderswo. Mit Argumenten kann man die wenigsten noch erreichen, die nicht Überfremdung befürchten, sondern schleichende Kolonisierung durch die Länder der Dritten Welt. Mit Zahlen dagegen argumentieren? Erklären, wie viele Menschen dieser Tage weltweit auf der Flucht sind und wie viele davon in Europa landen? Das ist meistens müßig und mindestens ebenso schmerzlich. Ganz automatisch ist man plötzlich der Gutmensch und Realitätsverweigerer. Während man sich in Heidenau auf …

Longlist des Deutschen Buchpreises 2015

© Rainer Rüffer; Die Jury von links nach rechts: U. Sárkány, C. Kramatschek, M. Hinterhäuser, U. Kloke, R. Keussen, B. Schulte, C. Schmidt Die Jury des Deutschen Buchpreises 2015 hat entschieden und wieder einmal zwanzig Romane herausgepickt, die die besten des Jahres sein könnten. Fraglos keine leichte Aufgabe, unter 167 Titeln 20 auszuwählen, die diese Ehrung vermeintlich verdienen und die die literarische Öffentlichkeit in den nächsten zwei Monaten mit Spekulationen, Kritik und Analysen beschäftigt halten können. Nichtsdestotrotz, alea acta est, hier sind sie nun, mit einem jeweils kurzen Kommentar: Alina Bronsky: Baba Dunjas letzte Liebe Gerade erst erschienen und schon der Sprung auf die Longlist. Ein lohnens – und lesenswerter Roman über die alte Baba Dunja, die nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl aller Warnungen zum Trotz in ihr ehemaliges Heimatdorf zurückkehrt. Eine Rezension findet ihr hier, außerdem habe ich kürzlich ein kleines Interview mit der Autorin veröffentlicht. Ralph Dutli – Die Liebenden von Mantua Bereits 2013 stand Ralph Dutli mit ,Soutines letzte Fahrt‘ auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. In seinem neuen Roman geht es …