Alle Artikel mit dem Schlagwort: luchterhand verlag

Saša Stanišić – Fallensteller

Nach dem prämierten Uckermarkmärchen Vor dem Fest sind unlängst neue Erzählungen von Saša Stanišić erschienen. Ihr Ton changiert, mal ist er humorvoll und lakonisch, mal verspielt und romantisch, gelegentlich bodenständig. Ihnen allen gemein ist ein gekonntes Spiel mit Wirklichkeit und Fremdheit, das neben dem titelgebenden Fallensteller in einer Erzählung noch mindestens einen weiteren in gleicher Mission enttarnt: den Autor selbst. Ein Zauberer bei seinem ersten Auftritt im Holz – und Hobelwerk Klingenreiter, der Mikrokosmos um eine Snookerpartie, eine syrische Surrealistin, christliche Menschenrechtsaktivisten, eine seufzende Fabrik auf der Romanija in Bosnien – Stanišićs Erzählungen sind gewandt und in vielen Tonlagen, an vielen verschiedenen Orten angesiedelt. Wie ein gekonnter Kostümwechsel geht das vonstatten, eben war man noch auf dem Rhein und vermisste den Häppchenkäse, jetzt ist man mit Georg Horvarth im falschen Taxi irgendwo in Rio und freut sich, dass man entführt wurde. Oder verwechselt. Oder beides, mit Zustimmung, “weil er als der, der er dann war, nicht mehr dorthin musste, wohin er als der, der er gewesen war, gemusst hätte.” Die kleinsten Abweichungen können die größten …

Hanns-Josef Ortheil – Der Stift und das Papier

Hanns-Josef Ortheil gehört zu den profiliertesten deutschen Schriftstellern. Das Schreiben praktiziert er nicht nur selbst erfolgreich, er gibt es auch an andere weiter. Seit 2003 lehrt er in Hildesheim “Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus”, 2008 wurde er Direktor des dort neu gegründeten “Institus für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft”. Was ihn selbst zum Schreiben gebracht hat, erzählt er in seinem neuesten Roman ,Der Stift und das Papier’, der nicht nur anregend offenherzige Lebens – und Kindheitsbeschreibung, sondern vor allem auch ansteckende Einladung zum Schreiben und Beobachten ist. Hanns-Josef Ortheil ist ein mutistisches Kind. Er lernt das Sprechen spät. Da seine Mutter im Krieg zwei Söhne verloren hat, verliert sie selbst für einige Zeit die Sprache und dieser Sprachlosigkeit passt sich Hanns-Josef an. Er wird in der Schule gehänselt, für dumm und zurückgeblieben gehalten und als “Schisser” beschimpft. Was das ist, weiß er nicht. In der rückblickenden Schilderung Ortheils, die jedoch von beeindruckender Unmittelbarkeit ist, wird schon deutlich, was für eine elementare Bedeutung die Sprache und das Schreiben in seinem Leben haben. Mittels Sprache erschließt sich die Welt, …

Kathrin Weßling im Interview!

© Yelda Yilmaz Gerade ist Kathrin Weßlings neuer Erzählband ,Morgen ist es vorbei‘ erschienen. Es geht um Liebe und was sie aus uns macht, wenn sie uns verlässt. Mit Kathrin habe ich über Liebeskummer gesprochen, über die Liebesfähigkeit unserer Generation und wer denn eigentlich so richtig fantastisch über Liebe schreiben kann. Kathrin, was tust Du denn gegen Liebeskummer? Das kommt wirklich sehr auf den Liebeskummer an. Manchmal fast gar nichts, weil es okay ist, wie und dass er da ist. Mit den Jahren habe ich jedoch herausgefunden, dass Sport und ein sehr regelmäßiger Lebensrhythmus sehr hilfreich sind. Aber seien wir mal ehrlich: Am Ende hilft doch gar nichts so richtig. Nur Zeit und Geduld mit sich. Was bedeutet Liebe für Dich? Oha. Ich glaube, das kann ich nicht so beantworten. Da bräuchte ich wohl eher 8163548 Seiten. Aber in erster Linie bedeutet sie (extrem kurz gefasst) für mich Freiheit. Wie schreibt man am besten über Liebe? Kann man überhaupt „gut“ darüber schreiben? Am Ende schreibt man ja doch immer nur über sich selber. Und über …

[5 lesen 20] Terézia Mora – Das Ungeheuer

Terézia Mora ist eine aus Ungarn stammende Autorin und Übersetzerin. Sie wuchs zweisprachig auf, ungarisch und deutsch und studierte Hungarologie und Theaterwissenschaften. An der Deutschen Film – und Fernsehakademie wurde sie außerdem zur Drehbuchautorin ausgebildet. Mora wurde für ihr Werk bereits mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis, dem Preis der LiteraTour Nord und dem Adalbert-von-Chamisso-Preis. 2009 erschien ihr Roman ,Der einzige Mann auf dem Kontinent‘, dessen Protagonist Darius Kopp wir nun in ‘Das Ungeheuer‘ wiedertreffen. Der Roman erschien im Luchterhand Verlag und steht neben neunzehn anderen auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2013. Ein Rundumschlag gegen das Leben .. Das Leben kann grausam sein. Unerbittlich in seiner Härte, ungerecht und gnadenlos. Niemand hat jemals versprochen, dass es gerecht ist. Es ist ein Vegetieren, ein Kämpfen um Verlorenes, um Idyll und Schönheit, die der näheren Betrachtung ja doch nicht standhalten kann. Es wäre besser, man begänne gar nicht erst damit, leben ist eine schlechte Angewohnheit. Zu solchen Schlüssen kann man nach beinahe 700 Seiten von Terézia Moras neuem Roman ohne größere Umwege gelangen. ‘Das Ungeheuer’ …

Franz Hohler – Gleis 4

Franz Hohler ist ein Schweizer Autor, Kabarettist und Liedermacher. Er studierte an der Universität Zürich Germanistik und Romanistik. Schon während des Studiums führte er sein erstes Soloprogramm pizzicato auf, das sich als so erfolgreich erwies, dass Hohler beschloss, das Studium abzubrechen und von seiner Kunst zu leben. Im März feierte Hohler seinen 70.Geburtstag, ihm zu Ehren veröffentlichte der Luchterhand Verlag bereits Anfang des Jahres den Erzählband “Der Geisterfahrer”. Stellen wir uns vor, wir befänden uns mit schwerem Gepäck auf einem gut besuchten Bahnhof. Vor uns eine unerhört steile Treppe, neben uns ein Koffer, den wir lieber durch die Luft dirigieren als diese steile Anhöhe hinaufschleppen wollen. Unversehens taucht neben uns ein älterer Herr auf und bietet an, den Koffer zu tragen. Ein Gentleman der alten Schule, denken wir und willigen nach einigen Sekunden Bedenkzeit erfreut ein. Es gibt sie noch, die guten Menschen, die Helfer ohne Hintergedanken, werden wir denken, während der Mann uns voraus nach oben schreitet. Scheinbar mühelos und guter Dinge. Der Mann rollte den Koffer zum Rand des Bahnsteigs, ließ ihn stehen …