Alle Artikel mit dem Schlagwort: hoffmann & campe

Zygmunt Bauman – Das Vertraute unvertraut machen

Im Januar dieses Jahres starb der Soziologe Zygmunt Bauman im Alter von 91 Jahren. Er hinterließ Konzepte wie das der “flüchtigen Moderne”, schrieb über Flüchtlinge und die Angst vor dem Fremden, von Konsum und dem “Ende der Eindeutigkeit”, wie er es nannte, dem viele mit einer besorgniserregenden und verklärenden Rückwärtsgewandtheit begegnen. Bei Hoffmann & Campe erscheinen seit 2014 Gespräche mit einflussreichen Denkern und Denkerinnen. Nach Susan Sontag und Georg Steiner ist nun Zygmunt Bauman an der Reihe. Bis zuletzt war Zygmunt Bauman jemand, der rege an den Diskussionen seiner Zeit teilnahm. In welchen Zeiten leben wir? Unter welchen Umständen? Welche Prämissen leiten uns und welchen Aufgaben sehen wir uns gegenüber? Das Nachdenken über diese grundsätzlichen Fragen hat Bauman nie in der Überzeugung aufgegeben, längst die richtigen Antworten zu haben. Er ist neugierig geblieben bis zum Schluss, offen, vielseitig. Wir verlernen, so Bauman gleich zu Beginn, die Fähigkeit, zu lieben. Man mag, selbst wenn man diese Aussage in ihrer Absolutheit für falsch hält, mindestens einige Minuten darüber nachdenken, was die Versachlichung unserer Beziehungen mit der steigenden …

Christopher Isherwood – Praterveilchen

Erstmalig 1945 erschienen, erzählt Christopher Isherwood in gewohnt scharfem Tonfall vom Dreh eines kitschigen Liebesfilms vor den Kulissen des Wiener Prater. Während die Nationalsozialisten ab 1933 immer stärker an Einfluss gewinnen und die kontinentale Ordnung Europas ins Schwanken gerät, wird Isherwood gebeten, an einem seichten Film mitzuwirken. An einem, der in keiner Faser seines Wesens die realen Gegebenheiten der Welt abbildet. “Praterveilchen” ist ein bösartiger Einblick in die Filmindustrie und ein Europa kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. Von Ende 1933 bis Anfang 1934 arbeitete Christopher Isherwood in London an einem Film. Gemeinsam mit Regisseur Berthold Viertel trug er maßgeblich zu “Little Friend” bei. Es ist ein Streifen, zu dessen Handlung sich heute nicht viel mehr finden lässt als die kurze Zusammenfassung: “A young girl (Pilbeam) slowly becomes aware that her parent’s marriage is disintegrating.” Auf den Erfahrungen während dieses Drehs basiert “Praterveilchen”; ein Roman, der sich folgerichtig auch weit mehr wie eine Reportage aus der unbarmherzig oberflächlichen Filmbranche liest. Isherwood ist Isherwood, er erfindet sich kein Alter Ego. Aus Berthold Viertel allerdings wird der exzentrische …

David Leavitt – Späte Einsichten

Lissabon 1940. Zwei Ehepaare treffen sich scheinbar zufällig in der portugiesischen Hauptstadt. Sie sind, wie viele andere in dieser Zeit, auf der Flucht vor den Nationalsozialisten und warten auf das Schiff, das sie nach Amerika bringt. So mancher kämpft noch um seine Papiere, andere wiederum kämpfen miteinander. Pete und Julia jedenfalls werden nach dem Zusammentreffen mit Edward und Iris nicht mehr dieselben sein. Für Julia und Pete ist es nicht einfach, in Portugal festzusitzen. Sie hatte sich geschworen, nie mehr in ihre ursprüngliche Heimat Amerika zurückzukehren und leidet unter dem Verlust ihrer Pariser Wohnung, er muss Tag um Tag mit ihrem Widerwillen und ihrer Antipathie umgehen. Durch einen Zufall lernen Pete und Julia das Ehepaar Edward und Iris Freleng mit ihrer Hündin Daisy kennen. Auch die beiden sind auf der Flucht, jedoch insgesamt deutlich kosmopolitischer als Julia und Pete. Die letzten Jahre haben sie als Autorenduo Xavier Legrand in Hotelzimmern verbracht und gutes Geld mit dem Schreiben von Kriminalromanen verdient. Die Ehepaare verabreden sich immer wieder in Straßencafés und durchstreifen die Lissaboner Straßen, von deren …

Jamil Ahmad – Der Weg des Falken

Jamil Ahmad ist ein pakistanischer Autor. Er war Staatsbeamter und vermittelte zwischen Regierungs – und Stammesinteressen. So ist vieles, was uns Ahmad in den hier zu besprechenden Erzählungen vorlegt, aus eigenen Erfahrungen gespeist, gespickt mit literarischer und prosaischer Finesse. 1979  ist er als Minister in der pakistanischen Botschaft in Kabul tätig. Erst dreißig Jahre nach seinem Entstehen wird Der Weg des Falken veröffentlicht. Es wurde für die Shortlist des Man Asian Literary Prize sowie des Commonwealth Prize nominiert. Aus dem Englischen übersetzt wurde er von Giovanni und Ditte Bandini. Dieses schmale Büchlein ist vermutlich einer dieser literarischen Glücksfälle, eine dieser Erfolgsgeschichten, die in ihrer Schicksalsfügung irgendwie rührend sind. Jamil Ahmad war selbst in seiner vermittelnden Tätigkeit mehrfach in den Grenzregionen zwischen Pakistan, dem Iran und Afghanistan stationiert. Er kennt die Einsamkeit, von der er berichtet, die verschiedenen Stämme und Rituale, das Archaische und Ursprüngliche der Landschaft. Und vermutlich könnten wir heute nichts von dem lesen, was Ahmad schon vor einigen Jahrzehnten niederschrieb, wäre er nicht überredet worden, seine Erzählungen bei einem Kurzgeschichtenwettbewerb einzureichen. Jamil Ahmad …