Graphic Novel
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10 Graphic Novel Tipps Part 2

2014 habe ich zum ersten Mal empfehlenswerte Graphic Novels in einem Beitrag gesammelt. Mit dabei waren Klassiker wie Marjane Satrapi, Will Eisner, Art Spiegelman und der leider kürzlich verstorbene Jiro Taniguchi. Es ist Zeit für einen zweiten Teil.

Paco Roca – Kopf in den Wolken

Mit Paco Roca kann man eigentlich nie viel falsch machen. Ob mit Der Winter des Zeichners, la casa oder Kopf in den Wolken; Roca beweist stets einen Blick für die Details und Widrigkeiten menschlichen Miteinanders. Kopf in den Wolken erzählt auf mitfühlende und humorvolle Art von Emilio, dessen beginnende Demenz ihm langsam, aber stetig alle Selbstverständlichkeiten seines Lebens nimmt. Was bedeutet es, alt zu werden? Was bleibt von uns, wenn wir unsere Erinnerungen verlieren?

Paco Roca: Kopf in den Wolken, aus dem Spanischen von André Höchemer, Reprodukt Verlag, 104 Seiten, 18 €

Richard McGuire – Hier

Dass die Vergangenheit immer auch in der Gegenwart präsent ist, zeigt Richard McGuires Meisterwerk Hier. Es kommt beinahe gänzlich ohne Text aus, von den Datumsangaben abgesehen und bildet ein Haus im Wandel der Zeit ab. Dabei geht McGuire nicht chronologisch vor, sondern überblendet immer wieder Gegenwart und Vergangenheit. Mitunter kombiniert er mehrere Zeitebenen in einem Bild, zwischen denen Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende liegen. Hier ist bebilderte Transformation.

Richard McGuire: Hier, aus dem Englischen von Stephan Kleiner, Dumont Buchverlag, 304 Seiten, 24,99 €

Liv Strömquist – Der Ursprung der Welt

In der schwedischen Comicszene ist Liv Strömquist bereits eine Hausnummer. Immer wieder mischt sie sich in Debatten zu Politik, Feminismus und Popkultur ein. Mit Der Ursprung der Welt hat sie nun einen Sachcomic gezeichnet, der sich mit der Kulturgeschichte des weiblichen Geschlechtsorgans auseinandersetzt. Die Vulva war vielfach in der Vergangenheit vor allem Verhandlungsgegenstand männlicher Akteure, deren Interpretationslust, Verurteilungswillen und Disziplinierungsgebaren sich als prägend für die Rezeption erwiesen haben. Mit Witz und Sachverstand ist dieser feministische Comic eine lohnenswerte Einführung in ein unterschätztes Thema.

Liv Strömquist: Der Ursprung der Welt, Aus dem Schwedischen von Katharina Erben, avant Verlag, 140 Seiten, 19,95 €.

David Mazzucchelli – Asterios Polyp

Mazzucchelli ist bekannt für seine Zusammenarbeit mit Frank Miller, er illustrierte Stories von Daredevil und Batman. Im Mittelpunkt von Asterios Polyp steht der gleichnamige Architekt, dessen Entwürfe es bis dato nie zur Verwirklichung gebracht haben. Dennoch ist er überzeugt von sich und seinem Können, ein Analytiker, ein kühler Denker, bis er eine Frau kennenlernt, die seinen Gegenentwurf darstellt. Mazzucchelli transportiert so eine Fülle von Botschaften allein über die Konzeption seiner monochrom gehaltenen Zeichnungen, dass diese Graphic Novel ein Erlebnis auf ganz verschiedenen Ebenen darstellt.

David Mazzucchelli: Asterios Polyp, aus dem Amerikanischen von Thomas Pletzinger, Eichborn Verlag, 344 Seiten, 29,95 €.

Prudhomme & Rabaté – Rein in die Fluten

Milieustudien am Strand, vorgenommen mit einem geschulten Blick für Details menschlichen Verhaltens und der Ästhetik des Alltäglichen. Ein einziger Tag am Meer wird hier in seine kleinen Geschichten zerlegt; es sind Familien, hochbetagte Ehepaare, Frischverliebte, die sich unter der heißen Sonne ganz zufällig an einem Ort versammeln. Zeichnerisch ist Rein in die Fluten immer wieder überraschend, weil von einem unkonventionellen und gewitzten Blick für Formen geprägt, die in verschiedenen Kontexten verschiedene Bedeutung annehmen.

David Prudhomme & Pascal Rabaté: Rein in die Fluten, Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock, Reprodukt Verlag. 120 Seiten, 24 €.

Riad Sattouf – Der Araber von morgen

Die Entwicklung Syriens ist ein hochaktuelles Thema, die gegenwärtige Lage nicht von der Vergangenheit des Landes separiert zu betrachten. Sattouf ist für seine autobiographische Reihe Der Araber von morgen bereits nicht unverdient mit Preisen bedacht worden. Aus kindlicher Perspektive erzählt er vom Leben in Libyen und Syrien und ermöglicht so einen unverstellten Blick auf die Menschen und ihre Lebenswirklichkeit zum damaligen Zeitpunkt. Der erste Band umfasst die Jahre 1978-1984, der zweite 1984-1985, der Anfang Mai erscheinende dritte 1985-1987.

Riad Sattouf: Der Araber von morgen 1 & 2, aus dem Französischen von Andreas Platthaus, Knaus Verlag, 160 Seiten, je 19,99 €

Guy Delisle – Geisel

1997 wird Christophe André, der zum ersten Mal für Ärzte ohne Grenzen in humanitärem Einsatz ist, im Kaukasus von tschetschenischen Separatisten entführt. Delisle, der sonst aus seiner eigenen Perspektive aus Jerusalem, Pjöngjang oder Birma berichtet hat, zeichnet dieses Mal aus der Sicht Andrés. Der ist mehrere Monate in Geiselhaft, überwiegend in einem leeren Raum an einen Heizkörper gekettet. Er weiß nicht, ob seine KollegInnen bereits in Verhandlung mit den Entführern stehen, warum er entführt wurde. Was folgt, sind lähmend gleichförmige Tage, endlose Stunden, in denen die Zeit stillzustehen scheint. Delisle fängt die Marter der Wiederholung und Ungewissheit, die Bemühungen um Struktur und Leben brillant in Bilder ein.

Guy Delisle: Geisel, aus dem Französischen von Heike Drescher, Reprodukt Verlag, 432 Seiten, 29 €

Zeina Abirached – Das Spiel der Schwalben

Beirut, 1984. Im Libanon tobt der Bürgerkrieg. Die Mieter eines Wohnhauses haben sich an die grausamen Bedingungen des Krieges gewöhnt und passen ihr Leben, soweit möglich, den herrschenden Umständen an, die kleineren Kinder kennen das Land nur im Kriegszustand. Auch Abirached erzählt vornehmlich aus der Perspektive der Kinder, die von den Eltern, Großeltern und Nachbarn vom Krieg ferngehalten werden. So spielt der Krieg denn in diesem Comic auch die Rolle des großen Unsichtbaren, der lenkt, ohne gesehen zu werden. Abiracheds ornamentaler, verspielter Stil und ihre Erzählperspektive machen diese Graphic Novel zu einer sehr lohnenswerten Lektüre.

Zeina Abirached: Das Spiel der Schwalben, aus dem Französischen von Paula Bulling und Tashy Endres, avant Verlag, 182 Seiten, 19,95 €

Lukas Jüliger -Vakuum

Es ist der erwartungsgeladene Sommer vor dem Schulabschluss, es ist heiß und irgendetwas Seltsames liegt in der Luft. Es geht um die erste Liebe, um Selbstzweifel, das Erwachsenwerden. Um die Endlichkeit und eine wohlige Form des Nichtseins – in Form eines wärmenden Vakuums. Was zunächst wie eine ganz gewöhnliche Geschichte beginnt, steigert sich zu einer märchenhaften Erzählung, die am Ende – da schließt sich der Kreis – wieder von profaner Realität in brutalster Form gebrochen wird.

Lukas Jüliger: Vakuum, Reprodukt Verlag, 128 Seiten, 20,00 €

Hamid Sulaiman – Freedom Hospital

Der syrische Bürgerkrieg tobt nunmehr seit 2011. Er hat bislang tausende Todesopfer gefordert und das Land in Schutt und Asche gelegt. Nicht alle können oder wollen Syrien verlassen, manche entscheiden sich auch, im Chaos Hilfe zu leisten. So entsteht das Freedom Hospital, eine improvisiertes Krankenhaus, in dem ganz unterschiedliche Akteure des Bürgerkriegs aufeinandertreffen. Es sind junge Studierte, die die Revolution befürworten, eine Journalistin, Assad-Anhänger, Christen, Rebellen, Agnostiker, Angehörige des Militärs; unmöglich, unter diesen Umständen eindeutige Aussagen über die Position jedes Einzelnen zu treffen. Die Lage ist unübersichtlich und doch müssen die Beteiligten einander vertrauen, um den Fortbestand des Krankenhauses zu sichern. Hamid Sulaiman floh selbst 2011 aus Syrien und erzählt mit dieser fiktiven (aus Teilen realer Erlebnisse montierten) Geschichte von den tiefen Gräben in der syrischen Gesellschaft. Freedom Hospital liefert einen Einblick in das, was tagtäglich dieses Land erschüttert und zeigt, dass es keine einfachen Antworten in einem Krieg gibt, der längst auch von Akteuren außerhalb der syrischen Grenzen ausgefochten wird.

Hamid Sulaiman: Freedom Hospital, aus dem Französischen von Kai Pfeiffer, Hanser Berlin, 288 Seiten, 24 €.

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