{"id":9738,"date":"2016-01-04T08:00:39","date_gmt":"2016-01-04T06:00:39","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=9738"},"modified":"2016-01-03T19:08:43","modified_gmt":"2016-01-03T17:08:43","slug":"hanns-josef-ortheil-der-stift-und-das-papier","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2016\/01\/hanns-josef-ortheil-der-stift-und-das-papier\/","title":{"rendered":"Hanns-Josef Ortheil – Der Stift und das Papier"},"content":{"rendered":"

Hanns-Josef Ortheil geh\u00f6rt zu den profiliertesten deutschen Schriftstellern. Das Schreiben praktiziert er nicht nur selbst erfolgreich, er gibt es auch an andere weiter. Seit 2003 lehrt er in Hildesheim “Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus”, 2008 wurde er Direktor des dort neu gegr\u00fcndeten “Institus f\u00fcr Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft”. Was ihn selbst zum Schreiben gebracht hat, erz\u00e4hlt er in seinem neuesten Roman ,Der Stift und das Papier’, der nicht nur anregend offenherzige Lebens – und Kindheitsbeschreibung, sondern vor allem auch ansteckende Einladung zum Schreiben und Beobachten ist.<\/strong><\/p>\n

Hanns-Josef Ortheil ist ein mutistisches Kind. Er lernt das Sprechen sp\u00e4t. Da seine Mutter im Krieg zwei S\u00f6hne verloren hat, verliert sie selbst f\u00fcr einige Zeit die Sprache und dieser Sprachlosigkeit passt sich Hanns-Josef an. Er wird in der Schule geh\u00e4nselt, f\u00fcr dumm und zur\u00fcckgeblieben gehalten und als “Schisser” beschimpft. Was das ist, wei\u00df er nicht. In der r\u00fcckblickenden Schilderung Ortheils, die jedoch von beeindruckender Unmittelbarkeit ist, wird schon deutlich, was f\u00fcr eine elementare Bedeutung die Sprache und das Schreiben in seinem Leben haben. Mittels Sprache erschlie\u00dft sich die Welt, er\u00f6ffnen sich M\u00f6glichkeiten, mit anderen in Kontakt zu treten. Wer nicht spricht, ist auf sich zur\u00fcckgeworfen, vereinzelt und immer dem Geschehen ein St\u00fcck zu weit entr\u00fcckt, um aktiv an ihm teilzunehmen. So jedenfalls ergeht es Hanns-Josef Ortheil, bis sein Vater beginnt, mit ihm Schreib\u00fcbungen zu machen. Es ist der Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte, die sich vor allem in der Erschlie\u00dfung der Welt ausdr\u00fcckt. Ortheil lernt rasend schnell und erstaunt damit nicht nur seinen Vater, sondern auch seine Lehrer.<\/p>\n

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In Knisterdialogen stehen sich zwei Menschen gegen\u00fcber, die einander herausfordern, sodass es zwischen ihnen zu knistern beginnt. Sie m\u00f6gen sich nicht, oder sie bekommen Streit, ein kleines Feuer entsteht und muss dann wieder gel\u00f6scht werden.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Gemeinsam mit seinem Vater lernt er neue Worte und deren Verwendung, verschiedene Arten des Schreibens, Erz\u00e4hlformen und Dialoge. Er beginnt mit sogenannten Chroniken, die seinen Alltag protokollieren und besondere Begegnungen festhalten und endet schlie\u00dflich mit Film – und Buchkritiken und Reiseberichten. Er h\u00e4lt Reflexionen zu bestimmten Themen fest und schreibt Miniaturen \u00fcber die klassischen Musikst\u00fccke, die er mit seiner Mutter auf dem Klavier \u00fcbt. Musik, lernt er, kann man nicht nur h\u00f6ren, sondern auch sehen. Ortheil ist zwar ein eher zur\u00fcckhaltender, aber grenzenlos neugieriger Charakter. Alles, was er nicht kennt, interessiert ihn. Er versenkt sich in ein Studium des Lebens in all seinen Erscheinungsformen. Dabei ist es ihm gleich, ob er ein Kochrezept in einen literarischeren Text umarbeitet oder in der Jagdh\u00fctte im Westerwald von Begegnungen mit Tieren schreibt. Es geht vorerst nicht um die Stilisierung, sondern um das Schreiben selbst, das ihn, so f\u00fchlt er, davor bewahrt, in seine stumme Zeit zur\u00fcckzufallen.<\/p>\n

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Das Leben fliegt nicht mehr an mir vorbei, sondern es wird festgehalten und gestaltet. Dieses Gestalten hinterl\u00e4sst eine fast unheimliche Energie. Mit all ihren kraftvollen Impulsen beherrscht sie mein ganzes Tun, ich empfinde keinen Widerwillen, keine Abwehr, keine Zur\u00fcckhaltung. Vielmehr will ich aus und von dieser Energie leben. So viel wie irgend m\u00f6glich.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Ortheils Schilderungen vieler kleiner schriftstellerischer Erweckungserlebnisse sind so einfach wie mitrei\u00dfend. Sie sind weitgehend frei von sprachlichem Schmuck und stilistischer Spielerei. Ihre N\u00fcchternheit ist eindringlich. Sein Erz\u00e4hlen ist pr\u00e4zise und klar, so, wie sein Vater es ihn lehrt. Die “Schreibschule” entwickelt sich zu einem parallelen Schulbetrieb, der dem jungen Ortheil im Gegensatz zur landl\u00e4ufigen Schulkarriere tiefempfunde Freude bereitet. Die t\u00e4glichen Chroniken schulen seine Beobachtungsgabe. Er ist in der Lage, kleine Details selbst in un\u00fcbersichtlichen Situationen wahrzunehmen, sich Dialoge zu merken. Selbst im Restaurant schreibt er beflissen, was es dort zu essen gibt und wor\u00fcber die Menschen sich unterhalten. Ihm ist kaum etwas zu bedeutungslos und er erlegt sich keine Limitierungen hinsichtlich seiner Themen auf. Wenn Ortheils Schreiberwachen vor allem eines ist, dann einladend. Man m\u00f6chte frei von Erwartungen und Zw\u00e4ngen beginnen, die Welt schreibend zu erkennen – oder wenigstens den Versuch zu unternehmen. “Der Stift und das Papier” ist empfehlenswert f\u00fcr Leser, die auch der Vorgang des Schreibens interessiert. Zwar steht vorn “Roman” drauf, es ist vor allem aber ein autobiographischer Bericht eines Schreibenden. Auf den Punkt, deutlich, ganz ohne \u00dcberfl\u00fcssiges. Die Lekt\u00fcre ist kein vordergr\u00fcndig spannendes, aber intensives Erlebnis, das einen gewissen Grad an Versenkung in Materie und Perspektive voraussetzt. Wenn das gelingt, lohnt sich das Lesen sehr!<\/p>\n

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Mich an das Schreiben heranzuf\u00fchren, mich mit ihm zu besch\u00e4ftigen – das war ein Versuch, mich vor m\u00f6glichen R\u00fcckf\u00e4llen in die Sprachlosigkeit zu bewahren. Ich sollte, wie es immer hie\u00df, f\u00fcr immer “normal” werden.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

\""buchhandel.de\/\"<\/a>Hanns-Josef Ortheil: Der Stift und das Papier<\/span><\/strong>
\n
Luchterhand Verlag<\/a>,
\n384 Seiten<\/span>
\n21,99 \u20ac<\/span><\/span><\/p>\n

Bestellen bei:<\/em>
\n
\"Buchhandel.de\"<\/a><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Hanns-Josef Ortheil geh\u00f6rt zu den profiliertesten deutschen Schriftstellern. Das Schreiben praktiziert er nicht nur selbst erfolgreich, er gibt es auch an andere weiter. Seit 2003 lehrt er in Hildesheim “Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus”, 2008 wurde er Direktor des dort neu gegr\u00fcndeten “Institus f\u00fcr Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft”. Was ihn selbst zum Schreiben gebracht hat, erz\u00e4hlt er in seinem neuesten Roman ,Der Stift und das Papier’, der nicht nur anregend offenherzige Lebens – und Kindheitsbeschreibung, sondern vor allem auch ansteckende Einladung zum Schreiben und Beobachten ist. Hanns-Josef Ortheil ist ein mutistisches Kind. Er lernt das Sprechen sp\u00e4t. Da seine Mutter im Krieg zwei S\u00f6hne verloren hat, verliert sie selbst f\u00fcr einige Zeit die Sprache und dieser Sprachlosigkeit passt sich Hanns-Josef an. Er wird in der Schule geh\u00e4nselt, f\u00fcr dumm und zur\u00fcckgeblieben gehalten und als “Schisser” beschimpft. Was das ist, wei\u00df er nicht. In der r\u00fcckblickenden Schilderung Ortheils, die jedoch von beeindruckender Unmittelbarkeit ist, wird schon deutlich, was f\u00fcr eine elementare Bedeutung die Sprache und das Schreiben in seinem Leben haben. Mittels Sprache erschlie\u00dft sich die Welt, …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":9745,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[16,839],"tags":[2152,2151,1308],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2016\/01\/DSCN8247.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/9738"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=9738"}],"version-history":[{"count":6,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/9738\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":9750,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/9738\/revisions\/9750"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/9745"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=9738"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=9738"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=9738"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}