{"id":9686,"date":"2015-12-15T18:39:16","date_gmt":"2015-12-15T16:39:16","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=9686"},"modified":"2016-09-06T11:21:20","modified_gmt":"2016-09-06T09:21:20","slug":"joachim-meyerhoff-ach-diese-luecke-diese-entsetzliche-luecke","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2015\/12\/joachim-meyerhoff-ach-diese-luecke-diese-entsetzliche-luecke\/","title":{"rendered":"Joachim Meyerhoff – Ach, diese L\u00fccke, diese entsetzliche L\u00fccke"},"content":{"rendered":"

2011 erschien “Alle Toten fliegen hoch – Amerika”, das vom Auslandsaufenthalt und den Teenagerjahren Meyerhoffs erz\u00e4hlte, 2013 folgte “Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war<\/a>“, mit dem er sogar \u00fcberrasched auf der Longlist des Deutschen Buchpreises landete – und in diesem Jahr nun “Ach, diese L\u00fccke, diese entsetzliche L\u00fccke”. Der dritte und letzte Teil von Meyerhoffs unwiderstehlich charmant geschriebenen Lebenserinnerungen f\u00fchrt in die Zeit seiner Schauspielausbildung in M\u00fcnchen.<\/strong><\/p>\n

W\u00e4hrend Karl Ove Knausgard, so sagt man, unbarmherzig erz\u00e4hlt und dabei weder sich noch andere schont, gelingt Joachim Meyerhoff in seinen Erinnerungen ein weit vers\u00f6hnlicherer Tonfall. Beschwingt und humorvoll berichtet er insbesondere im zuletzt erschienenen Roman von seinem Scheitern, seinem Nicht-Hineinpassen und seinen Zweifeln an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Dieses stetige Versagen an den eigenen Anspr\u00fcchen wie auch an denen anderer steht im Mittelpunkt des Erz\u00e4hlens. Joachim, der eigentlich vorhatte, seinen Zivildienst beim Rehasport in einem Schwimmbad abzuleisten, wird zu seinem Schrecken als Schauspielsch\u00fcler an der Otto-Falckenberg-Schule in M\u00fcnchen aufgenommen. Warum, das ist ihm selbst ein R\u00e4tsel. Er betrachtet sich selbst nicht als besonders talentiert und die R\u00fcckmeldungen, die er im Laufe seines Schauspielstudiums erh\u00e4lt, scheinen diese Einsch\u00e4tzung eher zu best\u00e4tigen als zu widerlegen. Er ist gro\u00df und ungelenk. Die Sprecherziehung absolviert er meistens atemlos, der Gesangsunterricht entlockt ihm allenfalls vereinzelt richtige T\u00f6ne, in der Gruppe entfaltet seine Stimme zerst\u00f6rerische Wirkung.<\/p>\n

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Je mehr ich mich verkleidete, je mehr ich mich unter Per\u00fccken und Brillen versteckte, desto weniger Angst hatte ich zu spielen. Nur wenn ich mich unkenntlich machte, mein Gesicht ausl\u00f6schte, mir irgendeinen schwachsinnigen Gang ausdachte, verlor ich meine Scheu. Aber sobald, und das war ja meistens der Fall, ich dazu aufgefordert wurde, “Ich” zu sein, mein Gesicht zu zeigen, bekam ich Panik und verzagte.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Neben dem Schauspielstudium, das Meyerhoff mit allerlei Kuriosit\u00e4ten schildert – so soll er einen Text aus “Effi Briest” als Nilpferd vortragen und mit den Brustwarzen l\u00e4cheln -, stehen seine Gro\u00dfeltern im Vordergrund. Bei ihnen wohnt er in den Jahren seiner Ausbildung nahe des Nymphenburger Schlosses, ihren Gewohnheiten passt er sich an, selbst wenn sie ihn bisweilen an die Grenzen seiner physischen Belastbarkeit treiben. Hermann<\/a> und Inge<\/a> haben trotz ihres fortgeschrittenen Alters noch immer einen straffen Tagesablauf, der vorallendingen von einem Gl\u00e4schen hier und dort ordnende Struktur erh\u00e4lt. Von Champagner \u00fcber Wein und Whisky bishin zu Cointreau trinken sich die Gro\u00dfeltern und fortan auch Joachim so gem\u00e4\u00dfigt wie routiniert zum Tagesende. Meyerhoffs Gro\u00dfmutter arbeitete selbst in j\u00fcngeren Jahren an der Otto-Falckenberg-Schule als Lehrerin, sein Gro\u00dfvater ist disziplinierter Philosoph. Joachim ist ihr “Lieberling” und das Nesth\u00e4kchen der Familie, der nach dem Unfalltod seines Bruders und der Trennung seiner Eltern nur zu gern dem heimischen Schleswig den R\u00fccken kehrt. Bei seinen Gro\u00dfeltern findet er Halt in unruhigen Zeiten.<\/p>\n

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Da sie beide – mal mehr, mal weniger – nur noch m\u00fchsam laufen konnten, hatten sie sich einen Treppenlift einbauen lassen. Jeden Abend wollten sie einander den Vortritt lassen. Hatten sie sich geeinigt, schwebten sie w\u00fcrdevoll winkend davon. In sanftem Schwung die lange Treppe hoch. Volltrunkene alte Engel.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Trotz aller Skurillit\u00e4ten des Alters zeichnet Joachim Meyerhoff ein liebensw\u00fcrdiges, ein von aufrichtigen Gef\u00fchlen geleitetes Bild seiner Gro\u00dfeltern. M\u00f6gen sie hier und dort zu Unterhaltungszwecken auch \u00fcberzeichnet worden sein, er verleiht ihnen Kontur und Charme. “Ach, diese L\u00fccke, diese entsetzliche L\u00fccke”, ein Werther-Zitat und eine pr\u00e4zise Zustandsbeschreibung einer jugendlichen Orientierungslosigkeit, ist stark um die Erfolglosigkeit Joachims herum konzipiert. Viel Komik entsteht gerade durch vergebliche Bem\u00fchungen, peinliche Momente und das Absurde mancher Aufgabe innerhalb des Schauspielstudiums. Man darf als Leser an der vermeintlich so offenkundigen Talentlosigkeit des Autors zweifeln, schlie\u00dflich arbeitet er noch immer erfolgreich als Schauspieler und wurde 2007 zum Schauspieler des Jahres gew\u00e4hlt. Nichtsdestotrotz nimmt diese Durststrecke eines jungen Lebens f\u00fcr den Erz\u00e4hler ein. Die Anekdotendichte ist hoch. Meyerhoff wei\u00df, wie er das Humoristische aus gew\u00f6hnlichen Begebenheiten kitzelt, das Tragikomische betont. Kurzum: er beherrscht das Witzigsein auf bravour\u00f6se Art, ohne dabei platt zu sein oder andere vorzuf\u00fchren. H\u00f6chstens gelegentlich sich selbst. Wenn er in einem schonungs – und kompromisslos ist, dann in der Selbstironie. Man l\u00e4sst sich unheimlich gern von ihm erz\u00e4hlen. Auch dieser dritte Teil ist wieder ausnehmend lesenswert geraten! Wer bei der Lekt\u00fcre nicht davor zur\u00fcckscheut, gelegentlich mal laut in den stillen Raum zu lachen, dem sei der Roman dringend empfohlen!<\/p>\n

\""buchhandel.de\/\"<\/a>Joachim Meyerhoff: Ach, diese L\u00fccke, diese entsetzliche L\u00fccke<\/span><\/strong>
\n
Kiepenheuer und Witsch<\/a>,
\n352 Seiten<\/span>
\n21,99 \u20ac<\/span><\/span><\/p>\n

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\"Buchhandel.de\"<\/a><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

2011 erschien “Alle Toten fliegen hoch – Amerika”, das vom Auslandsaufenthalt und den Teenagerjahren Meyerhoffs erz\u00e4hlte, 2013 folgte “Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“, mit dem er sogar \u00fcberrasched auf der Longlist des Deutschen Buchpreises landete – und in diesem Jahr nun “Ach, diese L\u00fccke, diese entsetzliche L\u00fccke”. Der dritte und letzte Teil von Meyerhoffs unwiderstehlich charmant geschriebenen Lebenserinnerungen f\u00fchrt in die Zeit seiner Schauspielausbildung in M\u00fcnchen. W\u00e4hrend Karl Ove Knausgard, so sagt man, unbarmherzig erz\u00e4hlt und dabei weder sich noch andere schont, gelingt Joachim Meyerhoff in seinen Erinnerungen ein weit vers\u00f6hnlicherer Tonfall. Beschwingt und humorvoll berichtet er insbesondere im zuletzt erschienenen Roman von seinem Scheitern, seinem Nicht-Hineinpassen und seinen Zweifeln an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Dieses stetige Versagen an den eigenen Anspr\u00fcchen wie auch an denen anderer steht im Mittelpunkt des Erz\u00e4hlens. Joachim, der eigentlich vorhatte, seinen Zivildienst beim Rehasport in einem Schwimmbad abzuleisten, wird zu seinem Schrecken als Schauspielsch\u00fcler an der Otto-Falckenberg-Schule in M\u00fcnchen aufgenommen. Warum, das ist ihm selbst ein R\u00e4tsel. Er betrachtet sich selbst nicht als besonders …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":9720,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[16,839],"tags":[869,2250,2145,1204,1238],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2015\/12\/DSCN8216.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/9686"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=9686"}],"version-history":[{"count":15,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/9686\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":9721,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/9686\/revisions\/9721"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/9720"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=9686"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=9686"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=9686"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}