{"id":9549,"date":"2015-11-17T08:00:45","date_gmt":"2015-11-17T06:00:45","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=9549"},"modified":"2015-11-12T15:54:53","modified_gmt":"2015-11-12T13:54:53","slug":"roger-clarke-naturgeschichte-der-gespenster","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2015\/11\/roger-clarke-naturgeschichte-der-gespenster\/","title":{"rendered":"Roger Clarke – Naturgeschichte der Gespenster"},"content":{"rendered":"

Wenn es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als wir gegenw\u00e4rtig nachzuweisen oder in Worte zu fassen in der Lage sind, liefert Roger Clarke uns umfassendes und gl\u00e4nzend recherchiertes Material, auf dessen Basis wir \u00dcberlegungen anstellen k\u00f6nnen. Quer durch die Jahrhunderte untersucht er Geistererscheinungen, Spukph\u00e4nomene und Legenden und setzt sie kenntnisreich in einen gr\u00f6\u00dferen historischen Kontext. Es ist im besten Sinne drin, was draufsteht: eine nahezu ersch\u00f6pfend genaue Beweisaufnahme des \u00dcbernat\u00fcrlichen.<\/strong><\/p>\n

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In diesem Buch geht es also nicht um die Frage, ob es Geister gibt oder nicht, sondern darum, was wir sehen, wenn wir einen Geist sehen, und um die Geschichte, die wir uns davon erz\u00e4hlen.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Mit diesen Worten schlie\u00dft Roger Clarke sein Vorwort, in dem er Rechenschaft \u00fcber sein pers\u00f6nliches Interesse am Geisterhaften ablegt. Von Kindesbeinen an wohnte er immer wieder in H\u00e4usern, denen \u00fcbernat\u00fcrliche Bewohner nachgesagt wurden. Er verschlang B\u00fccher \u00fcber die Geisterjagd und Geistererscheinungen, von denen es schon damals zahllose gab. Er nahm Kontakt zu Geisterj\u00e4gern auf und besichtigte viele einschl\u00e4gig bekannte Spukorte – so z.B. den Tower of London, Knighton Gorges auf der Isle of Wight, Sawston Hall in Cambridgeshire und Bettiscombe House in Dorset. Ihn interessierten, wie er im Laufe seiner Recherchen feststellt, die Menschen, die die Geister sahen, immer weit mehr als die Geister selbst, weshalb ihm niemals daran gelegen ist, irgendeine \u00dcberzeugungsarbeit in die eine oder andere Richtung zu leisten. In gr\u00f6\u00dftm\u00f6glicher Pr\u00e4zision tr\u00e4gt er zusammen, was es \u00fcber Geistererscheinungen zu wissen gibt. So erfahren wir\u00a0 von acht verschiedenen Geisterkategorien Peter Underwoods, zu denen u.a. sogenannte Elementargeister, Poltergeister oder unbelebte Spukobjekte geh\u00f6ren. Wir erlangen Kenntnis von den verschiedensten Geisterj\u00e4gern, insbesondere von Harry Price<\/a>, dem bekanntesten Geisterj\u00e4ger des 20. Jahrhunderts. Er gr\u00fcndete ein Institut zur Erforschung parapsychologischer Ph\u00e4nomene und forschte an den verschiedensten heimgesuchten Orten mit oftmals beeindruckend fortschrittlichem technischem Ger\u00e4t. (1932 reiste Price anl\u00e4sslich des 100. Todestages Goethes in den Harz, um dort ein schwarzmagisches Ritual durchzuf\u00fchren, in dessen Verlauf sich eine Ziege in einen jungen Mann verwandeln sollte) Price war nicht unumstritten, vorallendingen war er sich aber stets der Manipulierbarkeit parapsychologischer Untersuchungen bewusst: bisweilen manipulierte er gar ganz absichtsvoll selbst eine Untersuchung, indem er der \u00d6ffentlichkeit Informationen vorenthielt. So geschehen zum Beispiel bei seiner Forschung rundum die Borley Rectory<\/a> Ende der 30er-Jahre.<\/p>\n

\"DSCN8099\"<\/a><\/p>\n

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Der Geisterglaube war immer vulg\u00e4r – so vulg\u00e4r wie die Krankheit, der er oberfl\u00e4chlich \u00e4hnelt. Was man von Geistern denkt und wie man sie wahrnimmt – ja, wie man diese Wahrnehmung verarbeitet -, hing fr\u00fcher davon ab, woher man kam, welchen Beruf man aus\u00fcbte und welchen Beruf die Eltern hatten. In gewisser Hinsicht ist das noch heute so.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Roger Clarke begn\u00fcgt sich nicht mit blo\u00dfen Darstellungen des \u00dcbernat\u00fcrlichen – dem Trommler von Tedworth, die Fox-Schwestern oder dem Poltergeist<\/a> von Enfield -, er erg\u00e4nzt die jeweils unerh\u00f6rte Begebenheit um erhellende Milieustudien. Er zeichnet nach, unter welchen sozialen oder auch famili\u00e4ren Bedingungen die Geistererscheinungen auftraten, wie sie sich im Einzelnen \u00e4u\u00dferten, welche Folgen sie hatten, in welchem Spannungsverh\u00e4ltnis sie zu herrschenden religi\u00f6sen \u00dcberzeugungen standen und ob sie nach heutigem Kenntnisstand als gekl\u00e4rt gelten k\u00f6nnen. Das l\u00f6st die Geschichten aus ihrer teils folkloristischen Verankerung und setzt sie in ein gr\u00f6\u00dferes Bild, das die Gesellschaft als Ganzes ebenso einbezieht wie individuelle Motivationen. Nicht selten stellte sich so ein Poltergeist im Nachhinein als Dienstbotenstreich heraus, als ganz menschliche Inszenierung, die aus pers\u00f6nlichen oder gar finanziellen Motiven zur Darstellung kam. Gestern wie heute hat sich Spuk stets als massenwirksam und auch monet\u00e4r rentabel erwiesen. Sei es nun in Gestalt \u00f6ffentlich abgehaltener S\u00e9ancen, Geisterjagden oder journalistischer Hintergrundberichte: das Unerkl\u00e4rliche und Jenseitige gilt seit jeher als anziehend und absto\u00dfend gleicherma\u00dfen. Zwischen diesen Polen kommt jene Spannung zustande, die das Interesse an Parapsychologie und Spiritismus stets lebendig gehalten hat. Das im \u00dcbrigen nicht nur in der einfachen Bev\u00f6lkerung, sondern auch in gelehrteren Kreisen, wie z.B. Arthur Conan Doyles gro\u00dfes Interesse am \u00dcbernat\u00fcrlichen<\/a> belegt.<\/p>\n

\"DSCN8097\"<\/a><\/p>\n

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Das vielleicht wichtigste Verm\u00e4chtnis des medizinischen Interesses an paranormalen Ph\u00e4nomenen ist ein Ger\u00e4t, das heute noch verwendet wird. Der Elektroenzephalograf (EEG-Ger\u00e4t) wurde urspr\u00fcnglich f\u00fcr die Entdeckung von telepathischen Ereignissen entwickelt.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Wohl kaum einen Aspekt des Geisterhaften l\u00e4sst Clarke unber\u00fccksichtigt. Medizinische, psychologische, religi\u00f6se und technische Entwicklungen haben den Geisterglauben immer beeinflusst, ihn aufbl\u00fchen oder in den Hintergrund treten lassen. Auch die Art der Geistererscheinungen selbst waren st\u00e4ndigem Wandel unterworfen; von Bekannten und verstorbenen Verwandten hin zu v\u00f6llig Fremden oder g\u00e4nzlich K\u00f6rperlosen, die allenfalls als flirrende Lichterscheinungen oder fliegendes Geschirr auf sich aufmerksam machten. So wie die Ph\u00e4notypen des Spuks variierten auch die Erkl\u00e4rungsversuche: von reuigen S\u00fcndern, die, erschrocken angesichts des H\u00f6llenfeuers auf die Erde zur\u00fcckkehrten hin zu Ektoplasma und Elektrizit\u00e4t, von elektromagnetischen Feldern bis zu Radio – und Mikrowellen – vermeintliche Ursachen des unerkl\u00e4rlichen Spuks gab es viele. Man muss kein langj\u00e4hriges oder leidenschaftliches Interesse am Spuk mitbringen, um dieses Grundlagenwerk des Gespenstischen auf \u00fcberaus vielen Ebenen zugleich als aufschlussreich und im besten Sinne erhellend zu empfinden. \u00dcber den Haupttext hinaus bietet Clarke unz\u00e4hlige Querverweise und Hintergrundinformationen, mit deren Hilfe man sich weiter vertiefen kann; obwohl das angesichts des ohnehin schon gro\u00dfen Umfangs von Clarkes Recherchen kaum notwendig erscheinen will. Roger Clarke schreibt kenntnisreich, pointiert, mitrei\u00dfend und meisterhaft, bisweilen fast zu detailversessen, was fraglos der tiefen Leidenschaft f\u00fcr den Gegenstand seiner Untersuchungen geschuldet ist. Kulturwissenschaftlich und geschichtlich gesehen ist es, summa summarum, ein ganz wundervolles Werk \u00fcber einen Glauben, der auch von der pr\u00e4zisesten Wissenschaft nicht auszurotten ist. Zuletzt sei noch ein kurzes Wort \u00fcber die Gestaltung verloren, \u00fcber das g\u00e4nzlich in Leinen gebundene Kunstwerk mit gepr\u00e4gtem Titel und schwarzem Buchschnitt. Fast daf\u00fcr allein lohnt es sich!<\/p>\n

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Eine vollst\u00e4ndige Geisterjagd-Ausr\u00fcstung kostet 109 Dollar (…)<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

\""buchhandel.de\/\"<\/a>Roger Clarke: Naturgeschichte der Gespenster<\/span><\/strong>
\n Aus dem Englischen von Hainer Kober<\/span>
\n
Matthes & Seitz<\/a>,
\n333 Seiten<\/span>
\n38,00 \u20ac<\/span><\/span><\/p>\n

Bestellen bei:<\/em>
\n
\"Buchhandel.de\"<\/a><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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