{"id":9434,"date":"2015-11-03T08:00:13","date_gmt":"2015-11-03T06:00:13","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=9434"},"modified":"2015-10-30T21:01:52","modified_gmt":"2015-10-30T19:01:52","slug":"juri-sternburg-das-nirvana-baby","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2015\/11\/juri-sternburg-das-nirvana-baby\/","title":{"rendered":"Juri Sternburg – Das Nirvana-Baby"},"content":{"rendered":"

Was ist Widerstand in einer Zeit, in der selbst konsum – und gesellschaftskritische Statements als Sticker bei Nanu-Nana verkauft werden? Es ist vergleichsweise gleichg\u00fcltig, gegen was man zu protestieren gewillt ist, der Protest geh\u00f6rt zum System und kann ihm kaum ernsthaft gef\u00e4hrlich werden. Engagement ersch\u00f6pft sich nicht selten in energischen Klicks auf Facebook, dem Unterzeichnen von Online-Petitionen oder einem modifizierten Benutzerbild. Der Protagonist in “Das Nirvana-Baby” hingegen plant etwas Gr\u00f6\u00dferes, – einen Anschlag, nackte Gewalt, Sinnlosigkeit. Wenn er nur erstmal das Bekennerschreiben formulieren k\u00f6nnte.<\/strong><\/p>\n

Der k\u00fcrzlich neu gegr\u00fcndete Korbinian Verlag<\/a> will mit seinen literarischen Sch\u00fctzlingen anecken, wie er auf seiner Homepage zu Protokoll gibt. Katharina Holzmann, Sascha Ehlert und David Rabolt haben den Verlag gegr\u00fcndet, den sie sich selbst w\u00fcnschen. Frei nach dem Motto: Wenn noch nicht existiert, was du dir vorstellst, mach es selbst. Sie sind sich bewusst, dass eine Verlagsneugr\u00fcndung im Jahr 2015 nicht unbelastet oder leichtf\u00fc\u00dfig geschieht, aber mit dieser speziellen Mischung aus Leidenschaft und Wahn haben sie dann doch vorerst die Zweifel unsch\u00e4dlich gemacht. Die erste Ver\u00f6ffentlichung, “Das Nirvana-Baby” von Juri Sternburg, ist ungehobelt, hoffnungslos und irgendwie hip (wie Berlin?). Sternburg ist in der Theaterszene Berlins sehr umtriebig, sein St\u00fcck “der penner ist jetzt schon wieder woanders<\/a>” feierte 2012 am Berliner Maxim Gorki Theater Premiere. Er schrieb und schreibt Artikel und Kolumnen f\u00fcr zahlreiche Magazine, darunter taz, HATE, Juice und VICE. Und nun diese Novelle von scheiterndem Widerstand, der sich im Falle Pauls bereits darin ersch\u00f6pft, sich der Polizei gegen\u00fcber des Namen des russischen Anarchisten Bakunin zu geben.<\/p>\n

\n

Manchmal versuchte er tiefgr\u00fcndige Gedanken zu formulieren, aber seine einzige Erkenntnis blieb, dass er seine neuen AirMax-Sneakers sch\u00f6n fand. Er liebte sie sogar. Vielleicht sogar mehr als Dylan. Und obwohl er wusste, wie falsch, wie oberfl\u00e4chlich und egoistisch das war, wollte er dennoch nichts daran \u00e4ndern.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Unter der Generation X verstand man zu Zeiten Nirvanas Anfang der 90er vor allem eine antimaterialistische und ziellose Jugend, die gepr\u00e4gt war von schlecht bezahlten Jobs und kaputten Elternh\u00e4usern. Der Grunge verlieh diesem Gef\u00fchl der Hoffnungslosigkeit musikalischen Ausdruck, in Gestalt von Bands wie Nirvana, Pearl Jam oder Alice in Chains. Das Nirvana-Baby (Spencer Elden, das tats\u00e4chliche Baby auf dem Cover von Nevermind<\/a>, wurde im letzten Jahr 20 Jahre alt) bezieht sich hier und dort auf eben diese Generation. Einerseits, indem Paul vor seinem Freund damit prahlt, eben jenes Baby auf dem Cover zu sein. Andererseits, weil in Sternburgs Novelle die Generation ersch\u00f6pfend portr\u00e4tiert ist, die auf die Generation X folgte, ihr “Baby” gewisserma\u00dfen. Eine Generation, die vor allem hedonistisch, unpolitisch und \u00fcberall ironisch ist. Das Aufbegehren ersch\u00f6pft sich \u00fcberall in leeren Gesten, – auf Theaterb\u00fchnen in Massen von Kunstblut und sich selbst gen\u00fcgender Provokation, im Privatleben in ausschweifenden Partys und Konsum. Von Dingen und von Drogen. Es ist eine Generation, die Vorbilder sucht und sich mit einem Che Guevara T-Shirt zufriedengibt. Die rebellieren will und bemerkt, dass jede Rebellion gesellschaftlich einkalkuliert ist. Oder die Gegner zu schwammig, zu diffus, verborgen hinter Gro\u00dfkonzernen und undurchsichtigen Gremien? Alles nicht so schlimm? Wie und gegen wen rebellieren, wenn alles schon da war? Wenn es mehr um den Gestus geht, nicht um \u00dcberzeugung? Wenn \u00dcberzeugung zu oft in Dogmatismus abdriftet?<\/p>\n

\n

Sie riefen in die Nacht hinein, die \u00fcblichen Parolen von Widerstand und Aufruhr, nichts, was man nicht auch von einem Obdachlosen geboten bek\u00e4me, der einen schlechten Tag erwischt oder dem man seinen Geldbecher umgetreten hatte. (…)<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Juri Sternburg f\u00e4ngt in seiner Novelle die L\u00e4hmung ein, die ersterbende Regung zum Protest, die in Pauls Fall bereits durch seine Unf\u00e4higkeit erlahmt, seinen Widerstand in Worte zu fassen. Einerseits, weil er vermeintlich immer wieder durch das Leben von Wichtigerem abgelenkt wird, andererseits aber auch, weil er sein Unbehagen nicht zu formulieren versteht. Der Text ist fl\u00fcssig, gewitzt und originell – wenn er auch bisweilen etwas kalauerhaft anmutet. Sp\u00e4testens bei Worten wie “Sauercrowd<\/em>” oder S\u00e4tzen wie “Isolde h\u00f6rte sich trist an<\/em>” ger\u00e4t man in inneren Streit dar\u00fcber, wie innovativ oder abgegriffen diese Wortspiele wohl sind. Man bemerkt, dass Teile des Textes auch b\u00fchnenwirksam vorgetragen werden k\u00f6nnten, sie sind auf kurze Knalleffekte hin konzipiert. Hin und wieder kommuniziert Paul auch mit seinem Freund “Jimmy”, den er in Ermangelung eines richtigen Namens eben einfach so nennt. “Das Nirvana-Baby” ist eine unbequeme Novelle, die sich allerdings gro\u00dfteils auf die Abbildung der Mutlosigkeit beschr\u00e4nkt und dabei manchmal larmoyant ist. Sie spiegelt genau die Leere, Verzweiflung und Dumpfheit, von der sie erz\u00e4hlt, reicht wenig dar\u00fcber hinaus. Immer wieder stellt der Text Behauptungen auf, um sie dann kurz danach wieder zu revidieren. Generation Flexibel und Belastbar. M\u00f6glicherweise funktioniert “Das Nirvana-Baby” auf der B\u00fchne deutlich besser – nichtsdestotrotz lohnt die Lekt\u00fcre dieser scharfz\u00fcngigen Beobachtungen. Man darf blo\u00df nicht den Fehler machen sie zur Wohlf\u00fchlprosa f\u00fcr vermeintlich Andersdenkende und -handelnde zu machen. Die dann gern denken: “Ja, so ist unsere Generation, traurig. Nur ich bin ganz anders.”<\/p>\n

\n

Bei meinem letzten Vorstellungsgespr\u00e4ch wurde ich gefragt, wo ich mich in f\u00fcnf Jahren sehe. Und mir fiel nicht mehr ein als: “Ist das ein Samstag?”<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Juri Sternburg: Das Nirvana-Baby, Korbinian Verlag<\/a>, 80 Seiten, 9783981758306, 10 \u20ac<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Was ist Widerstand in einer Zeit, in der selbst konsum – und gesellschaftskritische Statements als Sticker bei Nanu-Nana verkauft werden? Es ist vergleichsweise gleichg\u00fcltig, gegen was man zu protestieren gewillt ist, der Protest geh\u00f6rt zum System und kann ihm kaum ernsthaft gef\u00e4hrlich werden. Engagement ersch\u00f6pft sich nicht selten in energischen Klicks auf Facebook, dem Unterzeichnen von Online-Petitionen oder einem modifizierten Benutzerbild. Der Protagonist in “Das Nirvana-Baby” hingegen plant etwas Gr\u00f6\u00dferes, – einen Anschlag, nackte Gewalt, Sinnlosigkeit. Wenn er nur erstmal das Bekennerschreiben formulieren k\u00f6nnte. Der k\u00fcrzlich neu gegr\u00fcndete Korbinian Verlag will mit seinen literarischen Sch\u00fctzlingen anecken, wie er auf seiner Homepage zu Protokoll gibt. Katharina Holzmann, Sascha Ehlert und David Rabolt haben den Verlag gegr\u00fcndet, den sie sich selbst w\u00fcnschen. Frei nach dem Motto: Wenn noch nicht existiert, was du dir vorstellst, mach es selbst. Sie sind sich bewusst, dass eine Verlagsneugr\u00fcndung im Jahr 2015 nicht unbelastet oder leichtf\u00fc\u00dfig geschieht, aber mit dieser speziellen Mischung aus Leidenschaft und Wahn haben sie dann doch vorerst die Zweifel unsch\u00e4dlich gemacht. Die erste Ver\u00f6ffentlichung, “Das Nirvana-Baby” von Juri …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":9435,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[1911,16],"tags":[2112,2113,2111],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2015\/10\/korbinian.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/9434"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=9434"}],"version-history":[{"count":4,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/9434\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":9459,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/9434\/revisions\/9459"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/9435"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=9434"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=9434"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=9434"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}