{"id":8251,"date":"2015-04-14T21:33:01","date_gmt":"2015-04-14T19:33:01","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=8251"},"modified":"2015-04-14T21:33:01","modified_gmt":"2015-04-14T19:33:01","slug":"juergen-bauer-was-wir-fuerchten","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2015\/04\/juergen-bauer-was-wir-fuerchten\/","title":{"rendered":"J\u00fcrgen Bauer – Was wir f\u00fcrchten"},"content":{"rendered":"

In einer Familie aufzuwachsen, die vom Wahn und der Angst des Vaters gepr\u00e4gt sind, muss unweigerlich Spuren hinterlassen. Angst als Schutz ist \u00fcberlebenswichtig, Angst als Kontrollma\u00dfnahme ist zum Scheitern veurteilt. J\u00fcrgen Bauers Roman ist nicht nur ein galantes Verwirrspiel zwischen Wahn und Wirklichkeit, sondern der gelungene Beweis daf\u00fcr, dass nicht alles im Leben kontrollierbar ist.<\/strong><\/p>\n

Manchmal sind es nur Nuancen, die die krankhafte von der gesunden und durchaus erhaltenswerten Angst unterscheiden. Das Gef\u00fchl von Angst in all seinen Symptomen versetzt den K\u00f6rper in Alarmbereitschaft, um rasche Flucht aus einer Gefahrensituation zu gew\u00e4hrleisten. So weit, so n\u00fctzlich. Kippt die Angst aber ins Pathologische, kann sie einen Menschen im schlimmsten Fall nahezu lebensunf\u00e4hig machen. So wie Georgs Vater, dessen \u00c4ngste pranaoide Form angenommen haben. Regelm\u00e4\u00dfig verschwindet er f\u00fcr einige Zeit im Krankenhaus und wird mit speziellen Medikamenten wieder ruhiggestellt. Mit dieser Unberechenbarkeit, mit den Schlagworten seiner Eltern w\u00e4chst er auf: “Du bist paranoid, halt den Mund und sei still.” Georg lernt fr\u00fch, dass das Leben nicht stabil und gleichf\u00f6rmig verl\u00e4uft. Dass hinter jedem Menschen ein ganz anderer stecken kann, ganz gleich, wie gut man ihn zu kennen meint.<\/p>\n

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Unser Familienleben war immer bedroht, ich konnte keinen fr\u00f6hlichen Tag einfach nur genie\u00dfen, wie andere Kinder, weil ich immer wusste, dass unsere Harmonie bedroht war. Ich habe fr\u00fch jede Illusion dar\u00fcber verloren, was normal ist. Normalit\u00e4t muss erarbeitet und dann kontrolliert werden.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Auch er selbst entwickelt fr\u00fch \u00c4ngste vor allem, was sich seiner Kontrolle entziehen k\u00f6nnte. Vor anderen Menschen, vor Krankheiten, seinem K\u00f6rper, seinen Gef\u00fchlen. Auf die Spitze getrieben wird das zum ersten Mal, als die Mutter eines Freundes tot in einem Erdbeerfeld gefunden wird und Georg es als einziger f\u00fcr einen offensichtlichen Giftmord h\u00e4lt. Zum zweiten Mal viele Jahre sp\u00e4ter, als er, bereits verheiratet, am Wiener Naschmarkt in einen Unfall ger\u00e4t und seine Angst best\u00e4tigt sieht, verfolgt und beobachtet zu werden. Er bricht daraufhin alle Zelte ab und verschwindet aus seinem bisherigen Leben, um v\u00f6llig vereinsamt und eremitisch in einer Wohnung zu hausen, in der er die Fenster mit Alufolie abklebt und gegen sich selbst Schach spielt. Was f\u00fcr ihn nach einem kontrollierten Leben aussieht, wirkt nach au\u00dfen hin v\u00f6llig au\u00dfer Kontrolle.<\/p>\n

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Sehen Sie, und das ist der Unterschied zwischen uns beiden. Meine Angst braucht keinen Anlass, meine Angst ist wie Atmen, wie mein Herzschlag oder meine Verdauung. Meine Angst ist immer bei mir, selbst wenn sie mir nicht in jeder Sekunde bewusst ist. Sie hat ihren Sitz in mir und gibt es Rhythmus meines Lebens vor.<\/p>\n<\/blockquote>\n

J\u00fcrgen Bauer komponiert entlang zahlreicher Schl\u00fcsselsituationen einen authentischen und fesselnden Roman, der weit mehr ist als eine Schicksals – und Zustandsbeschreibung eines Kranken. Nicht nur f\u00fcr Georg flie\u00dfen seine Angstvorstellungen und die Realit\u00e4t ineinander, auch als Leser zweifelt man mit Fortschreiten der Handlung daran, wessen Schilderungen man trauen kann, wo die Wahrheit aufh\u00f6rt und die Fiktion eines \u00fcberreizten Geistes beginnt. Zwischen den rein erz\u00e4hlerischen Kapiteln bettet J\u00fcrgen Bauer immer wieder auch Fetzen eines Gespr\u00e4chs, das Georg offensichtlich nach all diesen Erlebnissen mit einer fremden Person f\u00fchrt. \u00dcber diesem Schlagaubtausch blitzt ab und an die Binsenweisheit auf: Just because you’re paranoid don’t mean they’re not after you.<\/em><\/p>\n

,Was wir f\u00fcrchten’ besticht bis zum Schluss durch eine klare und pointierte Sprache, die durch stetige Wiederholungen einiger Gedanken das Zirkul\u00e4re und Repetitive einer Angsterkrankung hervorragend spiegelt. Was, wenn doch? Was, wenn es doch anders wird, als es bisher immer war? Es liegt etwas Getriebenes darin, auf alles vorbereitet sein zu wollen. Und nat\u00fcrlich stellt sich f\u00fcr jeden die Frage: Wie viel kann und sollte ich in meinem Leben kontrollieren? Ein \u00dcberma\u00df an Kontrolle f\u00fchrt zu Gefangenschaft durch die eigenen Prinzipien und Riten. Wie auch ein \u00dcberma\u00df an Sicherheit zwangsl\u00e4ufig die Freiheit beschneiden muss. Ein intelligenter, ein vielschichtiger und tragischer Roman \u00fcber ein Aufwachsen im Ungewissen und das au\u00dfer Kontrolle geraten von Kontrolle. Sehr empfehlenswert!<\/p>\n

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Jede Hilfe ist Manipulation, ein Eingriff in mein Leben, den ich nicht dulden kann.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Hier<\/a> k\u00f6nnt ihr ein kurzes Interview mit und einen Textausschnitt von J\u00fcrgen Bauer h\u00f6ren.<\/p>\n

J\u00fcrgen Bauer: Was wir f\u00fcrchten, Septime Verlag<\/a>, 264 Seiten, 9783902711380<\/span>, 21,90 \u20ac<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

In einer Familie aufzuwachsen, die vom Wahn und der Angst des Vaters gepr\u00e4gt sind, muss unweigerlich Spuren hinterlassen. Angst als Schutz ist \u00fcberlebenswichtig, Angst als Kontrollma\u00dfnahme ist zum Scheitern veurteilt. J\u00fcrgen Bauers Roman ist nicht nur ein galantes Verwirrspiel zwischen Wahn und Wirklichkeit, sondern der gelungene Beweis daf\u00fcr, dass nicht alles im Leben kontrollierbar ist. Manchmal sind es nur Nuancen, die die krankhafte von der gesunden und durchaus erhaltenswerten Angst unterscheiden. Das Gef\u00fchl von Angst in all seinen Symptomen versetzt den K\u00f6rper in Alarmbereitschaft, um rasche Flucht aus einer Gefahrensituation zu gew\u00e4hrleisten. So weit, so n\u00fctzlich. Kippt die Angst aber ins Pathologische, kann sie einen Menschen im schlimmsten Fall nahezu lebensunf\u00e4hig machen. So wie Georgs Vater, dessen \u00c4ngste pranaoide Form angenommen haben. Regelm\u00e4\u00dfig verschwindet er f\u00fcr einige Zeit im Krankenhaus und wird mit speziellen Medikamenten wieder ruhiggestellt. Mit dieser Unberechenbarkeit, mit den Schlagworten seiner Eltern w\u00e4chst er auf: “Du bist paranoid, halt den Mund und sei still.” Georg lernt fr\u00fch, dass das Leben nicht stabil und gleichf\u00f6rmig verl\u00e4uft. Dass hinter jedem Menschen ein ganz anderer …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":8252,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[16,839],"tags":[1950,1952,1951],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2015\/04\/bauer.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/8251"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=8251"}],"version-history":[{"count":6,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/8251\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":8258,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/8251\/revisions\/8258"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/8252"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=8251"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=8251"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=8251"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}