{"id":7570,"date":"2015-02-18T08:00:51","date_gmt":"2015-02-18T06:00:51","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=7570"},"modified":"2015-02-26T21:10:09","modified_gmt":"2015-02-26T19:10:09","slug":"michael-frayn-streichholzschachteltheater","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2015\/02\/michael-frayn-streichholzschachteltheater\/","title":{"rendered":"Michael Frayn – Streichholzschachteltheater"},"content":{"rendered":"

Michael Frayn hat Humor. Das wei\u00df man sp\u00e4testens seit ,Willkommen auf Skios<\/a>‘. Er schreibt auch f\u00fcr die Theaterb\u00fchne, wurde 2004 sogar mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. F\u00fcr seine Aufarbeitung bedeutender Ereignisse deutscher Zeitgeschichte. Mit ,Streichholzschachteltheater’ pr\u00e4sentiert Michael Frayn nun drei\u00dfig ,z\u00fcndende’ Unterhaltungen, weniger f\u00fcr die B\u00fchne als f\u00fcr den Kopf, unheimlich komisch und hochintelligent!<\/strong><\/p>\n

Man stelle sich nur einmal vor, man s\u00e4\u00dfe im Nobelpreiskomitee in Stockholm und m\u00fcsse den jeweiligen Gewinnern auf ihrem Fachgebiet die freudige Nachricht \u00fcberbringen. Eigentlich nichts, was in unserer Vorstellung Komplikationen hervorriefe. N\u00e4hmen wir aber weiterhin an, jeder dieser zuk\u00fcnftigen Preistr\u00e4ger legte bereits nach den Worten ,Ich wollte Ihnen mitteilen, dass sie gewonnen haben ..<\/em>‘ pikiert auf, weil er den Anrufer mindestens f\u00fcr unseri\u00f6s h\u00e4lt. Eine solche Situation enth\u00e4lt \u00fcberraschend viel Komik, die Michael Frayn in einem seiner Dialoge brilliant herauszuarbeiten versteht. \u00dcberhaupt liebt Frayn das Absurde, das allt\u00e4glich Banale, das von Zeit zu Zeit an einen Loriot-Sketch erinnert. So werden wir als “Zuschauer” der z\u00fcndenden Dialoge Zeuge zweier Ehepaare in einem Caf\u00e9, von denen sich eines \u00fcber in der Vergangenheit besuchte Urlaubsorte austauscht. Da geht es nach Marrakasch, Haititi und Holonunu. Die Ehefrau am Nebentisch sieht sich gezwungen, diesen st\u00e4ndig verballhornten Regionen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, bis sie schlie\u00dflich wutschnaubend das Etablissement verl\u00e4sst.<\/p>\n

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Ich machte mir nur Sorgen f\u00fcr den Fall, dass ich mir Sorgen machen m\u00fcsste<\/em>. Dass ich zu Ihnen k\u00e4me und herausfinden w\u00fcrde, es best\u00fcnde kein<\/em> Grund zur Sorge – oder dass ich nicht k\u00e4me und dann herausfinden w\u00fcrde, es best\u00fcnde<\/em> Grund zur Sorge bei etwas, wegen dem ich gar nicht zu Ihnen kam, weil ich mir Sorgen machte, zu Ihnen zu kommen und dann herauszufinden, es sei etwas, wegen dem ich mir keine Sorgen machen muss<\/em>.<\/p>\n<\/blockquote>\n

So der hypochondrische Monolog eines Patienten. Es gibt Statuen in einer Krypta, die mit den Jahrhunderten ihr Zeitgef\u00fchl verlieren, Reporter, die mit aller Ernsthaftigkeit \u00fcber Hamlet berichten als handle es sich um ein politisch brisantes Ereignis und einen Wettbewerb, der j\u00e4hrlich den zum Sieger k\u00fcrt, der am erfolgreichsten er selbst war. Das an sich gibt schon ausreichend Anlass zum Schmunzeln, noch viel intelligenter und komischer nimmt sich hier aber Michael Frayns Aufl\u00f6sung dieses Ereignisses aus. Wird dort doch, aus Gr\u00fcnden der Innovation und Progressivit\u00e4t, jemand ganz anderer ausgezeichnet. Eine Frau statt eines Mannes, die sich wortreich f\u00fcr diese Ehrung bedankt.<\/p>\n

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Dass die Juroren den Gavin Outright-Preis an jemand anderen verliehen haben als an Gavon Outright selbst, ist ein toller Tribut an seine eigene komplette Bedeutungslosigkeit. Danke daf\u00fcr, Gavin, dass du dein wunderbares ausgelaugtes Selbst bist. Danke f\u00fcr deine konsequente Uneigentlichkeit, f\u00fcr dein unerm\u00fcdliches Bem\u00fchen um das Fehlen jedweder n\u00e4her bestimmbaren Pers\u00f6nlichkeit. Du hast den Begriff Selbstlosigkeit neu definiert.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Steckte nicht schon genug Skurillit\u00e4t in einer solchen Preisverleihung an sich, treibt Michael Frayn es auf die Spitze und brilliert auf ganzer Linie mit seinen pointiert formulierten Einf\u00e4llen. Selbst die Pause wird im Streichholzschachteltheater zu einem gro\u00dfen Moment der Selbstfindung und pers\u00f6nlichen Entfaltung. Geschickt spielt Michael Frayn mit Erz\u00e4hlebenen, spricht den Leser immer wieder au\u00dferhalb der Dialoge an und kreiert auf diese Weise das Gef\u00fchl, tats\u00e4chlich unmittelbar an einer Theaterauff\u00fchrung teilzunehmen. Einer jedoch, die das Ensemble selbst nicht f\u00fcr besonders gelungen h\u00e4lt, weshalb man am Ende gebeten wird: Warum kommen Sie nicht einfach letzten Mittwoch noch mal und lesen es dann? <\/em>Wer ein Freund ist des heiteren Gedankenspiels, des absurden Witzes oder der schn\u00f6den Komik des banalen Existierens, der wird mit den Dialogen und Monologen Michael Frayns seine helle Freude haben. Und obgleich sie nicht zur Auff\u00fchrung bestimmt sind, w\u00fcrden sie sich fraglos auf der einen oder anderen B\u00fchne hervorragend machen. Ganz sicher!<\/p>\n

Michael Frayn: Streichholzschachteltheater, aus dem Englischen von Michael Raab, D\u00f6rlemann Verlag<\/a>, 240 Seiten, 9783038200123<\/span>, 17,90 \u20ac<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Michael Frayn hat Humor. Das wei\u00df man sp\u00e4testens seit ,Willkommen auf Skios‘. Er schreibt auch f\u00fcr die Theaterb\u00fchne, wurde 2004 sogar mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. F\u00fcr seine Aufarbeitung bedeutender Ereignisse deutscher Zeitgeschichte. Mit ,Streichholzschachteltheater’ pr\u00e4sentiert Michael Frayn nun drei\u00dfig ,z\u00fcndende’ Unterhaltungen, weniger f\u00fcr die B\u00fchne als f\u00fcr den Kopf, unheimlich komisch und hochintelligent! Man stelle sich nur einmal vor, man s\u00e4\u00dfe im Nobelpreiskomitee in Stockholm und m\u00fcsse den jeweiligen Gewinnern auf ihrem Fachgebiet die freudige Nachricht \u00fcberbringen. Eigentlich nichts, was in unserer Vorstellung Komplikationen hervorriefe. N\u00e4hmen wir aber weiterhin an, jeder dieser zuk\u00fcnftigen Preistr\u00e4ger legte bereits nach den Worten ,Ich wollte Ihnen mitteilen, dass sie gewonnen haben ..‘ pikiert auf, weil er den Anrufer mindestens f\u00fcr unseri\u00f6s h\u00e4lt. Eine solche Situation enth\u00e4lt \u00fcberraschend viel Komik, die Michael Frayn in einem seiner Dialoge brilliant herauszuarbeiten versteht. \u00dcberhaupt liebt Frayn das Absurde, das allt\u00e4glich Banale, das von Zeit zu Zeit an einen Loriot-Sketch erinnert. So werden wir als “Zuschauer” der z\u00fcndenden Dialoge Zeuge zweier Ehepaare in einem Caf\u00e9, von denen sich eines \u00fcber in der Vergangenheit besuchte …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":7571,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[1911,16],"tags":[1721,1837,1838],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2015\/02\/frayn2.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/7570"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=7570"}],"version-history":[{"count":10,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/7570\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":7644,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/7570\/revisions\/7644"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/7571"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=7570"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=7570"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=7570"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}