{"id":7468,"date":"2015-01-25T14:36:34","date_gmt":"2015-01-25T12:36:34","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=7468"},"modified":"2015-02-26T21:14:39","modified_gmt":"2015-02-26T19:14:39","slug":"joseph-roth-nacht-und-hoffnungslichter","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2015\/01\/joseph-roth-nacht-und-hoffnungslichter\/","title":{"rendered":"Joseph Roth – Nacht und Hoffnungslichter"},"content":{"rendered":"

Joseph Roth ist bekannt f\u00fcr Romane wie “Radetzkymarsch”, “Hiob” oder “Die Legende vom heiligen Trinker”. Seine redaktionelle und journalistische T\u00e4tigkeit allerdings wird h\u00e4ufig unterschlagen und zu wenig gew\u00fcrdigt. Das sollte sich \u00e4ndern, denn Joseph Roth ist ein brillianter Beobachter, der in seinen oft nur wenige Zeilen umfassenden Miniaturen das (Gro\u00dfstadt)Leben seiner Zeit umfassend abbildet.<\/strong><\/p>\n

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Er besa\u00df keine M\u00f6bel und keine Sachen. Sein altmodischer Lederkoffer war mit B\u00fcchern, Manuskripten und Messern vollgestopft. Die Messer dienten nicht dem Mord – er liebte einfach Messer.<\/p>\n<\/blockquote>\n

…schrieb Ilja Ehrenburg<\/a>, russischer Schriftsteller und Journalist, \u00fcber Joseph Roth. Sein sp\u00e4ter verkl\u00e4render Blick auf die Habsburger Monarchie, seine Alkoholabh\u00e4ngigkeit und chronischen finanziellen Sorgen sind weithin bekannt, weniger gel\u00e4ufig sind seine redaktionellen Arbeiten f\u00fcr Zeitungen wie ,Der Neue Tag’, das ,Prager Tageblatt’, die ,Freie Deutsche B\u00fchne’ oder die ,Neue Berliner Zeitung’. Roth pendelte von Gro\u00dfstadt zu Gro\u00dfstadt, von Wien nach Berlin und hinterlie\u00df dort in der journalistischen Landschaft unverkennbare Spuren. Diese Reportagen zu lesen, bedeutet nicht nur, sich Joseph Roth von einer stilistisch ganz anderen Seite zu n\u00e4hern – auch wenn es ihm gelingt, jede noch so kleine Beobachtung zu einem literarischen Text werden zu lassen. Es bedeutet auch, authentische Einblicke in die Zwanziger Jahre zu nehmen. Was bewegte die Menschen? Was war Tisch – und Stadtgespr\u00e4ch? Mit einer bewundernswerten Akribie, einem \u00e4u\u00dferst wachen Auge f\u00fcr alle Details streift Joseph Roth durch die Stra\u00dfen der Metropolen des 20.Jahrhunderts und entdeckt dabei nicht nur die gro\u00dfe Politik, sondern oft genug einfach das Leben der Menschen, den aufkommenden Fr\u00fchling, charmante Marotten und den Firlefanz einer Gesellschaft im Aufbruch.<\/p>\n

\"wien-1920-540x304\"<\/a>

Wien um 1920<\/p><\/div>\n

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Ohne die Uhr am Stephansplatz w\u00e4re ich kein Schriftsteller. Die Stephansturmuhr ist eines meiner unumg\u00e4nglich notwendigen Schriftstellerrequisiten. Wenn ich schon gar keinen Stoff habe, so gehe ich zu meiner Stephansturmuhr. Sie hat immer irgendeine Liebensw\u00fcrdigkeit f\u00fcr mich parat in ihrem Uhrgeh\u00e4use. Ich besuche sie regelm\u00e4\u00dfig, ungef\u00e4hr wie man eine alte Tante besucht, von der man wei\u00df, da\u00df es nicht ganz richtig mit ihr ist, da\u00df sie aber dennoch irgendwelche Leckerbissen im Schrankfach hat.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Auch in den Wiener Kaffeeh\u00e4usern ist Roth h\u00e4ufig Gast, immer aus dem Augenwinkel die Wiener Gem\u00fctlichkeit beobachtend, nimmt er sie auf dem Papier regelm\u00e4\u00dfig aufs Korn. Diese Wohlsituierten und Saturierten, vor ihnen Sachertorten und nach ihnen die Sintflut. Auch der sich langsam wandelnde Verkehr, die sp\u00fcrbare Modernisierung des Lebens h\u00e4lt h\u00e4ufig Einzug in seine Texte, sowohl zu Wiener als auch zu Berliner Zeiten. Da sind die Kriegsversehrten, die Heimgekehrten, die Waisen auf den Stra\u00dfen, das Kreischen der Stra\u00dfenbahnen, das Hupen der Automobile. Und in dieser enormen Dynamik der Zeit findet Joseph Roth trotz allem noch immer Platz f\u00fcr seinen subtilen, seinen feinsinnigen Humor:<\/p>\n

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Wie pr\u00e4chtig sich doch die deutsche Grammatik auf Wiener Verh\u00e4ltnisse anwenden l\u00e4\u00dft! Wo erscheint die leidende Form mehr angebracht als in der S\u00fcdbahnhalle? In Wien streikt man nicht, es wird gestreikt. In Wien verkehrt man nicht. Es wird verkehrt. In Wien f\u00e4hrt man nicht. Es wird gefahren. Hier steigt man nicht ein. Das ist eine physische Unm\u00f6glichkeit. Es wird in der Menge Tausender Passagiere eingekeilt, erstickt, erdr\u00fcckt, geohnmachtet, gewartet: schlie\u00dflich aufgemacht, geschoben, getragen, gehoben: und zum Schlu\u00df eingestiegen.<\/p>\n<\/blockquote>\n

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Berlin, Potsdamer Platz, um 1925 – ein Jahr zuvor wurde dort die erste Ampel aufgestellt<\/p><\/div>\n

Joseph Roths Texte sind stets von einer sprachlichen Feinheit, das sie zugleich als literarisch ausformulierte Miniaturen zu lesen sind. Mit einem ganz besonderen Gesp\u00fcr f\u00fcr Sprache und Stimmung wird selbst das Hinunterblicken aus einem Dachgeschoss oder das Besuchen einer hundertj\u00e4hrigen Dame sprach\u00e4sthetisch zu einem Genuss wie ihn heutige Reportagen selten bieten. Neben Roths eigenen Texten versammelt der Band ,Nacht und Hoffnungslichter<\/a>‘ auch Texte einiger seiner Wegbegleiter. So wettert Kurt Tucholsky (als Ignaz Wrobel) \u00fcber den Berliner Verkehr bzw. dessen aufgebl\u00e4hte Handhabung und entwirft (als Peter Panter) einen ganz wundervollen beruflichen Werdegang f\u00fcr die st\u00e4dtischen Laternenanz\u00fcnder. Carl von Ossietzky nimmt das Imperium ,Ullstein’ einmal n\u00e4her unter die Lupe, in Wien lobt Karl Kraus eine l\u00e4ngst vergessene Lebensweise. Aufstehen und leben, wenn die Dummheiten des Tages schon begangen worden sind. Au\u00dferdem enthalten ist Roths kurze Erz\u00e4hlung ,Der blinde Spiegel’, die sich allerdings innerhalb der journalistischen Texte nicht recht einf\u00fcgen will. Dennoch: Diese Sammlung ist f\u00fcr alle Leser Joseph Roths, f\u00fcr alle Freunde der literarischen Miniatur, f\u00fcr alle Geschichtsinteressierten eine Fundgrube, die zu entdecken einem Freude machen wird!<\/p>\n

Das war schon in der Monarchie ein Unterschied:
\nIm Dienst konnte man z.B. ein Auge zudr\u00fccken. Au\u00dfer Dienst durfte man sogar beide offenhalten.
\nIm Dienst sagte man: Sie und Schweinehund. Au\u00dfer Dienst war man selbst einer und per du.<\/p><\/blockquote>\n

Joseph Roth: Nacht und Hoffnungslichter, Hrsg. Alexander Kluy, Edition Atelier<\/a>, 256 Seiten, 9783902498984<\/span>, 21,95 \u20ac<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Joseph Roth ist bekannt f\u00fcr Romane wie “Radetzkymarsch”, “Hiob” oder “Die Legende vom heiligen Trinker”. Seine redaktionelle und journalistische T\u00e4tigkeit allerdings wird h\u00e4ufig unterschlagen und zu wenig gew\u00fcrdigt. Das sollte sich \u00e4ndern, denn Joseph Roth ist ein brillianter Beobachter, der in seinen oft nur wenige Zeilen umfassenden Miniaturen das (Gro\u00dfstadt)Leben seiner Zeit umfassend abbildet. Er besa\u00df keine M\u00f6bel und keine Sachen. Sein altmodischer Lederkoffer war mit B\u00fcchern, Manuskripten und Messern vollgestopft. Die Messer dienten nicht dem Mord – er liebte einfach Messer. …schrieb Ilja Ehrenburg, russischer Schriftsteller und Journalist, \u00fcber Joseph Roth. Sein sp\u00e4ter verkl\u00e4render Blick auf die Habsburger Monarchie, seine Alkoholabh\u00e4ngigkeit und chronischen finanziellen Sorgen sind weithin bekannt, weniger gel\u00e4ufig sind seine redaktionellen Arbeiten f\u00fcr Zeitungen wie ,Der Neue Tag’, das ,Prager Tageblatt’, die ,Freie Deutsche B\u00fchne’ oder die ,Neue Berliner Zeitung’. Roth pendelte von Gro\u00dfstadt zu Gro\u00dfstadt, von Wien nach Berlin und hinterlie\u00df dort in der journalistischen Landschaft unverkennbare Spuren. Diese Reportagen zu lesen, bedeutet nicht nur, sich Joseph Roth von einer stilistisch ganz anderen Seite zu n\u00e4hern – auch wenn es ihm …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":7469,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[16,840],"tags":[922,1794,1215,1622],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2015\/01\/roth.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/7468"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=7468"}],"version-history":[{"count":6,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/7468\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":7812,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/7468\/revisions\/7812"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/7469"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=7468"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=7468"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=7468"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}