{"id":740,"date":"2011-10-28T07:46:09","date_gmt":"2011-10-28T07:46:09","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=740"},"modified":"2014-09-23T20:15:07","modified_gmt":"2014-09-23T18:15:07","slug":"michel-onfray-maximilien-le-roy-nietzsche","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2011\/10\/michel-onfray-maximilien-le-roy-nietzsche\/","title":{"rendered":"Michel Onfray & Maximilien Le Roy – Nietzsche"},"content":{"rendered":"

Michel Onfray<\/a> ist ein franz\u00f6sischer Philosoph und Schriftsteller. Er begann seine publizistische T\u00e4tigkeit mit der Wiederentdeckung des vergessenen Philosophen George Palante. Onfray sah sich als Fortsetzer dessen Denkens und beabsichtigte, einen zeitgem\u00e4\u00dfen Linksnietzscheanismus zu begr\u00fcnden. Maximilien Le Roy<\/a> ist ein franz\u00f6sischer Zeichner.<\/p>\n

Bisher hatte ich mich, zugegebenerma\u00dfen, wenig mit Nietzsche und seiner pers\u00f6nlichen Biographie besch\u00e4ftigt. Er war mir als Philosoph gel\u00e4ufig, als jener, der mit Peitschen die Weiber besucht und den Tod Gottes verk\u00fcndet, aber mir fehlte stets der gro\u00dfe \u00dcberbau und das Verst\u00e4ndnis seiner geisteswissenschaftlichen Bedeutung. Nachdem ich mehrfach gelesen hatte, dass Onfray und Le Roy hier einen guten Einstieg in Nietzsches Leben und Denken geschaffen haben – grafisch ansprechend aufbereitet – wollte ich das auch \u00fcberpr\u00fcfen.<\/p>\n

Gleich zu Anfang wurde mir hier bewusst, wieviel Wert tats\u00e4chlich auf die Bilder und die damit erzeugte Stimmung gelegt wird. Sehr dialog – und textlastige Passagen wechseln sich mit blo\u00dfen Bildern ab, die man auf sich wirken lassen muss, um ihre Bedeutung zu verstehen. Es beginnt alles mit Nietzsches Geburt 1844 in R\u00f6cken, seiner Kindheit und deren pr\u00e4gendste Erlebnisse – der Tod des Vaters und Bruders. Friedrich soll die berufliche Laufbahn seines Vaters fortsetzen und Pastor werden, doch es zieht ihn mehr zur Musik. Er will Komponist werden, was seine Mutter als Broterwerb schlicht ablehnt.<\/p>\n

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Wir sehen Nietzsche h\u00e4ufig durch den Wald spazieren, allein nachdenken. Etwas scheint tief in ihm zu brodeln, vielleicht sind es auch bereits die Ankl\u00e4nge der furchtbaren Schmerzen und Kr\u00e4mpfe, die ihn in seinem sp\u00e4teren Leben immer wieder heimsuchen werden. 1864 begann Nietzsche in Bonn das Studium der klassischen Philologie und evangelischen Theologie, trat einer Burschenschaft bei und kurz danach auch wieder aus, weil ihm das Verbindungsleben widerstrebte. Er entdeckte Schopenhauer f\u00fcr sich und las begeistert Die Welt als Wille und Vorstellung<\/em>. In diesem Comic l\u00e4sst Onfray Nietzsche sagen: Das Wollen, der Wille, eine blinde Macht, die alles durchdringt…vom Blatt an diesem Baum \u00fcber dich und mich bis zu den Planeten im All…wir sind nicht mehr als diese blinde Kraft, der wir gehorchen. Keine Freiheit, keine Notwendigkeit! Kein freier Wille, nur Determinismus. Dieses Denken befreit uns von allem, was die christliche Moral uns seit \u00fcber tausend Jahren auferlegt!<\/em><\/p>\n

Bei seinen Kommilitonen findet Schopenhauers pessimistische und fatalistische Denkweise wenig Anklang, Nietzsche ver\u00e4ndert sie von grundauf. \u00a0Bereits 1868 hatte Nietzsche Richard Wagner und dessen Frau Cosima kennengelernt und verehrte sie zutiefst. H\u00e4ufig besuchte er sie in der Schweiz, so auch 1870, nachdem er eine Professur f\u00fcr Philologie an der Universit\u00e4t Basel bekommen hatte – mit vierundzwanzig Jahren. Doch Nietzsche hat wenig Erfolg und spricht meistens vor einer handvoll Studenten. 1872 hatte er Die Geburt der Trag\u00f6die<\/em>\u00a0ver\u00f6ffentlicht, das sich mit den Urspr\u00fcngen der Trag\u00f6die auf der Basis philosophischer Spekulationen auseinandersetzte. Sein Werk wurde alles andere als wohlwollend aufgenommen. Einer seiner Freunde sagt Nietzsche: Professoren m\u00f6gen das freie Denken nicht. Du benutzt die Philologie zu…sagen wir mal, zeitgen\u00f6ssischen Zwecken.<\/em> \u00a0Auf die Frage Nietzsches, wie er diese Entwicklung umkehren k\u00f6nne, bekommt er die n\u00fcchterne Antwort: Gar nicht, f\u00fcrchte ich. Man findet dich zu lyrisch und nicht wissenschaftlich genug. Es ist einfach zu gut geschrieben, zu leidenschaftlich, nicht d\u00fcster genug. Es ist universit\u00e4rer Selbstmord<\/em>.<\/p>\n

Nietzsche schwebte eine Art philosophische Gemeinschaft \u00e4hnlich den philosophischen Schulen des alten Griechenlands vor, die allerdings niemals verwirklicht wurde. 1879 muss er seine Lehrstelle niederlegen, da er immer h\u00e4ufiger von heftigen Migr\u00e4neanf\u00e4llen heimgesucht wird. Er beginnt zu reisen, nach Deutschland, in die Schweiz – sein ehemaliger Sch\u00fcler Peter Gast l\u00e4dt ihn nach Venedig ein. 1882 lernte er Lou von Salom\u00e9 kennen und verliebte sich in sie, als eine seiner begabtesten Sch\u00fclerinnen – doch sie lehnte ab, als er um ihre Hand anhielt. Durch Streit und Zerw\u00fcrfnisse mit seiner Schwester Elisabeth, die deutlich dem antisemitischen Gedankengut anhing und in Nietzsches Schriften \u00c4hnliches zu finden glaubte, wurde er auch immer mehr von seiner Familie separiert. Nietzsche begann mit der Arbeit an Also sprach Zarathustra<\/em>.<\/p>\n

Sein Verleger in Leipzig zeigt sich bek\u00fcmmert \u00fcber den Umstand, dass Nietzsches B\u00fccher einfach niemand lesen wolle. Er verkaufe sich einfach nicht, die Druckkosten k\u00f6nnten nicht gedeckt werden. Und so schickt sein Verleger ihn fort, woraufhin er den Zarathustra auf eigene Kosten herausgibt. In einem Brief schreibt er bei Onfray: Es kommt so selten noch eine freundschaftliche Stimme zu mir. Ich bin jetzt allein…absurd allein; und aus mir selber ist…etwas wie eine H\u00f6hle geworden – etwas Verborgenes, das man nicht mehr findet, selbst wenn man ausginge, es zu suchen<\/em>. \u00a0Langsam macht sich Nietzsches Umnachtung bemerkbar, die sicherlich noch von der Einsamkeit, in der er lebt und sich seinen Gedanken widmet, angesto\u00dfen wird.<\/p>\n

Im Januar 1889 erleidet er in Turin einen geistigen Zusammenbruch und f\u00e4llt in die Umnachtung und den Wahnsinn, den er nie mehr verlassen wird. Seine Mutter k\u00fcmmert sich um ihn und als diese stirbt, \u00fcbernimmt seine Schwester Elisabeth diese Rolle. Sie wird es auch sein, die Der Wille zur Macht herausgibt und Nietzsche damit entscheidend verf\u00e4lscht, um ihn der \u00a0antisemitischen Sache dienstbar zu machen. Mit 55 Jahren starb Nietzsche an den Folgen einer Lungenentz\u00fcndung und mehrerer Schlaganf\u00e4lle.<\/p>\n

Ich muss mich insofern der Behauptung anschlie\u00dfen, dass es sich hierbei um eine gute Einf\u00fchrung handelt als man den Menschen Friedrich Nietzsche in vielen Situationen und Stationen seines Lebens anders kennenlernen kann als man ihn bisher zu kennen glaubte. Man erblickt einen hadernden, durchaus emotionalen und auch liebebed\u00fcrftigen Menschen, der an sich und seiner Zeit scheitert, vielleicht auch zerbricht. Allerdings sei jedem ans Herz gelegt, sich vorher grundlegend \u00fcber biographische Eckdaten zu informieren, denn ein gewisses Grundwissen setzt auch dieses Comic unbedingt voraus. Auch ich musste danach – ebenso f\u00fcr diese Rezension – noch zus\u00e4tzlich recherchieren, viele Charaktere im Buch sind mir noch immer nicht namentlich gel\u00e4ufig, weil sie weder mit Namen angesprochen noch sonstwie vorgestellt werden. Aber als Einf\u00fchrung in Nietzsches Leben und Werk sei es jedem Interessierten, der auch noch Genuss an wunderbaren Illustrationen finden kann, w\u00e4rmstens empfohlen.<\/p>\n

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