{"id":7141,"date":"2014-12-01T18:39:29","date_gmt":"2014-12-01T16:39:29","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=7141"},"modified":"2015-02-26T21:56:40","modified_gmt":"2015-02-26T19:56:40","slug":"nur-ein-junge","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2014\/12\/nur-ein-junge\/","title":{"rendered":"James Hanley – Fearon"},"content":{"rendered":"

Das Leben in den Elendsvierteln, harte Arbeit in den Docks, auch f\u00fcr Kinder, die als zus\u00e4tzliche Ern\u00e4hrer statt in die Schule zu gehen, ihre Familie \u00fcber Wasser halten m\u00fcssen. Themen, die in James Hanleys 1931 erschienenen Roman ,Fearon’ (im Original “Boy”) intensiv beschrieben werden. Dreck, Armut und doch dieser Hauch Hoffnung, man k\u00f6nne es irgendwann zu etwas bringen sind Triebfedern einer verst\u00f6renden Geschichte ohne Happy End.<\/strong><\/p>\n

James Hanley hat selbst einiges dazu beigetragen, seine Spuren zu verwischen. Er ist ein Autor, \u00fcber den man damals wenig wusste, heute aber noch viel weniger. 1937 erschien seine Autobiographie namens ,Broken Water’, zu der man Hanley mehr \u00fcberreden musste als dass er freiwillig Auskunft \u00fcber sich gab. Sie ist gespickt mit allerlei Fehlinformationen \u00fcber Geburt und Herkunft. Begonnen damit, dass Hanley nicht 1901 in Dublin, sondern bereits 1897 in Liverpool geboren wurde. Diese Herkunft weist eine entscheidende Parallele zum Protag0nisten seines wohl seinerzeit bekanntesten und zu Unrecht skandalisierten Romans ,Boy’ auf. Auch Arthur Fearon w\u00e4chst in den Armenvierteln Liverpools auf. Kurz vor seinem dreizehnten Geburtstag entscheiden seine Eltern, dass er die Schule verlassen muss, um im Hafen zu arbeiten und Geld zu verdienen. Arthur Fearon ist keineswegs erleichtert dar\u00fcber, der Schulbank endlich den R\u00fccken kehren zu k\u00f6nnen, viel lieber w\u00fcrde er dort bleiben. Er will gern Drogist werden, sagt er. Von den Erwachsenen erntet er ein m\u00fcdes L\u00e4cheln, von seinem j\u00e4hzornigen Vater Schl\u00e4ge und Missachtung.<\/p>\n

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Die Jungen dachten an Fearon und seinen bevorstehenden Abgang. Wenn sie ihn ansahen, schienen ihre Augen zu sagen: ‘So so! Was f\u00fcr eine \u00dcberraschung. Gehst weg, ehe du vierzehn bist. Euch muss es ja wirklich schlimm gehen. Ist deine Mutter so arm, dass sie dich hier wegholen muss? Hm?’<\/p>\n<\/blockquote>\n

Es ist zu dieser Zeit keine Seltenheit, fr\u00fchzeitig die Schule zu verlassen zu m\u00fcssen, selbst die Lehrer finden sich mit diesem traurigen Umstand ab, den sie nicht beeinflussen k\u00f6nnen. Auch James Hanley selbst verlie\u00df mit dreizehn die Schule, ob freiwillig oder unfreiwillig, ist nicht genau \u00fcberliefert. Arthur Fearon jedenfalls, der im ganzen Roman kaum ein einziges Mal beim Vornamen genannt wird, beugt sich dem Willen seiner Eltern und arbeitet im Hafen. Er muss die Bilge von Booten lenzen – was bedeutet, abgestandenes und dreckiges Wasser aus dem tiefsten Teil der Boote zu sch\u00f6pfen -, Heizkessel von Verkrustungen befreien, Nieten anbringen. Harte Arbeit f\u00fcr einen gerade Dreizehnj\u00e4hrigen, der zus\u00e4tzlich die Schikanen seines Vaters und der anderen Jungen ertragen muss, die ihn als schlapp und m\u00e4dchenhaft verlachen. Arthur Fearon beschlie\u00dft, von zuhause wegzulaufen und als blinder Passagier auf einem Schiff anzuheuern. James Hanley wird 1915 Matrose der Handelsmarine.<\/p>\n

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Er musste sich vor den vielen Formen des Todes h\u00fcten, vor der Entdeckung – und damit lud er Hunger und Angst ein, st\u00e4ndige Dunkelheit und Entsetzen, seine Gef\u00e4hrten zu sein. Er wusste, wenn er entdeckt w\u00fcrde, w\u00fcrde man ihn verhaften und im ersten Hafen an Land setzen.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Auf See folgt eine uns\u00e4gliche Serie an Dem\u00fctigungen f\u00fcr den Jungen. Oft mit der fadenscheinigen Begr\u00fcndung, dass er “nur ein Junge” sei. Oder, dass “die Jungen” heutzutage eine Plage w\u00e4ren, undankbare und unbrauchbare Gesch\u00f6pfe. Vielfach w\u00fcnscht sich Arthur Fearon, er w\u00e4re bereits als Mann geboren worden und m\u00fcsste sich nicht in jenem omin\u00f6sen Zwischenstadium befinden, in dem er Spielball und willf\u00e4hriger Erf\u00fcllungsgehilfe anderer Leute Sehns\u00fcchte und Frustrationen ist.<\/p>\n

\"Logo<\/a>,Boy’ verursachte zur damaligen Zeit einen handfesten Skandal, viele Ausgaben wurden rigoros vernichtet, der vermeintlichen Obsz\u00f6nit\u00e4t wegen, die dieser Roman an seine Leser herantr\u00e4gt. Und ja, er enth\u00e4lt Sexszenen in einschl\u00e4gigen Etablissements im Hafen von Alexandria. Vielfach jedoch auch Szenen dessen, was wir heute als Kindesmissbrauch bezeichnen w\u00fcrden, dort aber schlicht “Bel\u00e4stigung” genannt wird. Ich habe selten einen Roman gelesen, der von Beginn bis Ende derart hoffnungslos ist (ohne das so negativ zu meinen wie es klingt). Seine Sprache ist spr\u00f6de, direkt und schn\u00f6rkellos. James Hanley schrieb ihn innerhalb von zehn Tagen. Jedes kurze Aufflackern von Hoffnung wird sofort im Keim erstickt, der Junge hat keine Chance, seinem Leben zu entkommen. Es gab Ger\u00fcchte, dass Hanley w\u00e4hrend seiner Zeit als Matrose auf einen Jungen getroffen sei, der der Figur des Arthur Fearon ziemlich genau entsprochen h\u00e4tte. Ob das stimmt oder nicht, kann heute niemand mehr mit Gewissheit sagen. Doch man darf wohl festhalten, dass Hanleys “Fearon” ein authentisches und ersch\u00fctterndes Bildnis dieser Zeit ist, das dank dem Arco Verlag auch heute wieder und erstmalig auf Deutsch gelesen werden kann. Es stand in diesem Jahr auf der HOTLIST, der Liste der besten B\u00fccher aus unabh\u00e4ngigen Verlagen.<\/p>\n

James Hanley: Fearon, aus dem Englischen von Joachim Kalka, Arco Verlag<\/a>, 268 Seiten, 9783938375600<\/span>, 24,00 \u20ac<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Das Leben in den Elendsvierteln, harte Arbeit in den Docks, auch f\u00fcr Kinder, die als zus\u00e4tzliche Ern\u00e4hrer statt in die Schule zu gehen, ihre Familie \u00fcber Wasser halten m\u00fcssen. Themen, die in James Hanleys 1931 erschienenen Roman ,Fearon’ (im Original “Boy”) intensiv beschrieben werden. Dreck, Armut und doch dieser Hauch Hoffnung, man k\u00f6nne es irgendwann zu etwas bringen sind Triebfedern einer verst\u00f6renden Geschichte ohne Happy End. James Hanley hat selbst einiges dazu beigetragen, seine Spuren zu verwischen. Er ist ein Autor, \u00fcber den man damals wenig wusste, heute aber noch viel weniger. 1937 erschien seine Autobiographie namens ,Broken Water’, zu der man Hanley mehr \u00fcberreden musste als dass er freiwillig Auskunft \u00fcber sich gab. Sie ist gespickt mit allerlei Fehlinformationen \u00fcber Geburt und Herkunft. Begonnen damit, dass Hanley nicht 1901 in Dublin, sondern bereits 1897 in Liverpool geboren wurde. Diese Herkunft weist eine entscheidende Parallele zum Protag0nisten seines wohl seinerzeit bekanntesten und zu Unrecht skandalisierten Romans ,Boy’ auf. Auch Arthur Fearon w\u00e4chst in den Armenvierteln Liverpools auf. Kurz vor seinem dreizehnten Geburtstag entscheiden seine Eltern, …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":7142,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[16,839],"tags":[1782,1780,1781,1779],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2014\/11\/fearon.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/7141"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=7141"}],"version-history":[{"count":13,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/7141\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":7847,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/7141\/revisions\/7847"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/7142"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=7141"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=7141"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=7141"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}