{"id":7109,"date":"2014-11-23T18:45:20","date_gmt":"2014-11-23T16:45:20","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=7109"},"modified":"2015-02-26T21:57:37","modified_gmt":"2015-02-26T19:57:37","slug":"einhorn-bart-und-wind-von-westen","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2014\/11\/einhorn-bart-und-wind-von-westen\/","title":{"rendered":"Haruki Murakami – Von M\u00e4nnern, die keine Frauen haben"},"content":{"rendered":"

Sie sind etwas spr\u00f6de Einzelk\u00e4mpfer, einsame Kosmopoliten, mal empfindsam und mal hart wie Stahl. Sie h\u00f6ren Jazz und hatten Frauen. Meistens solche mit einer mysteri\u00f6sen, leicht geheimnisumwehten Note. Die meisten Protagonisten in Haruki Murakamis Erz\u00e4hlungen \u00e4hneln sich stark. Eint\u00f6nig oder wohltuend sp\u00fcrbar aus einem Guss? Dar\u00fcber kann man geteilter Ansicht sein. Eines sind sie aber ganz sicher: Verdammt stimmungsvoll!<\/strong><\/p>\n

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Ich fragte mich, wie es wohl w\u00e4re, der einsamste Mensch auf der Welt zu sein. Wie es war, der zweiteinsamste zu sein, wusste ich ja bereits.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Nein, ich werde nichts sagen \u00fcber den Literaturnobelpreis, der jedes Jahr aufs Neue am Shootingstar der japanischen Literatur vor\u00fcberzieht. Eigentlich ist es, gemessen am derzeitigen Stand von Murakamis Ber\u00fchmtheit und Erfolg, auch gar nicht mehr so notwendig, mit diesem zus\u00e4tzlichen Ornat zu gl\u00e4nzen. So mancher bekam den Nobelpreis und lehnte ihn ab<\/a>, andere teilen das Schicksal<\/a> des immer wieder in seinem Umfeld Erw\u00e4hntwerdens, ohne, dass daraus jemals ein Gewinn (im Sinne von: Erhalt des Preises) folgte. Murakamis aktueller Erz\u00e4hlband setzt, nach seinem Roman ,Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki<\/a>‘, wieder auf die klassische Form der Erz\u00e4hlung und wie in vielen Geschichten Murakamis ist es weniger das Geschehen als die Stimmung, die sein Schreiben reizvoll macht. Eine leicht ins Surreale kippende, abgrundtiefe Stimmung der Einsamkeit, aber auch der Hingabe und Anziehung zeichnen die neuen wie alle Erz\u00e4hlungen aus und t\u00e4uschen sehr w\u00fcrdevoll \u00fcber ein eigentlich einfaches Murakami-Rezept hinweg. Einsame M\u00e4nner, mysteri\u00f6se Frauen, Sex und Musik.<\/p>\n

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An diesem Abend regnete es. Es war kein heftiger Schauer, sondern ein herbstlicher Dauerregen, der nie aufh\u00f6ren zu wollen schien. Er fiel gleichm\u00e4\u00dfig und unabl\u00e4ssig, wie ein monoton und endlos heruntergeleiertes Gest\u00e4ndnis.<\/p>\n<\/blockquote>\n

\u00a0Gest\u00e4ndnisse gibt es viele, von einem Schauspieler, der seit dem Tod seiner Frau allein lebt und sich nun eine etwas herbe junge Frau zur Chauffeurin nimmt. Von einer Frau, die als Jugendliche wiederholt und unbemerkt in die Wohnung ihres Klassenkameraden eindringt, um kleine Spuren in dessen Wohnung zu hinterlassen. Von einem Mann, der vor lauter Schmerz und Resignation nicht mehr isst. Von der Frau in Kinos schummriger Bar, auf deren K\u00f6rper sich zahlreiche Wunden ausgedr\u00fcckter Zigaretten finden. Jeder Charakter eine Insel und verschlossen in sich selbst, erlebt man als Leser einen kurzen Moment der \u00d6ffnung und Verbindung mit der Welt. Ganz anders und deshalb, f\u00fcr mich, die st\u00e4rkste Geschichte in diesem Erz\u00e4hlband: Samsa in Love<\/em>. Was klingt wie ein verst\u00f6rend zuckriger Popsong mit Bildungsb\u00fcrgerbeat ist eine Erz\u00e4hlung \u00fcber literarische Alternativen. Was w\u00e4re, wenn Gregor Samsa eines Morgens nicht als Ungeziefer erwachte, sondern als Mensch Gregor Samsa, der er vorher nicht gewesen ist? An das Menschsein muss man sich gew\u00f6hnen – und es zu verstehen, braucht ein Leben (lang).<\/p>\n

Murakami lebt, \u00e4hnlich wie auch sein Vorbild Kafka, weniger von dem, was passiert, sondern von dem, wie es passiert und beschrieben wird. Stets etwas neben der konventionellen Wirklichkeit und Wahrnehmung, entfaltet Murakami seine Schicksale. Zur\u00fcckhaltend, empathisch, manchmal fast ein wenig beil\u00e4ufig. Wer sich von dieser Stimmung gefangen nehmen l\u00e4sst, der wird auch im aktuellen Erz\u00e4hlband Murakamis auf seine Kosten kommen. Erst dieses Jahr gewann Murakami den WELT-Literaturpreis, Die Klappentexterin hat k\u00fcrzlich Clemens J. Setz, der die Laudatio hielt, einige Fragen<\/a> gestellt.<\/p>\n

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Vielleicht bleiben die Menschen bei Verstand, indem sie die kleinen Dinge unbeirrt und gewissenhaft erledigen, auch wenn die Welt in Tr\u00fcmmer f\u00e4llt.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Haruki Murakami: Von M\u00e4nnern, die keine Frauen haben, aus dem Japanischen von Ursula Gr\u00e4fe, Dumont Verlag<\/a>, 254 Seiten, 9783832197810<\/span>, 19,99 \u20ac<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Sie sind etwas spr\u00f6de Einzelk\u00e4mpfer, einsame Kosmopoliten, mal empfindsam und mal hart wie Stahl. Sie h\u00f6ren Jazz und hatten Frauen. Meistens solche mit einer mysteri\u00f6sen, leicht geheimnisumwehten Note. Die meisten Protagonisten in Haruki Murakamis Erz\u00e4hlungen \u00e4hneln sich stark. Eint\u00f6nig oder wohltuend sp\u00fcrbar aus einem Guss? Dar\u00fcber kann man geteilter Ansicht sein. Eines sind sie aber ganz sicher: Verdammt stimmungsvoll! Ich fragte mich, wie es wohl w\u00e4re, der einsamste Mensch auf der Welt zu sein. Wie es war, der zweiteinsamste zu sein, wusste ich ja bereits. Nein, ich werde nichts sagen \u00fcber den Literaturnobelpreis, der jedes Jahr aufs Neue am Shootingstar der japanischen Literatur vor\u00fcberzieht. Eigentlich ist es, gemessen am derzeitigen Stand von Murakamis Ber\u00fchmtheit und Erfolg, auch gar nicht mehr so notwendig, mit diesem zus\u00e4tzlichen Ornat zu gl\u00e4nzen. So mancher bekam den Nobelpreis und lehnte ihn ab, andere teilen das Schicksal des immer wieder in seinem Umfeld Erw\u00e4hntwerdens, ohne, dass daraus jemals ein Gewinn (im Sinne von: Erhalt des Preises) folgte. Murakamis aktueller Erz\u00e4hlband setzt, nach seinem Roman ,Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki‘, wieder …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":7110,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[1911,16],"tags":[1774,1046,1155,1773,1772],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2014\/11\/murakami.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/7109"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=7109"}],"version-history":[{"count":11,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/7109\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":7849,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/7109\/revisions\/7849"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/7110"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=7109"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=7109"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=7109"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}