{"id":6841,"date":"2014-10-12T10:38:58","date_gmt":"2014-10-12T08:38:58","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=6841"},"modified":"2015-02-26T22:01:29","modified_gmt":"2015-02-26T20:01:29","slug":"was-von-familie-uebrigblieb","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2014\/10\/was-von-familie-uebrigblieb\/","title":{"rendered":"Kerstin Preiwu\u00df – Restw\u00e4rme"},"content":{"rendered":"

Eine junge Frau k\u00e4mpft mit ihren eigenen und den D\u00e4monen ihrer Familie, deren Urspr\u00fcnge tief in deutscher Geschichte verwurzelt sind. Was in der Lesung von Kerstin Preiwu\u00df beim diesj\u00e4hrigen Ingeborg-Bachmann-Preis vielmehr wie eine Einf\u00fchrung in die Nerzzucht vor dem fast schmerzlich hervortretenden Hintergrund des Holocaust anmutete, pr\u00e4sentiert sich im Ganzen als eine Familiengeschichte wie es viele gibt. \u00dcberschattet von Erinnerungen, die selbst Jahrzehnte sp\u00e4ter das Handeln beeinflussen.<\/strong><\/p>\n

Wenn man \u00fcber den Titel ,Restw\u00e4rme’ nachdenkt, beschleicht einen das Gef\u00fchl, dass es nur ein kleiner Rest W\u00e4rme sein kann, der in dieser Familie zur\u00fcckgeblieben ist. Genug, um das Weiterleben zu erm\u00f6glichen, gerade so. Kein Qu\u00e4ntchen zuviel Herzlichkeit. Protagonistin Marianne f\u00e4hrt aus Berlin in die mecklenburgische Provinz, um ihre Familie zu besuchen. Anlass ist der Tod des Vaters, der die Familie \u00fcber Jahre hinweg mit seinem J\u00e4hzorn, seinem Alkoholkosum und seiner Eifersucht terrorisierte. Bei Nachbarn und Dorfbewohnern ein gesch\u00e4tzter und anerkannter Mann, f\u00fcr seine Angeh\u00f6rigen ein L\u00f6we, der in der H\u00f6hle nun endlich Luft zum Atmen l\u00e4sst. Im Wechsel zwischen R\u00fcckblenden und Gegenwart gew\u00e4hrt Kerstin Preiwu\u00df Einblick in diese Familie, die das Leben schon fr\u00fch hat hart und starr werden lassen.<\/p>\n

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Es war unversehens \u00fcber sie gekommen. Das Wort Zuhause hatte sich in ihr gebildet, ohne, dass sie sich dagegen wehren konnte. Es passte nicht mehr. Es passte immernoch. Es hing an ihr und lie\u00df nicht los. Eine Umklammerung, die nach au\u00dfen wie eine Umarmung wirkte, der man den W\u00fcrgegriff aber nur nicht gleich ansah.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Mariannes Gro\u00dfvater war bereits im Krieg verwundet worden und erblindete daraufhin. Von dieser pl\u00f6tzlichen Isolation zutiefst getroffen findet er zwar trotz aller Hoffnungslosigkeit eine Frau und zeugt sogar ein Kind, doch die Frau stirbt bei der Geburt. Der Sohn, Mariannes Vater, \u00fcberlebt, kennt aber bereits von kleinauf wenig Zuneigung. Von einer resoluten Frau aufgezogen, die von seinem Vater im Gegenzug Hilfe in ihrem Lebensmittelladen erwartet, lernt Mariannes Vater, dass H\u00e4rte und Unbeugsamkeit unsch\u00e4tzbare Qualit\u00e4ten sein k\u00f6nnen. Auch ihn ver\u00e4ndert schlie\u00dflich der Krieg. Seine Frau, Mariannes Mutter, lernt er auf einem abgelegenen Bauernhof kennen, er ist Soldat, Mariannes Mutter Fl\u00fcchtling.<\/p>\n

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Von Mutter ist nicht viel zu sehen, sie lebt in ihrer eigenen Welt. Vater bietet ihr keine gemeinsame an, tr\u00e4gt ihr nur seine auf.<\/p>\n<\/blockquote>\n

In pr\u00e4ziser, schmuckloser Sprache beschreibt Kerstin Preiwu\u00df Mariannes Kindheit, die von den Schl\u00e4gen des Vaters gepr\u00e4gt ist. Meistens ist es ihr Bruder Hans, der dem Vater ausgeliefert ist, schutzlos und hilflos, der in der Gegenwart kalt und allein noch immer gemeinsam mit seinen Eltern lebt. Die Mutter nimmt die Gewalt zur Kenntnis, aber verhindert sie nicht. Wenn er das Kind schon schlagen m\u00fcsse, dann doch dort, wo man es nicht auf den ersten Blick sehe. Auch gegen seine Frau ist der Tyrann erbarmungslos, unterstellt ihr laufend Aff\u00e4ren, nimmt sich im Ehebett, was er f\u00fcr notwendig h\u00e4lt. Er arbeitet sich St\u00fcck f\u00fcr St\u00fcck an seiner eigenen Lebensohnmacht ab, ohne gro\u00dfen Erfolg. Immer wieder begegnen einem in ,Restw\u00e4rme’ Bilder, die den Kampf illustrieren, immer wieder siegt der M\u00e4chtige \u00fcber den Schw\u00e4cheren. Sei es der Vater \u00fcber die Kinder, \u00fcber ein wehrloses Tier oder seien es die Erinnerungen \u00fcber den Vater, die Natur \u00fcber den Menschen. Der Kampf ist l\u00e4ngst nicht ausgefochten.<\/p>\n

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Mit dem Gr\u00f6\u00dferwerden bekommen die Ereignisse Schatten.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Zwar spielt sich Vieles in diesem famili\u00e4ren Drama vor dem Hintergrund traumatischer Kriegserfahrungen ab, erst durch diese Grauen wird die Deformation der Familie denkbar. Familien wie Mariannes aber gibt es viele. Menschen, deren Erinnerungen an zuhause sie nicht loslassen, deren Zuhause sie gleichzeitig verfluchen und auf gleichsam selbstzerst\u00f6rerische Art vermissen. Trotz ihrer schn\u00f6rkellosen Sprache gelingt Kerstin Preiwu\u00df eine bedr\u00fcckende, eine hoffnungslose Stimmung. Gelegentlich unterbrochen von Exkursen zu bestimmten Themen, die in ihrem Umfang und ihrer Genauigkeit zwar beeindruckend, f\u00fcr den Fluss der Geschichte aber eher st\u00f6rend sind. Dazu geh\u00f6rt bereits die beim Bachmannpreis pr\u00e4sentierte Nerzzucht, die unter ihrem symbolischen Gewicht beinahe zusammenbricht, sicherlich aber nicht repr\u00e4sentativ f\u00fcr dieses Buch ist! Hier wollte sie, scheint mir, zuviel. Nichtsdestotrotz gelingt Kerstin Preiwu\u00df, die zuvor zwei Gedichtb\u00e4nde ver\u00f6ffentlichte, ein stimmungsvoller Roman \u00fcber Erinnerung und Ohnmacht.<\/p>\n

Kerstin Preiwu\u00df – Restw\u00e4rme, Berlin Verlag<\/a>, 239 Seiten, 9783827012319<\/span>, 18,99 \u20ac<\/span><\/p>\n

Eine weitere Besprechung findet ihr im B\u00fccherwurmloch<\/a>.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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