{"id":6565,"date":"2014-09-09T08:00:09","date_gmt":"2014-09-09T06:00:09","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=6565"},"modified":"2015-02-26T22:12:43","modified_gmt":"2015-02-26T20:12:43","slug":"ron-segal-jeder-tag-wie-heute","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2014\/09\/ron-segal-jeder-tag-wie-heute\/","title":{"rendered":"Ron Segal – Jeder Tag wie heute"},"content":{"rendered":"

Adam Schumacher ist ein bekannter j\u00fcdischer Schriftsteller, der in die Jahre gekommen ist. Als knapp neunzigj\u00e4hriger Holocaust\u00fcberlebender kehrt er zum ersten Mal nach dem Tod seiner Frau nach Deutschland zur\u00fcck, um f\u00fcr ein Literaturmagazin sein Leben zu erz\u00e4hlen. Doch viel Zeit bleibt ihm nicht mehr, seine Erinnerungen werden br\u00fcchig und rei\u00dfen, Fakten und Fiktion flie\u00dfen ineinander.<\/strong><\/p>\n

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Wer je behauptet, unm\u00f6gliche Dinge k\u00f6nne man nicht glauben, tut das aus Mangel an Erfahrung. W\u00fcrde er nur t\u00e4glich eine halbe Stunde trainieren, k\u00f6nnte er bald noch vor dem Fr\u00fchst\u00fcck sogar sechs unm\u00f6gliche Dinge glauben.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Adam Schumacher hat in seinem Leben schon viele unm\u00f6gliche, ja, unglaubliche Dinge gesehen. Dinge, von denen einem der gesunde Menschenverstand ohne Umschweife sagen w\u00fcrde, sie existierten nur in seiner Fantasie. Adam ist ein angesehener j\u00fcdischer Schriftsteller, nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Frau Bella nach Israel ausgewandert und hat seit diesem Tag deutschen Boden nicht mehr betreten. Doch als seine Frau Bella, eine begnadete Harfenspielerin, durch ein ungl\u00fcckliches Ereignis aus dem Leben gerissen wird – ironischerweise, der j\u00fcdische Humor ist hier mit H\u00e4nden zu greifen, wird sie von einem Buch ihres Mannes erschlagen -, f\u00e4hrt der Neunzigj\u00e4hrige nach M\u00fcnchen, um dort den Redakteuren eines Literaturmagazins seine Lebensgeschichte und die seiner Frau zu erz\u00e4hlen. So, wie er sie erinnert. Bella hatte ihn immer gedr\u00e4ngt, nach Deutschland zu fahren, nun tut er es schlie\u00dflich. Ihr zuliebe, auch wenn sie nicht mehr dabei sein kann.<\/p>\n

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Als Kind im Lager stellte ich mir vor, alle Offiziere h\u00e4tten als Kopf ein Transistorger\u00e4t, eingestellt auf einen Sender, der Hitlers Reden in Endlosschleife wiederholte, wie die Reden, die ich in den Wochenschauen gesehen hatte, bevor alles anfing (…)<\/p>\n<\/blockquote>\n

Als Adam beginnt, die Texte f\u00fcr das Magazin abzufassen, geschieht ihm Eigenartiges. Was er abends schreibt, findet er morgens bereits redigiert auf dem Tisch, ohne, dass er sich daran erinnern k\u00f6nnte, die \u00c4nderungen vorgenommen zu haben. Ja, die neuen Fassungen kommen ihm nicht einmal vage bekannt vor, als w\u00e4ren sie von einer ganz anderen Person abgefasst. So turnen die Literaturheinzelm\u00e4nnchen munter durch seine Arbeit, bis er im Krankenhaus erwacht. Ein Schlaganfall. Alzheimer gar, seine Erinnerungen beginnen ihm durch die H\u00e4nde zu rinnen. Mal sind sie klar und deutlich, dann verbinden sie sich wieder mit den Lebensgeschichten anderer und gehen eine besondere Verbindung ein. Was ist \u00fcberhaupt Erinnerung und wie kommt sie zustande? Ron Segal, selbst in Israel geboren, schreibt in diesem einf\u00fchlsamen Deb\u00fct nicht nur von dem Leben und Leiden zweier Verfolgter. Implizit stellt er die Frage nach dem Erinnern und, im Hinblick auf Adam Schumachers gelegentliche Aussetzer, das Vergessen. Als der Oberarzt ihn nach seinem Schlaganfall im Krankenhaus aufnimmt, \u00e4u\u00dfert er der jungen Redakteurin Eva gegen\u00fcber Zweifel an einigen von Schumachers Geschichten. Er k\u00f6nne sie so gar nicht erlebt haben, sonst m\u00fcsse er um ein Vielfaches \u00e4lter sein. Aber ist das wichtig? Als Schumacher bewusst wird, dass er f\u00fcr einen kurzen Augenblick sogar seine verstorbene Frau vergessen hat, trifft er eine Entscheidung.<\/p>\n

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Man sagt, wenn der Tod zu dir ins Haus kommt, dann kehrt er wieder, als h\u00e4tte er einen Schl\u00fcssel.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Ron Segals Roman ist, trotz seiner K\u00fcrze, ein beeindruckendes St\u00fcck Literatur. Manches Mal mit feinsinnigen Humor, dann mit poetischen Worten lotet er aus, was bleibt, wenn Erinnerungen vergehen und sich neu formieren, um die L\u00fccken zu schlie\u00dfen. Als Opfer des Krieges beinahe gezwungen, Vieles von dem zu vergessen, was er gesehen hat, beginnt Adam Schumacher zwar im Alter, sich wieder zu erinnern; doch das Vergessen droht nun von ganz anderer Seite. Sprachm\u00e4chtig, originell und ber\u00fchrend – der Deb\u00fctromvon Ron Segal.<\/p>\n

Ron Segal: Jeder Tag wie heute, aus dem Hebr\u00e4ischen von Ruth Achlama, Wallstein Verlag<\/a>, 139 Seiten, 9783835315570<\/span>, 17,90 \u20ac<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Adam Schumacher ist ein bekannter j\u00fcdischer Schriftsteller, der in die Jahre gekommen ist. Als knapp neunzigj\u00e4hriger Holocaust\u00fcberlebender kehrt er zum ersten Mal nach dem Tod seiner Frau nach Deutschland zur\u00fcck, um f\u00fcr ein Literaturmagazin sein Leben zu erz\u00e4hlen. Doch viel Zeit bleibt ihm nicht mehr, seine Erinnerungen werden br\u00fcchig und rei\u00dfen, Fakten und Fiktion flie\u00dfen ineinander. Wer je behauptet, unm\u00f6gliche Dinge k\u00f6nne man nicht glauben, tut das aus Mangel an Erfahrung. W\u00fcrde er nur t\u00e4glich eine halbe Stunde trainieren, k\u00f6nnte er bald noch vor dem Fr\u00fchst\u00fcck sogar sechs unm\u00f6gliche Dinge glauben. Adam Schumacher hat in seinem Leben schon viele unm\u00f6gliche, ja, unglaubliche Dinge gesehen. Dinge, von denen einem der gesunde Menschenverstand ohne Umschweife sagen w\u00fcrde, sie existierten nur in seiner Fantasie. Adam ist ein angesehener j\u00fcdischer Schriftsteller, nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Frau Bella nach Israel ausgewandert und hat seit diesem Tag deutschen Boden nicht mehr betreten. Doch als seine Frau Bella, eine begnadete Harfenspielerin, durch ein ungl\u00fcckliches Ereignis aus dem Leben gerissen wird – ironischerweise, der j\u00fcdische Humor ist hier mit H\u00e4nden zu …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":6571,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[16,839],"tags":[1711,1710,1605],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2014\/09\/segal.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/6565"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=6565"}],"version-history":[{"count":6,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/6565\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":7864,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/6565\/revisions\/7864"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/6571"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=6565"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=6565"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=6565"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}