{"id":6543,"date":"2014-09-07T10:25:37","date_gmt":"2014-09-07T08:25:37","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=6543"},"modified":"2015-02-26T22:13:02","modified_gmt":"2015-02-26T20:13:02","slug":"lucy-fricke-takeshis-haut","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2014\/09\/lucy-fricke-takeshis-haut\/","title":{"rendered":"Lucy Fricke – Takeshis Haut"},"content":{"rendered":"

Frida ist Ger\u00e4uschemacherin. Sie f\u00fcgt vornehmlich Filmen eine Ger\u00e4uschkulisse zu, wenn sie misslungen oder im Falle eines jungen Mannes, der sie \u00fcberraschend besucht, gar nicht vorhanden ist. Vor dem Hintergrund eines beruflichen Auftrags erz\u00e4hlt Lucy Fricke in ihrem Roman von Sprachlosigkeit, einem Land in Schockstarre und der Atomkatastrophe in Fukushima.<\/strong><\/p>\n

Es ist fr\u00fch am Morgen als Redakteure und Kameram\u00e4nner des Kinderkanals in Fridas Wohnung einfallen, um sie zu ihrem Beruf zu befragen. Was sie genau mache, woher sie denn all ihre Ger\u00e4usche und die n\u00f6tigen Utensilien daf\u00fcr nehme, ob sie nicht einer Gruppe von Kindern nicht mal etwas vorf\u00fchren m\u00f6ge, was besonders viel Krach macht. Tats\u00e4chlich birgt der Beruf des Ger\u00e4uschemachers auch au\u00dferhalb von Lucy Frickes Roman noch einige Geheimnisse, die m\u00fcndlich von den \u00c4lteren an die J\u00fcngeren weitergegeben werden. Bestimmte Elemente der Klangerzeugung werden im Verborgenen geh\u00fctet, nicht jeder Regen, jedes Trippeln und Knacken ist das, wonach es klingt. Meistens jedoch muss Frida Filme nach – nicht v\u00f6llig neu vertonen. Bis Jonas auftaucht, der mit einem eigenen Science-Fiction Film zum Thema Apokalypse aus Japan zur\u00fcckkehrt – g\u00e4nzlich ohne Ton.<\/p>\n

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Die absolute Stille war eine Idee. Er war die eigene Anwesenheit, die sie zerst\u00f6rte.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Er bittet Frida um Hilfe, Geld spiele keine Rolle, und schickt sie auf seine Kosten nach Japan. Schlie\u00dflich kann Frida nur vertonen, was sie einmal geh\u00f6rt hat – und wer wei\u00df schon, wie Kyoto klingt, wenn man nicht dort gewesen ist? Als sie mit ihren Aufnahmen beginnt, stellt sie fest, dass hochfrequente T\u00f6ne ihre Arbeit unbrauchbar machen; doch als sie andere danach fragt, behaupten die, nichts davon zu h\u00f6ren. Es sei das Land, das sie h\u00f6re, nichts anderes. Als sie von Jonas zu einem alten Mann gelotst wird, der ihr Ger\u00e4t untersuchen soll, lernt sie Takeshi kennen. Jung, faszinierend, nicht auf den ersten Blick attraktiv und doch beginnen die beiden eine Aff\u00e4re, die Frida und ihr Leben ersch\u00fcttert und ver\u00e4ndert. Wie ein Erdbeben.<\/p>\n

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Manche Orte bewohnst du nicht, sie bewohnen dich. Haben sich mit Fundament in dich hineingesetzt. Sie werden bleiben. Du bist eine wirre Architektur in weiter Landschaft, hier und da eine Aussicht.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Kurz darauf bebt tats\u00e4chlich die Erde, es ist der 11. M\u00e4rz 2011. Ein gigantischer Tsunami rollt \u00fcber den Norden Japans hinweg, rei\u00dft H\u00e4user und Menschen mit sich, zerst\u00f6rt zwei Reaktoren im Atomkraftwerk Fukushima fast vollst\u00e4ndig. Es ist die gr\u00f6\u00dfte atomare Katastrophe seit Tschernobyl. Frida sitzt v\u00f6llig verst\u00f6rt in Kyoto, in dem sie lediglich schw\u00e4chere Nachbeben zu sp\u00fcren bekommt und ist au\u00dferstande, das Geschehen zu begreifen. Alles ist in Ordnung, sagt sie immer wieder, wenn ihr Freund Robert sie anruft. Alles ist in Ordnung. Das Land und Frida selbst erfasst eine Sprachlosigkeit, in der es keine Worte, eine Stille, f\u00fcr die es keine Ger\u00e4usche gibt, um das Geschehene darzustellen. Und auch der Feind ist unsichtbar, geruchlos, still.<\/p>\n

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(…), die Erinnerung sammelte Anf\u00e4nge, vom Ende wollte sie nichts wissen.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Lucy Fricke erz\u00e4hlt in ihrem Deb\u00fctroman gekonnt von inneren und \u00e4u\u00dferen Ersch\u00fctterungen, die ein Leben f\u00fcr immer ver\u00e4ndern. Fricke, die seit 2010 j\u00e4hrlich die HAM.LIT veranstaltet, f\u00fchrt aber nicht nur in diese unterschiedlichen Krisengebiete, sondern pr\u00e4sentiert mit einer sympathischen Prise Humor einen ganz anderen Blick auf die Welt der Ger\u00e4usche und des Tons. Dinge, die wir sonst niemals bewusst wahrnehmen, r\u00fccken mit der Lekt\u00fcre pl\u00f6tzlich in den Fokus, ein interessanter Nebeneffekt der Besinnung und Kontemplation. ,Takeshis Haut’ ist ein besonderes Buch, nicht zuletzt auch, weil Fukushima als konkretes Ereignis hier literarisch verarbeitet wird. Ein ungew\u00f6hnlicher, intensiver Roman, der die Lekt\u00fcre lohnt.<\/p>\n

Lucy Fricke: Takeshis Haut, Rowohlt Verlag<\/a>, 189 Seiten, 9783498020163<\/span>, 18,95 \u20ac<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Frida ist Ger\u00e4uschemacherin. Sie f\u00fcgt vornehmlich Filmen eine Ger\u00e4uschkulisse zu, wenn sie misslungen oder im Falle eines jungen Mannes, der sie \u00fcberraschend besucht, gar nicht vorhanden ist. Vor dem Hintergrund eines beruflichen Auftrags erz\u00e4hlt Lucy Fricke in ihrem Roman von Sprachlosigkeit, einem Land in Schockstarre und der Atomkatastrophe in Fukushima. Es ist fr\u00fch am Morgen als Redakteure und Kameram\u00e4nner des Kinderkanals in Fridas Wohnung einfallen, um sie zu ihrem Beruf zu befragen. Was sie genau mache, woher sie denn all ihre Ger\u00e4usche und die n\u00f6tigen Utensilien daf\u00fcr nehme, ob sie nicht einer Gruppe von Kindern nicht mal etwas vorf\u00fchren m\u00f6ge, was besonders viel Krach macht. Tats\u00e4chlich birgt der Beruf des Ger\u00e4uschemachers auch au\u00dferhalb von Lucy Frickes Roman noch einige Geheimnisse, die m\u00fcndlich von den \u00c4lteren an die J\u00fcngeren weitergegeben werden. Bestimmte Elemente der Klangerzeugung werden im Verborgenen geh\u00fctet, nicht jeder Regen, jedes Trippeln und Knacken ist das, wonach es klingt. Meistens jedoch muss Frida Filme nach – nicht v\u00f6llig neu vertonen. Bis Jonas auftaucht, der mit einem eigenen Science-Fiction Film zum Thema Apokalypse aus Japan …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":6544,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[16,839],"tags":[1707,1705,1465,1706],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2014\/09\/takeshi.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/6543"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=6543"}],"version-history":[{"count":9,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/6543\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":7865,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/6543\/revisions\/7865"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/6544"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=6543"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=6543"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=6543"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}