{"id":5217,"date":"2014-07-04T20:48:50","date_gmt":"2014-07-04T18:48:50","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=5217"},"modified":"2014-07-11T12:56:07","modified_gmt":"2014-07-11T10:56:07","slug":"der-zweite-tag-am-worthersee","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2014\/07\/der-zweite-tag-am-worthersee\/","title":{"rendered":"Der zweite Tag am W\u00f6rthersee"},"content":{"rendered":"

Nachdem die an Windpocken erkrankte Karen K\u00f6hler ihre Teilnahme beim Preis absagen musste, gibt es seit gestern ihre ins Rennen geschickte Erz\u00e4hlung ,Il Comandante<\/a>‘ zum Download auf ihrer Homepage. Es lohnt sich!<\/p>\n

Der gestrige Lesungstag mit den ersten f\u00fcnf Autoren lief eher gem\u00e4chlich an, getragen und schwer, ja, bedeutungshochschwanger gar, heute gab es tats\u00e4chlich Zoff und Zank, erbitterte Diskussionen und denkw\u00fcrdige Verrisse. Den Anfang machte Anne-Kathrin Heier mit einem Text, Ichthys, der tats\u00e4chlich viel Ich enthielt (und nicht d\u00fcrfte, laut Schreibschulstatuten), ein typischer Berlin-Text, munkelten manche.<\/p>\n

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Gro\u00dfstadtmoloch, Drogensucht, Anonymit\u00e4t, Weltschmerz. Sprachlich zwar zum Teil virtuos, insgesamt aber vermutlich zu kryptisch, zu konstruiert. Ein Text, der sich las, wie der Tagebucheintrag einer wirklich traurigen Julia Engelmann. Bereits das erste Gez\u00e4nk in der Jury, es sei ein schwacher Text und mutig von Heier, mit ausgerechnet dem hier anzutreten. Auch in sozialen Netzwerken wie Twitter sparten Zuschauer nicht mit H\u00e4me – in ihrer Vehemenz \u00fcberwiegend unberechtigt. Insgesamt liefert Heier einen Text, der es wert ist, n\u00e4her betrachtet und nicht nach einem ersten Leseeindruck beurteilt zu werden.<\/p>\n

Die Jury jedoch beginnt sich warmzulaufen. Birgit P\u00f6lzls leicht meditativ-entr\u00fcckter Tibettrauertext ger\u00e4t da schnell zum “Esoterikkitsch”. Ankl\u00e4nge sind zwar vorhanden, die Trauer um das eigene Kind allerdings, das vom Ehemann \u00fcberfahren wurde, sei literarisch respektvoll gel\u00f6st worden, einigt man sich. Der letzte am Vormittag ist Senthuran Varatharajah, der bisher noch nichts ver\u00f6ffentlicht hat und seinen Text \u00fcber zwei Immigranten und ihre kulturellen wie famili\u00e4ren Hintergr\u00fcnde, formal als Facebook-Chat zwischen einem jungen Mann und einer ihm fremden Frau pr\u00e4sentiert. Schon w\u00e4hrend der Lesung regt sich Skepsis in manch einem Zuh\u00f6rer: So spricht doch niemand in einem Facebookchat. Burkhard Spinnen bemerkt in der anschlie\u00dfenden Diskussion, die sprachliche Stilistik des Mannes lasse den Schluss zu, er habe sein Deutsch bei Hegel gelernt. Angesichts Varatharajahs Philosophiestudium nicht v\u00f6llig an den Haaren herbeigzogen. Hubert Winkels bezweifelt gar, dass es sich, trotz aller formalen Aspekte, \u00fcberhaupt um einen Dialog im klassischen Sinne handelt.<\/span><\/p>\n

\"bachmannpreis2\"<\/a>

Es lasen: Anne-Kathrin Heier, Birgit P\u00f6lzl, Senthuran Varatharajah, Michael Fehr, Romana Ganzoni (v.l.n.r.)<\/p><\/div>\n

Nach der Mittagspause liest Michael Fehr – und seine Lesung ist die bisher wohl ungew\u00f6hnlichste. Nicht nur deshalb, weil er den Text im Stehen mit ganzem K\u00f6rpereinsatz und tiefstem Schweizerdialekt vortr\u00e4gt, aufgrund einer Sehbehinderung kann Michael Fehr nur unter gr\u00f6\u00dfter Anstrengung einen Text lesen. Und so l\u00e4sst er sich den Text zun\u00e4chst \u00fcber Kopfh\u00f6rer eingeben, bevor er ihn nachspricht. Liest man ihn, f\u00e4llt einem sofort auf, dass er in Versform gesetzt ist, teils sicherlich gewollt, teils ein schlichtes Produkt der Verschriftlichung – denn Michael Fehr spricht seine Texte gew\u00f6hnlich zuerst auf Band. Manch einer in der Jury erkennt in Simeliberg, das in wilden Ausz\u00fcgen ohne chronologische Ordnung pr\u00e4sentiert wird, einen Schweizer Krimi, die anderen weisen auf das gleichnamige M\u00e4rchen<\/a> hin. Ein origineller Text, ein origineller Vortrag. Und eine Jurydiskussion, die sich mehr, als es ihr vielleicht gut tut, mit der Vortragsweise und ihren Einfluss auf die Wirkung eines Textes besch\u00e4ftigt.<\/p>\n

Den Abschluss macht Romana Ganzoni, die in ihrem Text Ignis Cool nicht blo\u00df einen Konflikt zwischen Automarken, sondern vor allem einen Mutter-Tochter-Konflikt zu verarbeiten suchte. Ein Text, in dem vieles unter der Oberfl\u00e4che schwelt, in dem unterschwellig viel Gewalt transportiert\u00a0 wird, – ab einem bestimmten Punkt vor allem gedachte Gewalt der Tochter gegen die Mutter. Psycho-Variationen im kiwigelben Suzuki, durchaus ambitioniert, von der Jury allerdings mit gemischten Gef\u00fchlen aufgenommen. Langweilig sei der Text, moniert Winkels, Ganzoni habe ihren eigenen Text zerlesen, moniert Spinnen. Der heutige Lesungstag war insgesamt bewegter, die Texte weniger verkopft, so weit man das in diesem Wettbewerb behaupten kann. Die Texte zum Nachlesen:<\/p>\n

Anne-Kathrin Heier – Ichthys<\/a>
\nBirgit P\u00f6lzl –
Maia<\/a>
\nSenthuran Varatharajah –
Von der Zunahme der Zeichen<\/a>
\nMichael Fehr –
Simeliberg<\/a>
\nRomana Ganzoni –
Ignis Cool<\/a><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Nachdem die an Windpocken erkrankte Karen K\u00f6hler ihre Teilnahme beim Preis absagen musste, gibt es seit gestern ihre ins Rennen geschickte Erz\u00e4hlung ,Il Comandante‘ zum Download auf ihrer Homepage. Es lohnt sich! Der gestrige Lesungstag mit den ersten f\u00fcnf Autoren lief eher gem\u00e4chlich an, getragen und schwer, ja, bedeutungshochschwanger gar, heute gab es tats\u00e4chlich Zoff und Zank, erbitterte Diskussionen und denkw\u00fcrdige Verrisse. Den Anfang machte Anne-Kathrin Heier mit einem Text, Ichthys, der tats\u00e4chlich viel Ich enthielt (und nicht d\u00fcrfte, laut Schreibschulstatuten), ein typischer Berlin-Text, munkelten manche.<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":5208,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[836],"tags":[910,1244,1531,1536],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2014\/07\/tddl2014_eoef_0127-e1405075736369.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/5217"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=5217"}],"version-history":[{"count":4,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/5217\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":5912,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/5217\/revisions\/5912"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/5208"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=5217"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=5217"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=5217"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}