{"id":5087,"date":"2014-06-26T07:00:59","date_gmt":"2014-06-26T05:00:59","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=5087"},"modified":"2015-02-26T22:33:09","modified_gmt":"2015-02-26T20:33:09","slug":"das-antiquariat-diderot","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2014\/06\/das-antiquariat-diderot\/","title":{"rendered":"Das Antiquariat Diderot"},"content":{"rendered":"

Wir alle wissen als Leser und Leserinnen meistens sehr gut, wie es so im Sortimentsbuchhandel aussieht. Viele von uns gehen dort mehr als regelm\u00e4\u00dfig ein und aus. Doch wie l\u00e4uft es eigentlich im Antiquariat ab? Was ist dort anders? Jasmin Fritz, 1976 in L\u00fcbeck geboren und Inhaberin des Antiquariats ,Diderot’ in Kiel, stand mir Rede und Antwort. Die gelernte Antiquarin und studierte Literaturwissenschaftlerin geht mit ihrem Laden auch f\u00fcr die Auszeichnung Kultur – und Kreativpilotin<\/a> 2014 ins Rennen. W\u00fcrde sie ausgew\u00e4hlt, w\u00e4re Diderot Teil einer Initiative der Bundesregierung, die Unternehmen unterst\u00fctzt, die sich als Kulturbewahrer und kulturelle Treffpunkte engagieren. So oder so ist das Antiquariat aber nicht nur ein Antiquariat, sondern auch Veranstaltungsort f\u00fcr Lesungen oder Ausstellungsraum f\u00fcr Kunstwerke.<\/p>\n

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Jasmin, du hast im April letzten Jahres dein kleines Antiquariat in Kiel er\u00f6ffnet. Wie kam es dazu? Hast du eine Ausbildung im Antiquariatsbereich gemacht?<\/strong><\/p>\n

Ich habe nach meinem Studium (Literaturwissenschaft, Philosophie, Kunstgeschichte) ab 2004 eine Ausbildung als Buch- und Kunstantiquarin in einem Antiquariat & Auktionshaus hier in Kiel gemacht und dort anschlie\u00dfend bis 2012 gearbeitet. Die Idee, mich irgendwann einmal selbst\u00e4ndig zu machen, hatte ich bereits seit einigen Jahren… diese Idee entwickelte sich zu einem Traum, der mit der Zeit immer konkreter wurde, Konturen annahm. Ich stellte mir einen Laden vor, der ganz und gar meine Handschrift tragen w\u00fcrde – und steckte mir ein “10-Jahres-Ziel”. Auch kaufte ich bereits einzelne kostbarere und bibliophile B\u00fccher ein, wann immer es mein Etat irgend zulie\u00df. Aus den 10 Jahren wurden dann doch nur 5: ab August 2012 konnte aus verschiedenen Gr\u00fcnden mein Arbeitsverh\u00e4ltnis nicht fortbestehen. Ich sah mich vor der Situation, einen neuen Job suchen zu m\u00fcssen, oder aber den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. Schlie\u00dflich dachte ich: “jetzt oder nie”.<\/p>\n

Welche Schwierigkeiten sind dir bei der Gr\u00fcndung begegnet?<\/strong><\/p>\n

Zun\u00e4chst einmal galt es, die “halbgaren” Ideen in etwas Realisierbares umzuwandeln. Nach einem ersten Brainstorming hatte ich einen ganz guten \u00dcberblick \u00fcber das, was ich brauchen w\u00fcrde und tun m\u00fcsste. Jetzt galt es das Arbeitsamt zu \u00fcberzeugen. Dort wollte man bereits ein erstes Konzept haben, um die Ernsthaftigkeit meines Vorhabens untermauert zu sehen. Da ich alles ja bereits grob im Kopf hatte, fiel mir das nicht besonders schwer. 1. H\u00fcrde: check. Ich musste dann ein mehrw\u00f6chiges Existenzgr\u00fcndungs-Seminar an der Wirtschaftsakademie absolvieren, damit ich weitermachen durfte. Das hat mir ziemlich viel abverlangt – aber auch aufgezeigt, wo noch Schwachstellen waren, was ich noch nicht bedacht hatte etc. 2. H\u00fcrde: check.<\/p>\n

Heraus kam ein kompletter Businessplan inklusive Umsatz- und Kostenrechnung. Die 3. und gr\u00f6\u00dfte H\u00fcrde lie\u00df sich nicht so leicht nehmen: die Finanzierung. Die Banken wollten von einem Kredit f\u00fcr die Gr\u00fcndung eines Antiquariats absolut nichts wissen. Mit einiger Hartn\u00e4ckigkeit und \u00dcberzeugungsarbeit, etwas Eigenkapital und viel Unterst\u00fctzung durch Freunde und Familie gelang es mir dann doch schlie\u00dflich, die n\u00f6tigen Mittel aufzutreiben. 3. H\u00fcrde: check. W\u00e4hrend dieser Zeit kaufte ich auch gr\u00f6\u00dfere Konvolute an B\u00fcchern ein, um den Erstbestand f\u00fcr ein Ladengesch\u00e4ft aufzubauen. Noch ein Problem: wohin mit \u00fcber 7000 B\u00fcchern? Auch daf\u00fcr fand sich eine (etwas abenteuerliche) L\u00f6sung: Die B\u00fccher lagerten einige Monate gut verpackt auf einem alten Heuboden \u00fcber dem Pferdestall im Bauerhof einer Freundin. 4. H\u00fcrde: check. Eine Sorge, die mir die ganze Zeit \u00fcber Kopfzerbrechen bereitete, erledigte sich quasi von selbst: bei der Suche nach einem passenden Ladenlokal hatte ich einfach mal – Gl\u00fcck. 5. H\u00fcrde: check!<\/p>\n

\"diderot1\"<\/a><\/p>\n

Dein Laden hei\u00dft “Antiquariat Diderot” – spielt Diderot, bzw. seine Literatur in deinem Leben eine besondere Rolle?<\/strong><\/p>\n

Diderot war nicht nur Schriftsteller und bedeutender Philosoph, sondern auch einer der wichtigsten Organisatoren und Herausgeber der gro\u00dfen Encyclop\u00e9die, die ab 1751 in Paris publiziert wurde. W\u00e4hrend meiner Arbeit im Antiquariat begegnete ich schon fr\u00fch Kupferstichen und einzelnen Artikeln aus diesem Werk. Dann hatte ich im Auktionshaus das gro\u00dfe Gl\u00fcck, eine vollst\u00e4ndige Ausgabe bearbeiten zu d\u00fcrfen – 26 Folianten, gespickt mit tausenden wundersch\u00f6nen Kupferstich-Illustrationen und ebensovielen hochwertigen Artikeln \u00fcber alle Bereiche des Lebens – Handwerk, Naturwissenschaften, K\u00fcnste, Technik usw. Die Geschichte der Entstehung dieses gro\u00dfen Werkes, die Ausdauer und der Mut, den Diderot an den Tag legte, um Wissen unters Volk zu bringen – Aufkl\u00e4rung zu betreiben – haben mich nachhaltig schwer beeindruckt. Ich wollte das durch die Namensgebung f\u00fcr mein Unternehmen in Erinnerung bringen und w\u00fcrdigen.<\/p>\n

Woher bekommst du deine B\u00fccher?<\/strong><\/p>\n

Aus den unterschiedlichsten Quellen: vieles wird mir direkt in den Laden getragen. Oft fahre ich zu Privatpersonen, um mir gr\u00f6\u00dfere Bibliotheken anzusehen: manchmal wollen die Leute ihren Bestand etwas verkleinern, Platz schaffen, h\u00e4ufig jedoch sind es Nachl\u00e4sse. Ich verkaufe auch Kommissionsware, sprich Sammlerst\u00fccke von Kunden, f\u00fcr ein bestimmtes Entgelt. Rarit\u00e4ten finde ich meist in den Katalogen der Auktionsh\u00e4user oder bei Kollegen, beispielsweise in Lagerlisten oder auf Messen.<\/p>\n

Wie sieht dein Arbeitsalltag aus? Viele denken ja wahrscheinlich, du sitzt den ganzen Tag zwischen alten B\u00fcchern und wartest, bis jemand dir neue bringt.<\/strong><\/p>\n

So etwas wie Arbeitsalltag gibt es eigentlich nicht. Jeder Tag sieht anders aus und bringt neue Aufgaben mit sich. Wichtig ist die Archivierung des Bestandes. Das hei\u00dft, ich beschreibe die B\u00fccher einzeln ausf\u00fchrlich, um Listen erstellen zu k\u00f6nnen oder sie im Internet zu verkaufen. Diese Arbeit nimmt die meiste Zeit in Anspruch. Ab und an fahre ich auf Au\u00dfentermine zwecks Besichtigung zu ver\u00e4u\u00dfernder Sammlungen. Dann hei\u00dft es Kisten packen und schleppen, die B\u00fccher ins Lager einbringen, Preise recherchieren, die B\u00fccher auspreisen und nat\u00fcrlich in den Ladenbestand integrieren. Dazu kommt die Bearbeitung von Bestellungen – sprich Rechnungen schreiben, B\u00fccher verpacken und zur Post bringen. Die Buchhaltung nat\u00fcrlich. Das Organisieren von Events wie Ausstellungen, Vernissagen, Lesungen usw. Neben all dem widme ich gern meinen Kunden viel Zeit, das sind an einem Tag vielleicht nur mal zwei, an einem anderen dann zwanzig… Langweilig wird es also nie. Zum Warten auf neue B\u00fccher bleibt gar keine Zeit.<\/p>\n

\"diderot2\"<\/a><\/p>\n

Mir hat mal eine Antiquarin gesagt, man d\u00fcrfe sich in diesem Beruf nicht leicht ekeln. Besonders, wenn man auf Dachb\u00f6den oder in alten Kellern Nachl\u00e4sse sichtet. W\u00fcrdest du das best\u00e4tigen?<\/strong><\/p>\n

Oh ja, da kann ich nur zustimmen. Was man bei solchen Terminen erlebt,ist teils recht abenteuerlich. Staub und Spinnen(-weben) sind selbstredend an der Tagesordnung, doch mir sind auch schon andere Tiere begegnet wie Ameisen, Kellerasseln, M\u00e4use, Ratten – sogar Flederm\u00e4use. Manchmal hat man das Gef\u00fchl, man w\u00fchlt sich durch Berge von Dreck und braucht nach dem Termin erstmal eine Grundreinigung. Aber das kann sich eben auch wirklich mal lohnen.<\/p>\n

Gibt es ein Ereignis, was dir noch lange nach seinem Geschehen im Ged\u00e4chtnis geblieben ist?<\/strong><\/p>\n

Da gibt es etliche. Zwei allerdings stechen in meiner Erinnerung besonders hervor: eines ist die erste Auktion, an der ich teilgenommen habe. Ich war vorher so aufgeregt, dass ich gar nicht schlafen konnte. Es waren etwa 60 Bieter im Saal anwesend, ich war f\u00fcr die Pr\u00e4sentation der B\u00fccher und Graphiken zust\u00e4ndig. Als die Auktion nach ein paar Stunden vorbei war konnte ich kaum fassen, dass alles gut geklappt hatte und ein voller Erfolg war. Der zweite absolut herausragende Moment in meinem Berufsleben war nat\u00fcrlich der, als ich meinen eigenen Laden er\u00f6ffnet habe. Es kamen so viele Leute, sie alle brachten eines mit: Begeisterung. Da wusste ich, dass sich all die Strapazen der vergangenen Monate gelohnt hatten und ich auf dem richtigen Weg war. Das hat mich mit gro\u00dfem Gl\u00fcck erf\u00fcllt – und tut es noch immer.<\/p>\n

Du h\u00e4ttest dich ja auch daf\u00fcr entscheiden k\u00f6nnen, in den Sortimentsbuchhandel zu gehen. Was ist das Besondere am Antiquariat?<\/strong><\/p>\n

Zwar liebe ich B\u00fccher (nat\u00fcrlich!) und lese schon mein Leben lang gern und viel, aber der Sortimentsbuchhandel kam nie wirlich f\u00fcr mich infrage. Ich habe eine besondere Affinit\u00e4t zu alten B\u00fcchern. Mich reizt die Geschichte dahinter, die Recherchearbeit. Je \u00e4lter ein Buch ist, desto aufwendiger wird diese. Au\u00dferdem ist der Beruf unglaublich vielschichtig. Ich bin Kauffrau, Bibliothekarin, Trauerbegleiterin, Galeristin, Kundenbetreuerin, Buchhalterin, Lageristin, Schaufensterdekorateurin und, und, und… von allem ein bisschen. Durch meine Arbeit im Auktionshaus hatte ich die M\u00f6glichkeit, Dinge zu sehen und zu bearbeiten, die sehr selten sind, B\u00fccher wie Graphiken. Oder auch alte Handschriften, die ich w\u00e4hrend der vergangenen Jahre gelernt habe, zu lesen. Das t\u00e4gliche Lernen, das f\u00fcr einen Antiquar auch ein Leben lang nicht aufh\u00f6rt, ist f\u00fcr mich ein Lebenselexier. Ich habe hier meinen Traumberuf gefunden und gehe jeden Tag gern zur Arbeit – in das f\u00fcr mich sch\u00f6nste B\u00fcro der Welt.<\/p>\n

Interessant ist, dass sich durch meine Freunde und Familie, meine Kunden und nicht zuletzt durch mich selbst, gerade etwas ganz Neues entwickelt. Eine echte Begegnungsst\u00e4tte f\u00fcr Menschen verschiedenster Couleur. Etwas Lebendiges, ein “Antiquariat zum Anfassen”, ein Ort an dem sich passionierte Sammler, Studenten, Kulturinteressierte, Leseratten, Kinder, “Kreativlinge” begegnen und gleicherma\u00dfen wohlf\u00fchlen. Das hatte ich mir in diesem Ausma\u00df nicht zu ertr\u00e4umen gewagt. Es ist einfach wunderbar.<\/p>\n

F\u00fcr Neugierige:<\/h3>\n

Antiquariat Diderot im Netz<\/a>
\nAntiquariat Diderot bei
Facebook<\/a><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Wir alle wissen als Leser und Leserinnen meistens sehr gut, wie es so im Sortimentsbuchhandel aussieht. Viele von uns gehen dort mehr als regelm\u00e4\u00dfig ein und aus. Doch wie l\u00e4uft es eigentlich im Antiquariat ab? Was ist dort anders? Jasmin Fritz, 1976 in L\u00fcbeck geboren und Inhaberin des Antiquariats ,Diderot’ in Kiel, stand mir Rede und Antwort. Die gelernte Antiquarin und studierte Literaturwissenschaftlerin geht mit ihrem Laden auch f\u00fcr die Auszeichnung Kultur – und Kreativpilotin 2014 ins Rennen. W\u00fcrde sie ausgew\u00e4hlt, w\u00e4re Diderot Teil einer Initiative der Bundesregierung, die Unternehmen unterst\u00fctzt, die sich als Kulturbewahrer und kulturelle Treffpunkte engagieren. So oder so ist das Antiquariat aber nicht nur ein Antiquariat, sondern auch Veranstaltungsort f\u00fcr Lesungen oder Ausstellungsraum f\u00fcr Kunstwerke.<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":5088,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[836],"tags":[883,1198,1236],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2014\/06\/diderot3-e1405077226964.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/5087"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=5087"}],"version-history":[{"count":1,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/5087\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":5924,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/5087\/revisions\/5924"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/5088"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=5087"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=5087"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=5087"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}