{"id":5001,"date":"2014-06-12T16:02:00","date_gmt":"2014-06-12T14:02:00","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=5001"},"modified":"2015-02-26T22:35:16","modified_gmt":"2015-02-26T20:35:16","slug":"chimamanda-ngozi-adichie-americanah","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2014\/06\/chimamanda-ngozi-adichie-americanah\/","title":{"rendered":"Chimamanda Ngozi Adichie – Americanah"},"content":{"rendered":"

Kaum ein Roman wird in diesen Wochen so h\u00e4ufig besprochen wie Chimamanda Ngozi Adichies ,Americanah’. Dabei ist die nigerianische Schriftstellerin, die heute in Lagos und London lebt, beileibe keine Deb\u00fctantin. Sie war bereits f\u00fcr den Booker Prize nominiert, 2007 erhielt sie den Orange Prize for Fiction. Dennoch scheint es mit Americanah eine besondere Bewandnis zu haben, es trifft einen Nerv, der literarisch sonst weit weniger ber\u00fchrt wird. Es handelt von allt\u00e4glichem Rassismus.<\/strong><\/p>\n

Sp\u00e4testens mit Bekanntwerden der NSU-Mordserie wird die Diskussion \u00fcber Rechtsextremismus neu gef\u00fchrt. Wie sieht sie aus, die neue Rechte? Was man jahrelang an gesellschaftlichen R\u00e4ndern und im Untergrund vermutete, hat in der Mitte der Gesellschaft Fu\u00df gefasst. Rechte Parolen sind l\u00e4ngst nicht mehr nur Sache ungebildeter Krawallmacher. Und Rassismus findet sich ohnehin nicht mehr ausschlie\u00dflich dort, wo man noch Hitlers Geburtstag feiert, Rassismus ist salonf\u00e4hig – und wird oft genug gar nicht mehr als solcher erkannt. Vielleicht ist es das, was Americanah so spannend macht. Der Roman legt seinen Finger in genau diese Wunde, zeigt, dass Konstrukte wie Rasse, die Adichie rundweg ablehnt<\/a>, in den K\u00f6pfen vieler noch immer unverr\u00fcckbar existieren. Rassismus beginnt vielfach schon dort, wo der Hautfarbe eines Menschen besondere Bedeutung beigemessen wird.<\/p>\n

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Du musst ebenfalls nicken, wenn dir ein anderer Schwarzer in einer \u00fcberwiegend wei\u00dfen Gegend zunickt. Es wird das schwarze Kopfnicken genannt. Auf diese Weise sagen Schwarze: “Du bist nicht allein, ich bin auch da.” Um schwarze Frauen, die du bewunderst, zu beschreiben, benutze immer das Wort ,STARK’, denn von schwarzen Frauen in Amerika wird erwartet, dass sie stark sind. Wenn du eine Frau bist, dann sag bitte nicht einfach, was du denkst, wie du es aus deinem Land gewohnt bist. Denn in Amerika gelten willensstarke schwarze Frauen als FURCHTERREGEND.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Wer, wie Protagonistin Ifemelu, in Nigeria aufw\u00e4chst, hat den Blick von Anfang an gen Westen gerichtet. Amerika gilt als Land der Verhei\u00dfungen, der beruflichen und pers\u00f6nlichen M\u00f6glichkeiten, w\u00e4hrend in Nigeria Korruption und Chancenlosigkeit das Leben dominieren. Wer es sich leisten kann, versucht, im Ausland zu studieren, ein Visum und ein Stipendium zu ergattern. Auch Ifemelu beginnt, in Amerika zu studieren, ihren Freund Obinze in Nigeria zur\u00fccklassend. Sie erf\u00e4hrt, wie hart das Leben im Land der unbegrenzten M\u00f6glichkeiten f\u00fcr schwarze Immigranten sein kann und wie bedeutungsvoll ihre Hautfarbe mit dem Verlassen ihres Landes geworden ist. Vorstellungsgespr\u00e4che f\u00fcr Studentenjobs enden immer wieder mit Absagen aus fadenscheinigen Gr\u00fcnden.<\/p>\n

Die Reaktionen vieler Amerikaner auf sie und ihre Hautfarbe, die Unterscheidung zwischen amerikanischen und nicht-amerikanischen Schwarzen und so einige Feinheiten im Umgang miteinander h\u00e4lt Ifemelu auf ihrem Blog fest. Innerhalb k\u00fcrzester Zeit gewinnt sie an Bekanntheit, hat tausende Leser, F\u00fcrsprecher und Widersacher. Selten hat das Ph\u00e4nomen des (erfolgreichen) Bloggens in einem Roman solch einen Stellenwert gehabt, Ifemelu wird zu Kongressen und Gespr\u00e4chsrunden eingeladen, ihre Meinung gewinnt an Bedeutung f\u00fcr den \u00f6ffentlichen Diskurs. Schnell jedoch bemerkt sie, dass man sie nicht etwa einl\u00e4dt, um die Wahrheit zu sagen, sondern um Fortschritte und Bem\u00fchungen \u00f6ffentlicher Stellen zu best\u00e4tigen.<\/p>\n

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In Amerika gibt es Rassismus, aber keine Rassisten. Rassisten geh\u00f6ren der Vergangenheit an. Rassisten sind die schmallippigen fiesen Wei\u00dfen in den Filmen \u00fcber die Zeit der B\u00fcrgerrechtsbewegung. Es ist so: Die Manifestationen von Rassismus haben sich ge\u00e4ndert, aber nicht die Sprache.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Neben den Betrachtungen \u00fcber allt\u00e4glichen Rassismus erz\u00e4hlt Adichie die Liebesgeschichte zwischen Obinze und Ifemelu. Die beiden scheinen fast f\u00fcreinander bestimmt, doch Amerika und dortige Vorf\u00e4lle trennen sie voneinander, der Kontakt rei\u00dft ab. Adichie gelingt mit ihrem Roman ein gesellschaftliches Panorama schwarzer Einwanderer in Amerika, das durch zahlreiche Nebenfiguren auch \u00fcber die pers\u00f6nlichen Geschichten Ifemelus und Obinzes hinausgeht. Der Leser erf\u00e4hrt, wie es sich als Schwarzer in Amerika (und in Nigeria) lebt – und auch wie es ist, wenn man in sein Land zur\u00fcckkehrt. Als Americanah<\/strong> bezeichnen die Daheimgebliebenen und Heimgekehrten jene, die sich so an den amerikanischen Lebensstil angepasst, so vollumf\u00e4nglich amerikanische Gepflogenheiten angenommen haben, dass sie v\u00f6llig ver\u00e4ndert zur\u00fcckkommen. Ein oder eine Americanah<\/em> sind. Vereinnahmt und verwandelt von Dekadenz und \u00dcberfluss. Eine andere Form des Vorurteils.<\/p>\n

Americanah ist ein vielschichtiger Roman, der durchaus Gewicht h\u00e4tte verlieren k\u00f6nnen (knapp 600 Seiten) und dennoch dieselbe Durchschlagskraft besessen h\u00e4tte. Hin und wieder ger\u00e4t er ins Trudeln, wirkt etwas aufgebl\u00e4ht, zu detailversessen. Adichie bringt das Thema Rassismus aufs Tapet, ohne dabei sensationsl\u00fcstern und pathetisch zu sein, sie pr\u00e4sentiert uns zwei authentische Menschen mit authentischen Geschichten. Nicht zuletzt stammt Adichie selbst aus Nigeria, sie wei\u00df, wovon sie schreibt, kehrt auch jedes Jahr f\u00fcr einige Zeit in ihr Land zur\u00fcck,um zu recherchieren und mit den Menschen ins Gespr\u00e4ch zu kommen. Americanah ist ein Schm\u00f6ker mit Anspruch, der die Lekt\u00fcre lohnt und die investierten Stunden allemal wert ist.<\/p>\n

Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah,<\/span> Fischer Verlag<\/a>, aus dem Englischen von Anette Grube, 604 Seiten, 9783100006264<\/span>, 24,99 \u20ac<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Kaum ein Roman wird in diesen Wochen so h\u00e4ufig besprochen wie Chimamanda Ngozi Adichies ,Americanah’. Dabei ist die nigerianische Schriftstellerin, die heute in Lagos und London lebt, beileibe keine Deb\u00fctantin. Sie war bereits f\u00fcr den Booker Prize nominiert, 2007 erhielt sie den Orange Prize for Fiction. Dennoch scheint es mit Americanah eine besondere Bewandnis zu haben, es trifft einen Nerv, der literarisch sonst weit weniger ber\u00fchrt wird. Es handelt von allt\u00e4glichem Rassismus. Sp\u00e4testens mit Bekanntwerden der NSU-Mordserie wird die Diskussion \u00fcber Rechtsextremismus neu gef\u00fchrt. Wie sieht sie aus, die neue Rechte? Was man jahrelang an gesellschaftlichen R\u00e4ndern und im Untergrund vermutete, hat in der Mitte der Gesellschaft Fu\u00df gefasst. Rechte Parolen sind l\u00e4ngst nicht mehr nur Sache ungebildeter Krawallmacher. Und Rassismus findet sich ohnehin nicht mehr ausschlie\u00dflich dort, wo man noch Hitlers Geburtstag feiert, Rassismus ist salonf\u00e4hig – und wird oft genug gar nicht mehr als solcher erkannt. Vielleicht ist es das, was Americanah so spannend macht. Der Roman legt seinen Finger in genau diese Wunde, zeigt, dass Konstrukte wie Rasse, die Adichie rundweg ablehnt, …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":5002,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[16,839],"tags":[875,986,1444,1469],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2014\/06\/americanah-e1405078006283.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/5001"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=5001"}],"version-history":[{"count":2,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/5001\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":7889,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/5001\/revisions\/7889"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/5002"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=5001"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=5001"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=5001"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}