{"id":4948,"date":"2014-08-18T08:30:37","date_gmt":"2014-08-18T06:30:37","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=4948"},"modified":"2015-02-26T22:20:27","modified_gmt":"2015-02-26T20:20:27","slug":"tanguy-viel-das-verschwinden-des-jim-sullivan","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2014\/08\/tanguy-viel-das-verschwinden-des-jim-sullivan\/","title":{"rendered":"Tanguy Viel – Das Verschwinden des Jim Sullivan"},"content":{"rendered":"

Ein Franzose kann einfach keinen amerikanischen Roman schreiben. Einen, in dem es um gescheiterte Existenzen und die gro\u00dfen Fragen des Lebens vor l\u00e4ssigem und irgendwie kosmopolitischem Hintergrund geht. Oder doch? Tanguy Viel beweist in seinem neuen Roman beachtliches Fingerspitzengef\u00fchl f\u00fcr ein literarisches Genre, das sich seinen Platz tapfer erk\u00e4mpft hat. Und er nimmt es dabei nicht immer ganz ernst.<\/strong><\/p>\n

Dwayne Kosters Leben meint es im Augenblick nicht gut mit ihm. Der Universit\u00e4tsprofessor f\u00fcr Literatur (Fachbereich: Moby Dick) hat eine Aff\u00e4re mit einer seiner Studentinnen, w\u00e4hrend sich seine Frau mit einem seiner Kollegen vergn\u00fcgt. Er trinkt zu viel und f\u00e4hrt ein klappriges altes Auto, in dem er \u00fcber das Leben und den Punkt sinniert, an dem sich das Blatt f\u00fcr Dwayne Koster gewendet hat. Eine Geschichte, wie sie viele von uns kennen und lieben, der gro\u00dfe amerikanische Roman zusammengedampft auf knapp 120 Seiten.<\/p>\n

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In der Romeo Street, schrieb ich in meinem Roman, gab es nur ein einziges Ding, das nicht an seinem Platz war, das einzige Ding, das Dwayne zufolge nie an seinem Platz sein w\u00fcrde,n\u00e4mlich Alex Dennis.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Nun hat Dwayne Koster leider das Pech, dass seine Aff\u00e4re eher von seiner Frau Susan entdeckt wird als er ihre bemerkt. Zu den Kl\u00e4ngen von Jim Sullivan f\u00e4hrt Dwayne zu Onkel Lee und erbittet sich Unterst\u00fctzung, einen Denkzettel gegen den Eindringling in seinem Haus und wird unversehens von dem steinreichen Antiquit\u00e4tenh\u00e4ndler in einen Handel hineingezogen, der ihn unwillentlich mit dem FBI zusammenbringt. Und seinen Golfschl\u00e4ger mit dem erstaunlich nachgiebigen K\u00f6rpers eines FBI-Agenten.<\/p>\n

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Ja, wirklich, sagte Dwayne, unsere Geschichte ist wie ein Roman, wie einer von Jim Harrison, findest du nicht? Und sie antwortete, nein, das sei eine Geschichte f\u00fcr eine Frau, eine Geschichte f\u00fcr Laura Kasischke oder Joyce Carol Oates. Oder Richard Ford, \u00fcberlegte er und betrachtete einen Nachtfalter, der frenetisch die Deckenlampe umflatterte. Vielleicht Alice Munro, meinte sie. Nein, ich wei\u00df, fing er wieder an, Philip Roth.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Gekonnt und mit einem Augenzwinkern spielt Tanguy Viel mit dem amerikanischen Roman und seinen Ikonen, mit der Welthaltigkeit selbst einer Kleinstadt im Nirgendwo, mit den verlorenen Chancen im Land der unbegrenzten M\u00f6glichkeiten. Dabei l\u00e4sst er den Leser zu keiner Zeit dar\u00fcber im Unklaren, dass er hier einen Roman liest – oder: einen Roman \u00fcber die Entstehung eines Romans. Immer wieder l\u00e4sst Viel den Leser an seinen Gedanken vor und w\u00e4hrend des Schreibprozesses teilhaben, ohne dass seine Geschichte dabei jedoch an Lebendigkeit und Originalit\u00e4t verliert.<\/p>\n

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Und siehe da, Dwayne Koster war genau f\u00fcnfzig, als meine Geschichte begann, sein Gef\u00fchlsleben war ein wenig durcheinandergeraten, und geschieden war er auch, denn ganz generell stand es au\u00dfer Frage, an den Grundprinzipien zu r\u00fctteln, die sich im amerikanischen Roman bew\u00e4hrt haben.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Tanguy Viel hat gleicherma\u00dfen Hommage wie Satire auf den amerikanischen Roman geschrieben, die sich herrlich lesen l\u00e4sst und hier da und doch zu einem Schmunzeln verleitet, wenn man eines dieser Romanrezepte in komprimierter Form wiederentdeckt. Jim Sullivan indessen ist zust\u00e4ndig f\u00fcr eine leicht mysteri\u00f6se Note. Im M\u00e4rz 1975 verschwand der Musiker spurlos, sein Auto wurde abgeschlossen in der W\u00fcste bei New Mexiko gefunden. Bis heute kursieren, wie das in Amerika eben so \u00fcblich ist, Geschichten \u00fcber die Entf\u00fchrung durch Au\u00dferirdische. Ein Land der unbegrenzten M\u00f6glichkeiten eben.<\/p>\n

[youtube=http:\/\/www.youtube.com\/watch?v=q3I4TdOCVpw&w=560&h=315]<\/p>\n

Tanguy Viel: Das Verschwinden des Jim Sullivan, aus dem Franz\u00f6sischen von Hinrich Schmidt-Henkel, Verlag Klaus Wagenbach<\/a>, 128 Seiten, 9783803132642<\/span>, 16,90 \u20ac<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Ein Franzose kann einfach keinen amerikanischen Roman schreiben. Einen, in dem es um gescheiterte Existenzen und die gro\u00dfen Fragen des Lebens vor l\u00e4ssigem und irgendwie kosmopolitischem Hintergrund geht. Oder doch? Tanguy Viel beweist in seinem neuen Roman beachtliches Fingerspitzengef\u00fchl f\u00fcr ein literarisches Genre, das sich seinen Platz tapfer erk\u00e4mpft hat. Und er nimmt es dabei nicht immer ganz ernst. Dwayne Kosters Leben meint es im Augenblick nicht gut mit ihm. Der Universit\u00e4tsprofessor f\u00fcr Literatur (Fachbereich: Moby Dick) hat eine Aff\u00e4re mit einer seiner Studentinnen, w\u00e4hrend sich seine Frau mit einem seiner Kollegen vergn\u00fcgt. Er trinkt zu viel und f\u00e4hrt ein klappriges altes Auto, in dem er \u00fcber das Leben und den Punkt sinniert, an dem sich das Blatt f\u00fcr Dwayne Koster gewendet hat. Eine Geschichte, wie sie viele von uns kennen und lieben, der gro\u00dfe amerikanische Roman zusammengedampft auf knapp 120 Seiten. In der Romeo Street, schrieb ich in meinem Roman, gab es nur ein einziges Ding, das nicht an seinem Platz war, das einzige Ding, das Dwayne zufolge nie an seinem Platz sein w\u00fcrde,n\u00e4mlich …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":4949,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[16,839],"tags":[876,1002,1534,1578],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2014\/05\/jimsullivan.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/4948"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=4948"}],"version-history":[{"count":3,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/4948\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":7873,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/4948\/revisions\/7873"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/4949"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=4948"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=4948"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=4948"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}